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Kriminologin über den „Islam-Rabatt“„Ehrenmorde werden härter bestraft“

Mit dem Bremer Bunkermord kam der Umschwung: Julia Kasselt hat untersucht, ob muslimische Täter vor deutschen Gerichten mit Nachsicht rechnen können.

Gedenkfeier für Hatun Sürücü, die im Februar 2005 von ihrem Bruder in Berlin ermordet wurde. Bild: dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Frau Kasselt, bekommen manche Straftäter in Deutschland einen „Islam-Rabatt“, wie die Bild-Zeitung schrieb?

Julia Kasselt: Nein, diese Behauptung ist doppelt absurd. Zum einen haben solche Tötungsdelikte, um die es dabei geht, nichts mit Religion zu tun, sondern mit Kultur. In manchen Einwandererfamilien gibt es überholte Ehrvorstellungen. Aber in dem Wiesbadener Fall gab es auch keinen Kultur-Rabatt. Der junge Mann, der seine Freundin erstochen hat, wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er muss also mindestens 15 Jahre im Gefängnis bleiben. Wer hier von „milden Strafen“ spricht, ist polemisch.

Das Wiesbadener Strafgericht hat aber keine „besondere Schwere der Schuld“ gesehen – und auf den kulturellen Hintergrund der Tat verwiesen.

Das ist kein Strafrabatt. Eine „besondere Schwere der Schuld“ ist auch bei Mord die seltene Ausnahme und nicht die Regel. Das Gericht hat nur darauf verzichtet, die Strafe zusätzlich zu verschärfen. Dabei hat es neben dem kulturellen Hintergrund auch das Alter des Täters erwähnt, der noch nicht gefestigt sei. Wahrscheinlich spielten noch viel mehr Überlegungen eine Rolle, über die die Medien nicht berichtet haben.

Wodurch unterscheidet sich eigentlich ein „Ehrenmord“ unter Einwanderern von einem deutschen „Familiendrama“, bei dem der Mann seine Ex-Frau tötet?

„Islam-Rabatt“

Das Landgericht Wiesbaden hat Ende März einen 23-jährigen Deutsch-Afghanen wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte seine schwangere Freundin mit Messerstichen getötet, weil sie das gemeinsame Kind nicht abtreiben wollte. Der Student befürchtete Ärger mit seiner Familie, die nichts von der Freundin wusste. Das Landgericht stellte keine „besondere Schwere der Schuld“ fest, unter anderem weil sich der Täter aufgrund seines familiären und kulturellen Hintergrundes in einer besonderen Zwangssituation befunden habe. Der Verurteilte hat deshalb nach 15 Jahren Haft die Chance auf Entlassung.

Die Bild-Zeitung griff den Fall auf und protestierte gegen das „milde Urteil“ und den „Islam-Rabatt“ für den Täter. Politiker von CDU und CSU stießen ins gleiche Horn: „Es darf keinen Rabatt für Täter geben, die sich auf religiöse Motive berufen. Maßstab darf bei uns nur die deutsche Rechts- und Werteordnung sein, nicht die der Scharia“, sagte etwa CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach.

Beim Ehrenmord wird die Tat von der Familie beschlossen oder zumindest gut geheißen, um so die Familienehre wiederherzustellen. Oft stehen der Täter oder die Familie dabei unter starkem Druck ihres Umfeldes. Derartiges ist aus deutschen Familien nicht bekannt. Wer tötet, um Konflikte zu lösen, kann hier nicht mit Verständnis rechnen.

Werden Ehrenmorde milder bestraft als andere Familiendramen?

Sie werden härter bestraft. In meiner Dissertation habe ich die Urteile bei Ehrenmorden verglichen mit den Urteilen bei sonstigen Tötungen von (Ex-)Partnerinnen. Ehrenmorde wurden zwischen 1996 und 2005 in 38 Prozent der Fälle mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. Bei den Partnertötungen gab es nur in 23 Prozent der Fälle „lebenslang“. Ab 2002 ist die strenge Haltung der Gerichte zu Ehrenmorden besonders deutlich. Beim klassischen Ehrenmord, bei dem eine Tochter oder Schwester aus Gründen der Familienehre getötet wird, verhängten die Gerichte ab 2002 in fast jedem Fall lebenslang wegen Mordes.

