Theodor Michael über seine Biographie: „Preuße mit afrikanischem Phlegma“
Der afrodeutsche Ex-BND-Beamte Theodor Michael trat als Kind in Völkerschauen auf und überlebte die Nazizeit. Ein Gespräch über Rassismus damals und heute.
taz: Herr Michael, Sie wurden 1925 in Berlin als Sohn einer weißen Deutschen und eines Kameruners geboren. In Ihrer Biografie „Deutsch sein und schwarz dazu“ beschreiben Sie Ihr Schicksal als schwarzer Deutscher während der Nazizeit. Wieso erst jetzt?
Theodor Michael: Man muss eine Zeit erst überwinden, sich mit ihr versöhnen. Ich wäre früher nicht in der Lage gewesen, es zu schreiben. Die Enkelgeneration hat gedrängt: Opa, schreib, das wollen wir wissen! Auch die junge schwarze Gemeinschaft wollte wissen, wie man in einer weißen Welt überleben kann, wenn man dunkelhäutig ist. Noch immer spuken ja die Geschichten herum von den Wilden im Baströckchen. Menschen, die angeblich nicht das gleiche geistige Niveau hätten wie weißhäutige Menschen.
Sie haben das Baströckchen gerade angesprochen: Sie mussten den Wilden spielen in den Völkerschauen der damaligen Zeit …
Es war schlimm! Aber als Kind hat man ja keine Wahl, man kann sich kaum verweigern, wenn es den Druck gibt. Mein Vater hat für uns entschieden.
Zum Ende des 19. Jahrhunderts, als Ihr Vater aus dem „Deutschen Schutzgebiet“, also dem kolonialisierten Kamerun nach Berlin kam, war die Situation für schwarze Menschen noch nicht bedrohlich. Was hat Ihr Vater in der ersten Zeit gemacht?
Genau weiß ich es nicht. Ich habe den Verdacht, dass er mit exotischen Früchten gehandelt hat, die die Familie hierher geschickt hat. Aber dazu gibt es keine gesicherten Dokumente. Später war er am Bau der Berliner U-Bahn beteiligt.
wurde 1925 als Sohn eines Kameruners und einer weißen Deutschen in Berlin geboren. Er studierte Volkswirtschaft und war u.a. Regierungsberater der SPD, Lehrbeauftragter für die Deutsche Stiftung für Internationale Zusammenarbeit und Beamter beim BND. Außerdem arbeitete er als Journalist und Schauspieler. Als Zeitzeuge des Nationalsozialismus hat er ein Buch geschrieben.
Die Mutter war früh verstorben, der Vater häufig krank und mit vier Kindern überfordert. Er musste Sie abgeben. In einer Zirkusfamilie kamen Sie mit einer Ihrer Schwestern unter und wurden dort wie Bedienstete behandelt. Der Pflegevater Mohamed ben Ahmed war Marokkaner. War das nicht deprimierend, von einem potenziell Verbündeten keinerlei Unterstützung zu erfahren?
Was haben Sie als Kind für Gedanken? Es wirkte sich aus: Ich begann zu stottern, bekam mit 14 Jahren Magengeschwüre. Es war aber weniger er, sondern mehr die Frau, die uns schlecht behandelte.
Sind Ihnen noch andere schwarze Menschen in den Kriegsjahren begegnet?
Nein. Außer wenn wir Filme machten, Kolonialfilme und Ähnliches. Kürzlich habe ich in Hamburg Marie Nejar wiedergetroffen. Wir waren beide Komparsen im Film „Münchhausen“. Mehr als 70 Jahre ist das her.
Sie lebten in den ersten Kriegsjahren weiter bei der Familie ben Ahmed, traten in Völkerschauen und Propagandafilmen auf. Mit 18 Jahren wurden Sie in ein Fremdarbeiterlager in Berlin gesteckt. Wie haben Sie es dort geschafft zu überleben?
Ich habe überlebt, und das ist für mich die Hauptsache gewesen. Ich bin ein gläubiger Mensch, deshalb würde ich sagen: mit Gottes Hilfe.
Sie schreiben, am meisten fürchteten Sie die Zwangssterilisation. Woher wussten Sie von dieser Praxis?
Über Flüstergespräche. Leute, denen das widerfahren war, konnten es weitergeben. Das waren noch Kinder! Zum Glück ist die Zahl nicht so hoch gewesen, aber jede Sterilisation ist ein Verbrechen.
Es gab viele Momente der Diskriminierung. Sie mussten das Gymnasium verlassen, in Ihrem Pass stand unter besondere Kennzeichen „Neger“, Sie wurden aus dem Luftschutzbunker vertrieben. Als Schlüsselmoment beschreiben Sie, wie Sie als „Artfremder“ nicht in die Deutsche Arbeitsfront aufgenommen wurden. Ihr Ausgeschlossensein aus der Gemeinschaft wurde Ihnen da besonders deutlich. Wann haben Sie sich wieder zugehörig gefühlt?
Man wurde mit Gewalt ausgeschlossen, es hat sich aber ein großer Teil der Menschen nicht dran gehalten. Was so giftig und so vordergründig war, war die Einsamkeit. Dass man sich niemandem mitteilen konnte. Man braucht Vertraute, und das fehlte mir.
