: „Sexuell befreite Spießer“
Die Autorin Silvia Bovenschen wollte 1968 die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen befreien
SILVIA BOVENSCHEN, 61, ist Literaturwissenschaftlerin. Ihr Werk „Die imaginierte Weiblichkeit“ ist ein feministisches Standardwerk. Zuletzt erschien 2006 „Älter werden. Notizen“. FOTO: S. FISCHER
INTERVIEW HEIDE OESTREICH
taz: Frau Bovenschen, „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen“ hat Ihr Frankfurter Weiberrat 1968 auf ein Flugblatt geschrieben. Ein bisschen drastisch, oder?
Silvia Bovenschen: Drastische Maßnahmen waren durchaus erforderlich. Die Jungs im SDS wollten unsere Diskussionen torpedieren und versuchten uns zu stören. Wir haben aus unseren Veranstaltungen Männer, die uns observieren wollten, hinaustragen müssen.
Was wollten die bei Ihnen?
Sie wollten uns mit Zetkin und Luxemburg darüber aufklären, dass wir unsere Zeit mit „Nebenwidersprüchen“ vertun.
Was genau wollten Sie ohne Männer diskutieren?
Wir sahen, dass im SDS nur sehr wenige Frauen mitwirkten. Wir sahen, dass Frauen nicht ernst genommen und diskursstrategisch abgewürgt wurden. Wir brauchten diesen autonomen Raum zunächst auch, weil wir damals kaum geistige Munition hatten. Außer „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir gab es keine leicht zugängliche Literatur.
Die Weiberräte zerfielen schnell wieder. Warum?
In Frankfurt wurden Mona Steffen und ich bald angegriffen, weil wir uns um politische und psychoanalytische Theorien bemühten. Wir würden genauso reden wie die Männer, hieß es. Der erste Weiberrat löste sich dann auf, und ein zweiter wurde gegründet. Die Frauen dort hatten eher das Bedürfnis, „Selbsterfahrung“ zu betreiben. Sie erzählten sich ihre Biografien und definierten ihre Opferrollen, das hat mich nicht so sehr interessiert.
Wird Ihr Eminenzen-Flugblatt immer wieder hervorgeholt, weil man die Frauenbewegung damit lächerlich machen kann?
Die Interpreten aller Ereignisse von ’68 schmiegen sich gern dem jeweiligen Zeitgeist an. Da muss ein damals eher als beiläufiger Spaß verstandenes einzelnes Flugblatt schon mal als Pars-pro-toto-Beweis herhalten. Wenn ich mir allerdings das Niveau der heutigen Talkshow-Diskussionen nicht nur rund um die Albernheiten von Eva Herman ansehe, werden mir die Theoriebemühungen der Siebziger wieder sympathisch. Was da aktuell passiert, kommt mir vor wie ein historischer Schluckauf.
Sie gehörten zum Kreis um den sogenannten Kopf der Bewegung, Hans-Jürgen Krahl. Wie sah er das Thema?
Ich kann mich nicht erinnern, dass er sich einschlägig geäußert hat. Die Tomate, die Sigrid Rüger ihm unter anderem deshalb an den Kopf warf, hat er zu Recht abbekommen.
Waren Ihre Kastrationswünsche auch gegen die Auswirkungen der sexuellen Revolution gerichtet? Wenn Frauen nicht mit Männern schlafen wollten, galten sie als unbefreit, erzählen manche. Haben Sie das auch als Druck empfunden?
Nein, überhaupt nicht. Das kam erst später. Zuerst gab es ja den entgegengesetzten, puritanischen Druck, immer „Nein“ sagen zu müssen. Vermutlich hatte auch manche Frau, die mit dieser Prägung aufgewachsen war, erst einmal Freude daran, ihre Sexualität zu entdecken. Aber zu einem der großen Irrtümer dieser Zeit gehörte sicher, dass man meinte, ein Spießer, den man sexuell befreit, sei etwas anderes als ein sexuell befreiter Spießer.
Verena Stefan schreibt in „Häutungen“: „ich gebe mir mühe, mich richtig zu bewegen, bis er einen orgasmus hat.“ Ist das weibliche Sexualleben damit richtig beschrieben?
Der unerwartete Erfolg dieses Buchs weist in diese Richtung. Aber Verena Stefans elegischer Ton war nicht der einzige, den es damals gab. Die Bewegung war sehr heterogen. In der Zeitschrift Die schwarze Botin etwa gab es viele Texte, die völlig frei von Larmoyanz und Opferhaltung waren. Frühe Texte von Elfriede Jelinek etwa sagten mir mehr zu.