Im Interview: Julia Kasselt

promovierte am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. Für ihre Dissertation hat die Juristin Strafen deutscher Gerichte in sogenannten Ehrenmordprozessen untersucht.

Warum hat sich die Rechtsprechung ab 2002 verschärft?

2002 hat der Bundesgerichtshof einen spektakulären Fall entschieden. Es ging um den Bremer Bunkermord, bei dem ein kurdisches Liebespaar, das sich nicht trennen wollte, brutal getötet wurde. Der BGH stellte fest: wer die eigene oder Familienehre über das Leben eines anderen stellt, handelt in der Regel aus „niedrigen Beweggründen“ und erfüllt damit ein Mordmerkmal. Dieser Linie sind dann auch die Landgerichte gefolgt. Bis 2002 war die Rechtsprechung noch wechselhaft und widersprüchlich.

Und diese strenge Linie bei Ehrenmorden gilt bis heute?

Soweit ich sehe, ist die Rechtsprechung nach 2005 nicht milder geworden, sondern hat sich eher verschärft. Schließlich führt jeder Ehrenmord bei uns zu einem öffentlichen Aufschrei. Und auch Richter bleiben von der gesellschaftlichen Atmosphäre nicht unbeeindruckt.

Wieviele Ehrenmorde gibt es jährlich in Deutschland?

Es sind nur rund zehn pro Jahr, aber sie sind geeignet, viele Frauen und Mädchen in solchen Milieus einzuschüchtern. Deshalb begrüße ich auch die deutliche Reaktion der deutschen Gerichte.

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10 Kommentare

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  • soso, eine juristin hat eine untersuchung gemacht...

    das thema der sog. ehrenmorde ist nur eine teilmenge des problems der, sagen wir mal, kultursensiblen rechtssprechung.

    die logik einer solchen unterscheidung kann ja auch in die andere richtung gehen: der auf 100% erfüllung konditionierte authochthone deutsche, der beim gedanken an falschparken in einer feuergasse schon schweißausbrüche bekommt ist sich natürlich seine gesetzeswidrigen verhaltens durchaus bewusst und kann auf milde nicht hoffen.

     

    eigentümlicherweise lassen solche "normalbürgereinwände" unsere hochqualifizierten quantenphysiker des rechts seltsam unberührt - dabei stammen sie doch mittlerweile aus einer post-68 generation, die die wissenschaften und institutionen demokratisieren wollte...

     

    ach ja, zum thema "wissenschaftler": in den 30er jahren gab es einmal einen weltberühmten professor und doktor der jurisprudenz, der zb. aufätze schrieb wie "der führer schützt das recht".

    zum damaligen zeitpunkt war das exakte wissenschaft.

  • Hier sieht man deutlich den Unsinn des deutschen Strafsystems. Wenn es in der "Kultur" des Täters liegt, dass er straffällig wurde (und ich denke auch, dass Kultur oftmals zumindest eine Interpretation der Religion beinhaltet) dann nutzt es wenig, wenn er 15 Jahre weggeschlossen wird ohne Berücksichtigung, ob er in einer JVA evtl. seine Kultur weiterleben kann.

     

    Der Mensch braucht eine therapeutische Hilfe und muss in eine Umgebung kommen, die nichts mit seiner bisherigen Kultur gemeinsam hat. Und raus kann er dann wieder, wenn gesichert ist, dass er zu der alten Kultur von ihm nie wieder Kontakt aufnimmt.

     

    Wenn er diesen Kultutabbruch nicht will, kann man ihm ja auch anbieten, dass er freiwillig lebenslänglich bekommen kann. Diese Entscheidungsfreiheit sollte man ihm schon lassen.

    • @Åge Krüger:

      Vielleicht täte Ihnen mal sagen wir eine einmonatige Zwangsklausur gut , damit Sie sich anhand einschlägiger Literatur kundig machen könnten über Sinn und Zweck des deutschen Strafrechtes . Den von Ihnen hier verzapften Unsinn sollten Sie besser vom taz-Admin löschen lassen .

      • @APOKALYPTIKER:

        Der Sinn und Zweck, den irgendeine Literatur in einem DEUTSCHEN Strafrecht sieht, interessiert mich ausgesprochen wenig, solange ich mir selber Gedanken machen kann, wie man mit Menschen umgehen könnte, die auffällig geworden sind und dabei anderen geschadet haben.