Ihre drei Geschwister konnten das Land verlassen. Der Pass einer Schwester wurde bei ihrer Ankunft in Frankreich verbrannt, damit sie nicht zurückgeschickt werden konnte. Haben Sie auch überlegt, wegzugehen?
Aber ja! Hundert Mal. Bloß, wohin können Sie mit einem Staatenlosen-Pass? Meine Schwester hätte, wenn sie ihren Pass behalten hätte, zurückgeschickt werden müssen, nach Ablauf ihrer offiziellen Aufenthaltszeit. Das war die Regelung, es ging dorthin zurück, wo der Pass ausgestellt wurde. Heute noch vernichten Migranten ihre Pässe und geben eine andere Identität an. Ich habe dafür vollstes Verständnis.
Nach den Kriegsjahren gründeten Sie eine Familie, die Sie mit Schauspiel- und Rundfunkjobs versuchten zu ernähren. Sie hatten jedoch Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Selbst für schwarze Rollen wurden weiße Schauspieler geschminkt. Das ist teils ja bis heute der Fall.
Ich habe die Geschichte mit dem Schlosspark Theater verfolgt im vergangenen Jahr und einen Brief an den Intendanten Dieter Hallervorden geschrieben. Mich hat verärgert, dass gesagt wurde, man hätte keine schwarzen Schauspieler. Joachim Bliese ist ein ausgezeichneter Schauspieler, gegen den ging das nicht, auch nicht gegen das Stück. Ein wunderbares Stück, ich hab es selbst 150-mal gespielt. Diese Aussage von Hallervorden war einfach falsch. Natürlich haben wir schwarze Schauspieler – genug! Man muss sich umsehen. Ich finde Anmalen blöd. Punkt.
Durch ein Stipendium der Stiftung Mitbestimmung konnten Sie später doch noch studieren. Was hat das für Sie bedeutet?
Das war der Beginn einer neuen Identität. Ich wollte eigentlich Ethnologe oder Archäologe werden, im Nachhinein besehen eine brotlose Kunst. So musste ich jedoch Volkswirtschaft studieren. Aber dadurch, dass ich mich immer mit Afrika beschäftigt hatte, schon als Kind meinen Vater Löcher in den Bauch gefragt habe, bin ich in die Afrikanistik abgewandert und wurde auch als Berater angefragt.
Auch der BND heuerte Sie an. Plötzlich waren Sie der erste schwarze Beamte im höheren Dienst in Deutschland. Hat das zu neuem Selbstbewusstsein verholfen?
Mein schwieriges Mutterland hatte mich nie unterstützt. Unter anderem, weil es immer die Beamten gab, die schon zur Nazizeit da waren und noch im Kopf hatten: Die nehmen uns die Arbeit weg. Die nehmen uns die Frauen weg. Die überfremden uns. Ich bin mein ganzes Leben lang gegen Steine, die mir vor die Füße geworfen wurden, angegangen. Und dann kommt dieses schwierige Mutterland auf einen zu und sagt: Wir brauchen dich! Da sagt man: Gut, ich komme! Warum? Das ist die Bundesrepublik, die ich mit aufgebaut habe. Ich tat es auch im Hinblick darauf, dass es die nächsten Generationen einmal leichter haben sollen, solche Positionen zu erreichen. Weil schon jemand vor ihnen da war, dem man es zugetraut hat. Der Punkt ist ja, dass wir immer beweisen müssen, dass wir es können. Jemand mit europäischem Aussehen braucht diese Beweise nicht. Wir schon. Und zwar vorab. Das ist das Schwierige eines schwarzen Menschen in einer weißen Welt.
Im Buch finden sich Situationen wieder, die schwarzen Menschen bis heute widerfahren. Personenkontrollen auf der Straße etwa …
… oder am Flughafen. Da hat mich einmal ein Beamter nach meinen Pass gefragt. Ich habe geantwortet, ich hätte keinen Pass. „Aber Sie reisen doch in die Bundesrepublik ein, Sie müssen doch einen Ausweis …“ Ich sagte: „Ach, nach dem Ausweis fragen Sie. Einen Personalausweis habe ich.“
Also ist immer noch nicht in den Köpfen angekommen, dass auch schwarze Menschen deutsch sein können?
Theodor Michael: „Deutsch sein und schwarz dazu: Erinnerungen eines Afro-Deutschen“. Deutscher Taschenbuch Verlag 2013, 200 S., 14,90 Euro.
Ja. Es ist eines meiner Hauptziele, die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen. Bei so einer Kontrolle sage ich dann, wenn hier jeder kontrolliert werden muss, dann bitte auch alle anderen. Geschimpft wird am Ende auf mich. Können die ruhig, aber sie werden dadurch auf das Problem aufmerksam. Die jungen Leute gehen damit noch mal anders um. Ich gehe pragmatischer heran. Mit dem guten alten afrikanischen Phlegma.
Ihr Vater starb, als Sie noch ein Kind waren – haben Sie dennoch das Gefühl, afrikanisch geprägt zu sein?
Ich bin eigentlich preußisch geprägt, aber wenn etwas vom Afrikanischen übrig geblieben ist, dann ist es das Phlegma: die Dinge auf einen zukommen zu lassen. Abwarten und dann weitersehen.
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