Tagung der Berliner Antisemitismusforscher: Judenhasser versus Islamfeinde
"Feindbild Muslim - Feindbild Jude": Bei einer Veranstaltung des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung vergleichen Experten Islamfeindlichkeit mit Judenhass.
Nach sechs Stunden, zur Pause, wurde dann doch noch diskutiert. Endlich! In einer spontanen Runde kamen mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwischen dem Podium und den Stuhlreihen zusammen. Hier fand, improvisiert und im Stehen, das statt, was das eigentliche Thema dieser Tagung am Montag an der Technischen Universität Berlin war: ein Vergleich zwischen dem Antisemitismus und der Muslimfeindlichkeit. Was verbindet, was trennt beide Phänomene? Und plötzlich konnten und wollten dann auch alle miteinander reden.
Das war nicht selbstverständlich. Im Vorfeld der Tagung des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) zum Thema "Feindbild Muslim - Feindbild Jude" hatte es genau daran gemangelt, an einem direkten Dialog. Unter gehörigem Donnergrollen in den Medien und vor allem im Internet hatte es gegenseitige Vorwürfe gehagelt.
Auf der einen Seite die Kritiker der Tagung: Sie warfen ihr schon vorab vor, durch den Vergleich des Antisemitismus mit der Muslimfeindschaft werde, verkürzt gesagt, der Holocaust trivialisiert, die Gefahr durch das iranische Atomprogramm verniedlicht, der Judenhass von Islamisten verharmlost - der prominenteste Verfechter dieser These war der Hamburger Publizist und Politikwissenschaftler Matthias Küntzel. Im Wall Street Journal hatte er seine Thesen in einem Artikel sogar international bekräftigt. Auf der anderen Seite der ZfA-Leiter Wolfgang Benz, der solche Vorwürfe unter anderem in der taz (siehe Samstagsausgabe) als "völlig lachhaft" abqualifiziert hatte.
Es hätte also in der früheren Bibliothek der TU mit einem tollen Blick über das alte West-Berlin zu einem großen Showdown kommen können, denn beide, Benz und Küntzel, waren da. Und das Interesse war für eine solche Tagung immens - es hatte 210 Anmeldungen gegeben. Etwa 70 Leute mussten, was die Dramatik noch erhöhte, stehen oder auf dem Boden sitzen, weil der Saal aus feuerwehrtechnischen Gründen nicht weiter bestuhlt werden durfte. Aber wie das eben bei akademischen Debatten ist: Solche großen Rededuelle finden selten statt. Und wenn, dann ist der Ton so gedämpft, dass das Spektakuläre fast nur Insidern auffällt. Abgesehen davon ist es vielleicht auch ganz gut so, dass in der scientific community Debatten meist so ruhig ablaufen.
Wie auch immer, Benz sah sich jedenfalls zu Beginn der Konferenz gedrängt, auf die Kritiker der Tagung und eines zuvor schon veröffentlichten ZfA-Bandes zum Thema ein wenig einzudreschen. Auf die "sehr unerfreulichen" Unterstellungen, Beleidigungen und Pöbeleien vor allem von Seiten von Bloggern wolle er nicht eingehen, betonte der Forscher. Die Parallelen zwischen Antisemitismus und der Islamfeindschaft seien gleichwohl "unverkennbar". "Um Zeit zu sparen", las er eine Passage aus einem eigenen Aufsatz vor, um zu beweisen: Er nehme die Gefahr durch Irans Atomprogramm ernst und verharmlose die islamistische Judenfeindschaft keineswegs.
Damit hatte Benz, recht geschickt, aus der ganzen erhitzten Vorabdebatte ein wenig die Luft herausgelassen. Vielleicht lag es daran, dass das Publikum auf die folgenden Vorträge von Angelika Königseder zum "Feindbild Islam", von Juliane Wetzel zur "Judenfeindschaft unter Muslimen in Europa" und von Yasemin Shooman zur "Islamfeindschaft im World Wide Web" so ruhig und bestenfalls sanft kritisch reagierte. Es folge die eingangs geschilderte Kaffeepause - und man ahnte, was die Tagung hätte sein können: Pathetisch gesagt, ein Quantensprung in der Forschung zum Hass auf Muslime - und vielleicht auch auf Juden.
So blieb trotz des eindrucksvollen letzten Vortrags von Peter Widmann über den Islamhass des neorechten Ideologen Hans-Peter Raddatz am Ende ein Gefühl des Bedauerns zurück: Der große Wurf, die große Tagung zu Parallelen und Unterschieden von Antisemitismus und Muslimfeindschaft war dieses Forschertreffen nicht. Vielleicht konnte sie es auch noch nicht sein. Aber ein Anfang ist gemacht. Und fast erleichtert konnte man sein, dass die vielen Judenhasser und Islamfeinde im Netz sich offenbar nicht ins Publikum gemischt hatten.
Nur eine Dame aus diesem Milieu warf gegen Abend ein paar Bemerkungen solcher Qualität Richtung Podium. Nach wirren, islamkritischen Sätzen zitierte sie bibelfest einen Vers aus dem Buch der Sprichwörter (26,26): "Hüllt sich sein Hass auch in Heuchelei, seine Schlechtigkeit wird bloßgestellt in der Volksversammlung." Was sie damit sagen wollte, blieb unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation