Naomi Klein über den Klimawandel : „Wir sind uns das schuldig”
Naomi Klein über den Kampf gegen den Klimawandel, der nicht mit altem linken Denken funktioniert.
zeozwei: Frau Klein, möchten Sie den Kapitalismus überwinden oder nur heilen?
Naomi Klein: Die Dinge, die wir tun müssen, um den Klimawandel noch in den Griff zu bekommen, sind radikal: So müssen wir ab sofort den Ausstoß von Treibhausgasen weltweit um sechs Prozent pro Jahr mindern. Die reicheren Länder wie die USA oder Europa müssen dabei mehr Belastungen übernehmen, also acht bis zehn Prozent pro Jahr. Dazu braucht es einen so großen Wandel unserer ökonomischen Struktur, dass es mit dem Kapitalismus nicht zu machen ist, wie wir ihn derzeit definieren.
Also geht es nur im Postkapitalismus?
Ich sage nicht, dass der Markt gar keine Rolle spielen darf. Eine andere Frage ist, was meine persönliche Präferenz ist.
Was ist Ihre persönliche Präferenz?
Ich bin keine Theoretikerin. Ich präferiere eine faire, ökonomisch gut funktionierende Struktur. Darum bin ich zum Beispiel für Genossenschaften. Aber will ich Privatbesitz abschaffen und will ich, dass alles in der Welt so läuft, wie ich persönlich es für am besten halte? Das würde sicher nicht ohne größere Gewalt gehen. Und die will ich nicht.
Auf der Rückseite der deutschen Ausgabe von „Die Entscheidung” steht: „Dieses Buch verändert alles.” Ist das vielleicht ein bisschen dick aufgetragen?
Ich muss Ihnen sagen, dass ich darüber nicht glücklich bin. Das Buch heißt im Englischen: „This Changes Everything.” Aber es ist nicht das Buch, das alles ändert, es ist der Klimawandel, der alles ändert. Und es sind nicht Bücher, die die Welt verändern, sondern Bewegungen.
Sie nutzen den Klimawandel doch nur, um Ihre antikapitalistischen Überzeugungen loszuwerden, sagen Ihre Kritiker.
Das ist zynisch, als würde ich die Sorge um die Menschheit simulieren. Wer meine Argumentation diskreditiert, nur weil ich schon mal den Kapitalismus kritisiert habe, kritisiert im Grunde meine intellektuelle Konsistenz. Das ist nur eine rhetorische Taktik. Die Frage, warum wir es nicht schaffen, auf diese Klimakrise zu reagieren, läuft nun einmal auf einen Konflikt mit dem Neoliberalismus hinaus.
Sie gehen weiter: Weil wir nicht reagiert haben, ist das nicht mehr nur eine Kritik des Neoliberalismus, sondern des kapitalistischen Wachstum-Imperativs, den auch linke Regierungen und Parteien vertreten.
Richtig. Die Klimabewältigung fordert Linke heraus, die Developmentalismus vertreten ...
... einen stark lenkenden und auf den eigenen Markt konzentrierten Staat im Kapitalismus.
Aber sie fordert auch Sozialisten heraus, die sich nur der Verteilungsfrage widmen, ohne Wachstum einer die Natur ausbeutenden Wirtschaft zu kritisieren.
Sie haben auch einige Ihrer Positionen verändert.
Ja. Das neue Buch bestätigt eben nicht, was ich schon immer geschrieben habe. Es zwingt mich dazu, in Bereiche zu gehen, in denen ich neue Wege finden muss. Wege, mit denen ich mich nicht richtig wohlfühle. Aber das ist Teil der Herausforderung. Die Bewältigung des Klimawandels fordert alle heraus, die Menschen über Natur stellen und Natur als grenzenlos verstehen. Es fordert die Rechte mehr heraus als die Linke, aber die Linke ist auch herausgefordert. Und das ist der Grund, warum die nötigen Koalitionen bisher nicht zustande kommen.
Auch Linke setzen auf kohlenstoffbefeuertes Wachstum, weil es schwer ist, die soziale Frage zu lösen, wenn Gewinne ausfallen.
Ja, linke Regierungen in Lateinamerika, wie die von Hugo Chávez in Venezuela oder von seinem Nachfolger Nicolás Maduro verfolgen das extraktivistische Modell. Sie beuten die Öl- und Gasreserven der Erde aus und verteilen die Gewinne. Damit sind sie sehr viel fairer als ihre Vorgänger, keine Frage. Aber das ist immer noch ein Problem.
Grünes Wachstum, also Wachstum mit sinkenden Emissionen, ist für Sie eine Illusion?
Ohne Schrumpfung geht es nicht. Das kehrt das Gros dieser glücklichen grünen Geschichten unter den Teppich. Und ebenso, dass es nötig ist, die Reichen zu zwingen, auf Billionen von Dollars an Profiten zu verzichten, die sie eigentlich durch die Verbrennung von Kohlenstoff verdienen wollen. Und uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Das Problem ist, dass man mit grünem Wachstum nicht mehr als drei oder vier Prozent Emissionen im Jahr einspart. Wir brauchen aber acht bis zehn Prozent. Ich habe noch keinen einzigen Menschen in der grünen Wachstumsbewegung gefunden, der mir erklären kann, wie man das unter einen Hut bringt.
Also Minuswachstum?
Wir brauchen Minuswachstum, aber es ist ein Fehler, die Begriffe Degrowth oder Schrumpfung zum Slogan des Alternativen zu machen. Durch die Negation betonen wir nach wie vor den Wachstumsgedanken. Das Ziel sollte heißen: Wohlergehen. Wir sollten Entscheidungen für unser Wohlergehen treffen und dies zum Maß für Erfolg machen.
Was heißt das konkret?
Manche Branchen werden schrumpfen, aber andere müssen wachsen. Das sind jene, die emissionsarm sind: der Energiesektor jenseits von fossilen Rohstoffen oder der öffentliche. Und wir werden die Städte umbauen müssen, damit wir unsere Abhängigkeit von Autos loswerden. Die Ironie ist: Wir werden erst einmal viel Kohlenstoff verbrennen, um vom Kohlenstoff wegzukommen. Das sagt auch der britische Klimaexperte Kevin Anderson, einer der wichtigsten Denker, was die Reduzierung von Kohlenstoff angeht.
Zunächst gibt es keine Besserung?
Wir können eins mindern: den Konsum und damit den Energieverbrauch. Anderson nennt das „gelenktes Schrumpfen”. Das heißt: Wollen wir keine brutale Schrumpfung, die unsere Leben ärmlich macht, müssen wir die Berufe stärken, die nicht energieintensiv sind. Lehrer und Krankenschwestern sind Klimaarbeiter. Das übersehen wir allzu oft.
Wie sieht die radikale Politik genau aus, von der Sie sprechen?
Deutschland hat gute Dinge gemacht, aber es zeigt auch, wie schwierig es ist, den Energiesektor umzubauen, weil die großen Energiekonzerne eifersüchtig sind und um ihre Pfründe fürchten. Das deutsche Beispiel zeigt auch, dass der Umbau mit Selbstverpflichtungen und Anreizen für den Markt nicht zu schaffen ist. Es braucht ein Ja und ein Nein: große öffentliche Investitionen, etwa in den öffentlichen Verkehr, ein klares System von Anreizen für den Übergang und politische Regulierung. Wir brauchen zum Beispiel eine CO2-Besteuerung, die den Wenigverdienern mehr zurückgibt, als sie an Steuern zahlen.
Kein Politiker in Deutschland würde das Wort CO 2-Steuer auch nur in den Mund nehmen. Wie kriegt man dafür eine Mehrheit in einer Demokratie?
Das ist der Grund, warum die grüne Bewegung so marginal ist, wie sie ist: Sie wird als Bewegung angesehen – und in vielen Fällen zu Recht –, die sich nicht genug um die täglichen ökonomischen Realitäten im Leben der Menschen kümmert. Das heißt: Statt der großen Konsumenten zahlen die Armen die größte Rechnung. Die Umweltbewegung hat zudem bis heute keinen Weg gefunden, die Dringlichkeitslücke zu schließen. Klimaschutz ist immer noch der Luxus, dem man sich zuwendet, wenn man alles andere erledigt hat.
Frau Klein, haben Linke und Linksliberale sich zu intensiv mit Identitäts- und Minderheitenpolitik beschäftigt und die Dimension der ökosozialen Transformation für Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand übersehen?
Die Hierarchie von Problemen mit dem Klimawandel als Nummer eins gibt es nicht. Es ist eine schlechte Angewohnheit der Klimabewegung, so rüberzukommen, als würde jeder seine Zeit vergeuden, der sie nicht der Erderwärmung widmet. Das ist arrogant. So als würde man sagen: Was bedeutet schon Armut, wenn sowieso jeder stirbt?
Sie haben doch selbst gesagt, dass man die Globalisierung verpasst habe, während man dafür kämpfte, dass Juden zum Arbeitskreis Rassengleichstellung im Frauenzentrum der Universität zugelassen werden.
Ja, das habe ich geschrieben, aber das ist aus den Neunzigern, aus „No Logo!”. Ich denke, dass das heute nicht mehr wahr ist oder nicht mehr so wahr. Ich versuche herauszuarbeiten, dass die Klimakrise viele Themen aufladen kann und ein kraftvoller Baumeister einer gemeinsamen Bewegung sein kann.
Warum hat es bei Ihnen so lange gedauert, bis Ihnen klar war, was wirklich zählt?