        Da verlasse ich mich lieber auf jemanden, mit dem ich seit langem zusammenlebe und die seit über 25 Jahren im Knast ist. Zwar als Knastärztin, aber somit mit Sicherheit glaubhafter als irgendwelche theoretischen Gedanken, was ein deutsches Strafrecht für einen Sinn haben soll, wenn es eben keinen Sinn hat.

  • „Es darf keinen Rabatt für Täter geben, die sich auf religiöse Motive berufen. Maßstab darf bei uns nur die deutsche Rechts- und Werteordnung sein, nicht die der Scharia“, sagte etwa CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach.

     

    Bosbach , der gläubige Katholik , wollte damit nur noch mal deutlich den deutschen Strafrichter*Innen sagen , dass für sie das Strafgesetzbuch gilt und nicht die Scharia . Nichts weiter .

    Nebenbei wollte er natürlich auch den BLÖD-Lesern versichern , dass die christlich-abendländische Werteordnung weiterhin unangefochten weit über der islamischen steht .

    Und WoBo , der christliche Schelm , glaubt , was er sagt .

    • D
      D.J.
      @APOKALYPTIKER:

      Sie werden es nicht glauben, ich bin tatsächlich der Meinung, dass unser StGB und bürgerliches Recht praktikabler und humaner sind als die Scharia. Irgendwie ein stückweit zeitgemäßer und auch der Gleichberechtigung von Mann und Frau ein wenig besser entsprechend. Ich schlimmer Hetzer aber auch.

  • Das im Zusammenhang mit sog. "Ehrenmorden" häufiger die lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wird, ist maximal ein Indiz, jedoch keinesfall ein Beweis für eine härtere Bestrafung. Bei der (sonstigen) Tötung von (Ex-)Partnern handelt es sich überproportional um Impulshandlungen, die aus einer eskalierenden Situation heraus entstehen. Dies wird von den Gerichten häufig als mildernd bewertet, sei es, weil der Täter sich der Heimtücke oder des niedr. Beweggrundes nicht bewusst gewesen ist oder aufgrund des "Erregungszustandes" eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen wird. Dieses trifft auf die meisten sog. "Ehrenmorde" nicht zu, da die Täter hier regelmäßig planvoll und organisiert vorgehen.

     

    In den Fällen, in denen aufgrund von Vorsatz und Ausführung der Tat die Höchsstrafe in Frage kommt, sehe ich keine so großen Unterschiede. Es scheint eher so, dass die Gerichte in den vergangenen Jahren allgemein zu einer "härteren Gangart" bei der Bestrafung von Partnerschafts-Mördern übergegangen sind.

  • D
    D.J.

    Frau Kasselt hat einen wesentlichen Unterscheid zwischen Ehrenmord und Familiendrama angesprochen (und damit der seltsamen Gleichsetzung mancher Verharmloser widersprochen).

    Nicht Religion, sondern Kultur. Naja, dass Religion nicht zur Kultur gehörte, wäre mir neu. Im Übrigen ist es auffällig, dass die letzten Ehrenmorde in Deutschland meines Wissens nie in orientalisch-christlichen Familien stattfanden (trotz deren oft ebenso starken Konservatismus' in Sexualfragen), sondern in muslimischen und yezidischen. Dass das islamische Recht Privatinitiativen bei der Ahndung sexueller "Vergehen" ablehnt - geschenkt. Ein Bild von der Frau als stets unter einer gewissen Vormundschaft (Vater, Bruder, Mann) stehendem Mängelwesen (vgl. Halbwertigkeit weiblicher Zeugenaussagen) ist zweifellos auch religiös vermittelt. Im yezidischen Recht kenne ich mich wenig aus, doch hier liegt die Problematik in der starken Abschottung der Gemeinschaft aufgrund der Verfolgung durch die Jahrhunderte - daher radikales Verbot von Exogamie der Frauen mit den bekannten Folgen für diese.

     

    Im Übrigen eine erfreuliche Entwicklung, dass in diesem Bereich die zynische Entschuldigung mit "Verbotsirrtum" nicht mehr erfolgt.

    • @D.J.:

      "Im Übrigen eine erfreuliche Entwicklung,(?) dass in diesem Bereich die zynische Entschuldigung mit "Verbotsirrtum" nicht mehr erfolgt."

      Was soll der Unfug ? Ein Verbotsirrtum hat noch nie jemanden bei Mord oder Totschlag vor entsprechender Bestrafung bewahrt .