: Raumschiff Jugoslawien landet zwischen
SCHAU 70 Jahre nach der Grundsteinlegung auf dem Weg zur Republik: Die Ausstellung „Das ist Walter“ zeigt die popkulturelle Verarbeitung der Vergangenheit – die Kulturszene der Ex-Jugos in Berlin wandelt sich derweil
■ Die Gruppenausstellung „Das ist Walter“ läuft bis zum 26. Januar 2014.
■ Am heutigen Freitag ab 20 Uhr ist die Vernissage mit Livekonzert von Predrag Maric (Sologitarre), danach legt DJ Mario Rock und Pop auf. Rakija-Drinks sollen angereicht werden.
■ Am 30. November und 1. Dezember gibt es einen Rundgang durch die Ausstellung, am 13. Dezember eine Video-Jam-Session mit den multimedialen Arbeiten.
■ Wo? Prima Center Berlin, Biesentaler Str. 24, Wedding. Geöffnet: 30. 11. + 1. 12. ganztägig, danach Dienstag–Freitag 16–20 Uhr und n. V. prima-center.net
VON SONJA VOGEL
Als am 29. November 1943, noch während des Zweiten Weltkriegs, im bosnischen Jajce der Grundstein für die Föderative Republik Jugoslawien gelegt wurde, konnte niemand ahnen, dass Jugoslawien 70 Jahre später nur noch als Schimäre existieren würde. Und dass die Idee des Vielvölkerstaates außerhalb des ehemaligen Staatsgebietes und vor allem in der Kunst weiterleben würde. Unter dem Titel „Das ist Walter“ eröffnet heute in der Galerie Prima Center im Wedding eine vom Künstlerkollektiv „Good Times Factory“ kuratierte Ausstellung mit Exponaten von beinahe hundert KünstlerInnen, deren Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien liegen.
Aber was verbindet heute jene, die als Gastarbeiter aus Jugoslawien kamen, deren hier geborene Kinder, die Bürgerkriegsflüchtlinge und die Studierenden aus den postjugoslawischen Staaten? Sie kommen aus verschiedene Generationen, Staaten und Schichten – und dennoch finden sie zusammen. „Uns verbindet eine gemeinsame Erinnerung“, erklärt der Deutsch-Mazedonier Jovan Balov, der künstlerische Leiter der Galerie Prima Center. Mit Erinnerung meint Balov nicht nur das Erlebte, sondern einen Fundus kultureller Werte und Symbole, über die sich selbst die im Ausland geborenen Gastarbeiterkinder verständigen können.
„Valter brani Sarajevo“
Nicht nur das Eröffnungsdatum, der 29. November, der ehemalige Tag der Republik, verweist auf die gemeinsame Erinnerung, sondern auch der Titel „Das ist Walter“. Walter war der „nom de guerre“ des jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito. Vor allem aber ist er ein Zitat aus dem Partisanenkultfilm „Valter brani Sarajevo“ (Walter verteidigt Sarajevo) von 1972, in dem die Nazis einen unbekannten Spion jagen. In der Schlussszene zeigt einer von ihnen auf Sarajevo und sagt: „Sehen sie diese Stadt? Das ist Walter!“ – ein Zitat, das alsbald die Popkultur übernahm. „Das ist Walter“ heißt auch das erste Album der jugoslawischen Untergrundband Zabranjeno Pušenje von 1984.
Unter diesem Zitat versammeln sich nun 97 KünstlerInnen in Berlin. „Alle haben irgendwelche verwandtschaftlichen Verbindungen zu Jugoslawien“, sagt Balov. So verschieden, wie ihre Lebensgeschichten, ist auch deren Kunst: Thema und Medium sind frei, und so finden sich abstrakte Gemälde neben autobiografischer Fotokunst und politischen Collagen. Einige Werke wurden nur für die Ausstellung kreiert.
„Das ist Walter“ soll 20 Jahre nach den Bürgerkriegen zur Verständigung der nunmehr in verschiedene Staaten und Nationalitäten zersprengten Gruppe der JugoslawInnen beitragen. Nicht zuletzt haben viele durch den Zerfall des Staates ihre künstlerische Basis verloren: der mazedonische Künstler Atanas T. Botev zum Beispiel. Ein im Prima Center ausgestelltes Schwarz-Weiß-Foto Botevs zeigt einen Jungen, der einem jugoslawischen Soldaten ein Buch mit Titos ikonografischer Signatur auf dem Rücken reicht. „Heute finden wir das lustig. Aber vor 20 Jahren war das sehr ernst“, erinnert sich Kurator Balov. Der aus Novi Sad, Serbien, stammende Miodrag Peri etwa designte eine hybride Tito-Skulptur, die den ehemaligen Präsidenten als Jäger und Weinliebhaber zeigt – eine Darstellung, die weder in Jugoslawien, das Tito allein als Volkshelden in Kampfpose zeigte, gern gesehen worden wäre, noch in den Nachfolgestaaten, die die alten Ikonen nach 20 Jahren des Antikommunismus aus der Öffentlichkeit verbannten.