Stefan vermittelt, Frauen seien ständig von sexuellen Übergriffen bedroht gewesen.
Da war was dran. Wenn Sie – ein eher harmloses Beispiel – allein ins Restaurant gingen, wurden Sie angemacht, aber gewaltig: Sie sind alleine im öffentlichen Raum, also kann man auf Sie zugreifen. Und ungewollter Sex in der Ehe galt als normale eheliche Pflicht.
Liest man Stefan, so entsteht leicht der Eindruck, Frauen zögen sich lieber in eine bessere weibliche Welt zurück. Ist der Eindruck richtig?
Nun ja. Die feministische Infragestellung des männlichen Dominanzdenkens war und ist verständlich, wenn man sieht, was dieses Denken weltpolitisch so anrichten kann. Problematisch wird es, wenn man darauf mit der Festschreibung einer besseren weiblichen Qualität sui generis antwortet. Aber so einfach machten es sich schon damals nicht alle.
Die Jüngeren haben den Eindruck, dass so manche Frau sich auf der Suche nach dem Eigenen von der Mainstream-Diskussion verabschiedet hat.
Diese enge Sicht stört mich: Schließlich gab es große politische Auseinandersetzungen, etwa um den Paragrafen 218 oder um häusliche Gewalt. Aber die Idealisierung des Weiblichen ins Miefige gab es leider auch. Ich erinnere mich, dass in den Siebzigern Frauen aus der geistigen Latzhosenfraktion einen Vortrag von mir verhindern wollten, weil ich lackierte Fingernägel hatte und Fremdwörter gebrauchte. Aber vermutlich produziert jede Bewegung irgendwann ihre eigene Karikatur.
Da ist eine Bewegung, die karikaturhafte Züge annimmt, und auf der anderen Seite machen sich Männer darüber lustig. Wo ordneten Sie sich da ein?
Mein Ort war immer zwischen den Stühlen. Und da trifft man immer die nettesten Leute.
Feministinnen haben Gewalt lange als Paradigma der Geschlechterordnung gesehen. Davon sind junge Menschen heute weit entfernt. Zu Recht?
Weltweit gesehen kann von einem Abschied von der Frage nach sexistischer Gewalt keine Rede sein. Aber auch im kleinen Maßstab ist sie nicht ganz erledigt. Sie ist vielleicht etwas in den Hintergrund getreten.
Deshalb möchten viele jüngere Frauen sich nicht als Opfer dargestellt sehen.
Auch wenn man Gewalt als Problem ernst nimmt, braucht man sich selbst nicht in die Opferrolle zurückzuschmollen. Man kann sich wehren, aggressiv oder witzig. Wenn junge Frauen denken: „Ich will kein Opfer sein, also leugne ich die Gewalt“, machen sie damit den Feminismus zahnlos.
Jetzt reden junge Frauen vom „umarmenden Feminismus“. Unterschätzen die den Feind?
Ich kenne diese Theorie nicht. Es ging doch nie gegen einzelne Männer, sondern gegen bestimmte Machtstrukturen. Die Männer können Sie meinetwegen gerne umarmen, solange sie dabei nicht ersticken.
Auf deren Agenda steht eher die Krippenoffensive der Familienministerin. Ist das kein Feminismus?
Jeder Politik, die Frauen den Zugang zur Berufswelt erleichtert, ist zunächst einmal gut, auch wenn sie weniger aus feministischen als aus demografischen Gründen erfolgt. Aber Geschichte zeigt die Frauen auch als wirtschaftliche Manövriermasse. Nach dem Krieg haben Frauen den Frankfurter Hauptbahnhof geleitet. Das hat sich mit der Rückkehr der Männer aus dem Krieg blitzschnell wieder geändert. Und das kann jederzeit wieder geschehen.
Was müsste darüber hinaus passieren?
Wenn man die Kinderfrage wirklich lösen wollte, müsste man zum Beispiel die Berufsrollensysteme total flexibilisieren. Das ist unter den gegebenen ökonomischen Bedingungen nicht denkbar.
Sie meinen, die Idee der Geschlechterdemokratie kann jederzeit wieder verschwinden?
Ich will niemandem die Laune verderben, aber der Feminismus war immer nur eine Fußnote der Geschichte. Um Geschlechterdemokratie wird man immer kämpfen müssen.