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taz.gespräch in Tübingen, 04.03.2016 Noch keine Volkspartei

Gibt es wirklich ein „neues Baden-Württemberg“, oder läuft alles weiter wie zuvor? Winfried Kretschmann im Kreuzverhör von taz und der Kontext:Wochenzeitung.

Politisches bei Tee und Wasser im Theater: Kretschmann, Henkel-Waidhofer, Unfried (v.l.). Bild: Patrick Bauer/taz

Am 04.03.2016 begrüßten die taz und KONTEXT:Wochenzeitung den Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Winfried Kretschmann zum taz-Gespräch im Museum Tübingen. Kontext-Journalistin Johanna Henkel-Waidhofer und taz-Chefreporter Peter Unfried zogen mit Kretschmann Bilanz. Sie wollten wissen: Bleibt der Grüne Ministerpräsident nur ein Wimpernschlag in der CDU-Ewigkeit? Was hat er überhaupt erreicht und wie geht es weiter?

Kretschmann ist mitten im Wahlkampf. Am Vorabend in Karlsruhe, am Nachmittag in Reutlingen und am Abend in Tübingen. Man merkt es ihm nicht an. So, als würde er das schon ewig machen. Als den ersten grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs und des Planeten stellt ihn Unfried vor und fragt: „Sind die Grünen mittlerweile eigentlich Volkspartei?“

„Wir sind im Entstehen. Volkspartei sind wir natürlich noch nicht. Wir haben 1100 Bürgermeister in Baden-Württemberg, davon sind sechs Grüne. Da fehlt schon noch was“, sagt Kretschmann.

Baden-Württemberg wurde vor Kretschmann 58 Jahre von der CDU regiert. Sie war die Baden-Württemberg-Partei. „Das hat sich geändert“, sagt Kretschmann. Jetzt merkten die Menschen nach fünf Jahren: „Grün passt zu diesem Land.“ Viele würden jetzt denken, Baden-Württemberg ist so schwarz, da könne es doch gar nicht anders sein, da müsse doch Kretschmann irgendwie ein Schwarzer sein. „Dabei ist es umgekehrt, Baden-Württemberg ist grüner, als die Leute gedacht haben“, sagt er.

Lösungsorientiert arbeiten

Als Repräsentant dieser Entwicklung fühlt sich Kretschmann wohl. Er kommt gerne in den referierenden Ton. Nippt an dem heißen Tee mit Zitrone, der für ihn aufm dem Tisch steht. Mit großen Gesten spricht er über die großen Fragen der Welt und findet Lob für die Kanzlerin, auch mitten im Landtagswahlkampf. „Aber ich bin in erster Linie kein Kanzlerinnen-Versteher, ich bin ein Europa-Versteher.“ Hinter der Flüchtlingskrise stehe eine Europakrise. „Für unser Land ist es von elementarer Bedeutung diese Krise gemeinsam zu lösen.“ Das sei ein tiefes Grundverständnis, dass er mit der Kanzlerin teile.

„Ich schätze an Angela Merkel, dass sie eine erfahrene Krisenmanagerin ist“, sagt Kretschmann noch. Ihr fehle manchmal die Weitsicht, früh zu reagieren, sagt er. Beispielsweise hätte man viel früher mehr Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einstellen müssen.

Die demokratischen Parteien müssten jetzt zeigen, sagt Kretschmann, dass sie lösungsorientiert arbeiten. „Mein Prinzip ist: Der Streit ist der Normalalltag in der Demokratie und in der Krise gehe ich auf Konsens. Denn keine Kraft kann das alleine stemmen.“ Und natürlich zitiert Kretschmann da seine „Mentorin Hannah Arendt: „Alle Politik fängt mit Sprache an.“

Die CDU hat keinen klaren Kurs

Die Sprache bleibt weiter Thema am Abend. Unfried möchte wissen, warum Kretschmann gesagt hat, er bete für die Kanzlerin, ob das sinnvoll für den politischen Diskurs sei? „Nein“, sagt Kretschmann schnell, „aber so was sagt man einfach mal spontan in einem Interview.“  

Kretschmanns Tee ist fast leer. Henkel-Waidhofer möchte wissen, wie denn das Niveau im Wahlkampf mit CDU-Kandidat Guido Wolff sei? Kretschmann wirft Wolf vor, sich auf Kleinigkeiten zu konzentrieren. Die Grünen wollten eine geldwerte Karte einführen, mit der Flüchtlinge ihre Einkäufe erledigen könnten, um die „Zettelwirtschaft“ zu verringern. Dass Wolf sich im Wahlkampf auf dieses Thema stürze, Zettelwirtschaft gegen geldwerte Karte, wundere Kretschmann schon. „Das ist ein Niveau, das geht einfach nicht“, sagt er. Die CDU in Baden-Württemberg habe keinen klaren Kurs. Er hätte da gerne einen anderen Sparringspartner.

Kretschmann sieht sich nach der Wahl aber nicht als Ministerpräsident der grünen Wähler, sondern als Ministerpräsident, der das ganze Land vertritt. Als kleiner Regierungspartner war das noch anders. „So bald man eine Regierung führt, führt man auch das Land“, sagt Kretschmann.

Mit Baden-Württemberg möchte er zeigen, dass die Energiewende, die grünen Produktlinien und der grüne Weg auch ökonomische erfolgreich sind. „Das ist meine Agenda“, sagt er. Will Kretschmann dafür stärkste Partei werden? „Ich will jetzt da nicht Nein sagen.“

PATRICK BAUER, taz-Autor