Umso gehaltvoller ist auch der Bezug auf den Tag der Republik, den Staatsfeiertag des sozialistischen Jugoslawiens. „Dieses Datum birgt Erinnerungen an eine bestimmte Zeit“, sagt Balov. „Am 29. November haben wir als Jugendliche immer Party gemacht.“ Insofern ist „Walter“ das Symbol jener Generation, die in der goldenen Zeit des blockfreien Staates geboren wurde und Jugoslawien als außerordentlichen Freiraum erfahren hat: westlicher Rock, jugoslawischer Untergrund, eine beeindruckende Punk- und Rockszene (die zunächst vom Bund der Kommunisten Jugoslawiens unterstützt wurde, um sich von der restriktiven Kulturpolitik des Ostblocks abzusetzen). Nach Berlin, London und Paris war Belgrad die vierte europäische Kulturmetropole.
In den Neunzigern, war dann alles vorbei: Die Kriege, Millionen Flüchtlinge und Sanktionen hinterließen auch eine zersplitterte Kulturlandschaft. Der Bürgerkrieg verlagerte sich in die Popkultur. Der Musikgeschmack kam einem politischen Bekenntnis gleich: auf der einen Seite die angeblich weltgewandten Rocker, auf der anderen die Fans des mit Krieg und Nationalismus aufgekommenen Turbofolks, einer aufgemotzten Form des Volksliedes. Dies ist ein Konflikt, der auch die postjugoslawische Szene prägt.
„Wir DJs sind Kuratoren und haben eine Verantwortung. Wenn ich die Leute mit Turbofolk vergifte, hat das Folgen“, sagt etwa der 1970 in Bosnien geborene Robert Šoko, als DJ Soko in den Neunzigern Begründer der Partyreihe Balkan Beats. Auf den frühen Partys im Keller des Mudd Club flippte man zu exjugoslawischem Punk und Rock aus. Heute ist das Balkan Beats-Label im Mainstream gelandet. Die Szene veränderte sich. Auch DJ Soko legt heute im Lido Remixes von Folksongs auf, Ethno-Musik. Nur noch ein kleiner Teil des neuen Publikums kommt aus der Community. Und trotzdem bleibt die Partyreihe eine Anlaufstelle für ExjugoslawInnen, ähnlich wie das Elektromusikkollektiv Balkantronika oder DJ Jugotonka.
Die Partibrejkers
Möchte man jener musikalischen Zweiteilung folgen, stehen auf der anderen Seite die Partibrejkers – ein Netzwerk, das glamouröse Popfolk-Partys für junge BerlinerInnen mit bosnischen, kroatischen und serbischen Wurzeln organisiert. Sie bleiben unter sich, nach nationalen Codes getrennt, aber auf gemeinsamen Partys vereint. Sogar Megastars wie die exjugoslawischen Folk-Diva Lepa Brena treten bei den Partibrejkers auf: ein „Raumschiff Jugoslawien“ (so der Titel einer Berliner Ausstellung zum Thema im Jahr 2011), das hin und wieder landet, seine Türen eine wilde Nacht lang öffnet und wieder ins Dunkel entschwindet. Zurück bleiben Deutsch-KroatInnen, Deutsch-SerbInnen, Deutsch-BosnierInnen oder schlicht BerlinerInnen. Bis zur nächsten Jugo-Party.
Es sind solche Knotenpunkte, zu denen sich die in den vergangenen Jahrzehnten ausdifferenzierten Netzwerke verdichten: neben Partys und Ausstellungen Filmreihen, ein paar Bars und Cafés, die Slawistik der Humboldt Universität.
Für die Berliner ExjugoslawInnen jedenfalls hat das alte, national und sozial kodierte Kulturverein-Modell mittlerweile längst ausgedient. „Wir Jugos sind nicht mehr nur Gastarbeiter, die vom eigenen Haus träumen. Wir sind intellektuell und multikulturell, Künstler, Musiker und Filmemacher“, sagt DJ Soko. Sporadisch versammeln sie sich alle um jenes Raumschiff Jugoslawien. Warum? Vielleicht sind sie ja auf der Suche nach jenen kulturellen Freiräumen, die irgendwo auf dem Flug von Jugoslawien nach Berlin verloren gegangen sind.
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