Manche Umweltschützer übertreiben es mit der Verteidigung der eigenen Domäne und die sagen jetzt: Ach, die Klein hat den Klimawandel doch erst letzte Woche entdeckt. Es war aber nicht so, dass ich das nicht gesehen hätte oder es mir egal gewesen wäre: Ich habe das damals nicht als meine Sache gesehen. In meinem Buch „Die Schock-Strategie” habe ich aber auch schon über Hurricane Katrina und den Desaster-Kapitalismus geschrieben. Nur: Ich identifiziere mich zu allererst mit der Bewegung für ökonomische Gerechtigkeit und nicht mit der Umweltbewegung.
Jetzt trennen Sie selbst wieder.
Nein, das disqualifiziert mich überhaupt nicht, an der Klimadebatte teilzunehmen. Im Gegenteil: Der Klimadiskurs hatte bisher etwas extrem Fachspezifisches, sodass der Eindruck entstand, das sei nichts für die anderen oder die anderen seien nicht dafür qualifiziert. Dabei braucht es politische Wissenschaftler, Soziologen, Feministinnen und im Grunde jeden. Unsere Bewegungen müssen zusammengehen.
Warum gibt es diese Vernetzung nicht schon längst?
Als ich mich mit Occupy Wall Street traf, organisierten wir einen kleinen Tisch der Organisatoren und sprachen über Klimawandel und in der ersten Runde sagten alle: Das ist nicht drängend genug, zu weit weg. Da waren Aktivisten aus Florida, die engagiert dafür kämpften, dass Menschen zurück in ihre Wohnungen könnten, die man rausgeworfen hatte. Und dann wurde ihnen klar, dass keiner mehr in seinen Häusern sein würde, weil die alle unter Wasser stehen würden. Der Klimawandel überfordert die Leute.
Ihr bestes Argument: Nur wenige böse Kapitalisten verlieren, fast alle anderen werden gewinnen. Aber selbst in Deutschland möchte man den Status quo verteidigen.
Deutschland ist eine Ausnahme. In Europa gibt es einen großen Wunsch nach Veränderung. In Spanien, in Italien, in Frankreich – und in Griechenland sowieso. In meinem Land gibt es einen riesigen Wunsch nach Wandel. Die Leute sehen, dass dieses ökonomische System für sie nicht funktioniert.
In China, in Indien, in Brasilien gibt es Milliarden, die nach Wohlstand durch konventionelles Wachstum lechzen. Da gibt es keine Bewegung gegen Wachstum.
Das ist ja lächerlich, was Sie da sagen. Absolut lächerlich. In China gibt es die größte grüne Bewegung überhaupt.
Wegen der Luftverschmutzung.
Nicht nur wegen der Luftverschmutzung. Das ist das dringlichste Problem, okay. Die chinesische Regierung hat das Antiverschmutzungsvideo „Under the Dome” aus dem Netz entfernen lassen, das 150 Millionen Mal angeschaut wurde. Aber die Regierung hat auch angekündigt, den Ausbau der erneuerbaren Energien extrem zu beschleunigen, und nun gibt es sogar die ersten Emissionsreduktionsziele in ihrer Geschichte: Das machen die nicht, weil ihnen plötzlich klar geworden ist, wie gefährlich Klimawandel ist.
Sondern?
Weil sie Angst vor sozialem Chaos haben. In China gingen die Proteste lokal los, gegen lokale Kraftwerke. Das war sehr erfolgreich, erfolgreicher als Arbeitsproteste, in manchen Fällen haben sie gewonnen und das Kraftwerk gestoppt. Der Smog dort wirkt demokratisierend. Weil das Land so groß ist, konnte man das Risiko des Wachstums zunächst in entferntere und isolierte Regionen abschieben. Aber nun schicken sie schon in den reichen und blühenden Städten ihre Kinder mit Atemschutzmasken zur Schule. Nun reden sie in China über etwas, das sie Low-quality-Wachstum nennen, und über dessen Kosten. Das verändert Politik.
Die Treibhausgase nehmen aber zu.
Es stimmt: Da ist auch immenses Emissionswachstum. Aber wir müssen die Teile der Gesellschaft dort unterstützen, die für ein anderes Entwicklungsmodell kämpfen. In Indien gibt es eine schlagkräftigere Bewegung gegen Kohlekraftwerke als in Deutschland. Leute sterben für den Protest gegen eine Regierung, die ihnen die Möglichkeit nimmt, nachhaltig zu leben. Wir müssen sie unterstützen, indem wir unsere eigenen Regierungen zwingen, zu handeln.
Sie glauben nicht wie andere an die These: Es braucht erst noch schlimmere Katastrophen, damit mehr Menschen aufwachen.
Auf die große Krise zu warten, die uns aufweckt, ist ein Fehler. Und zwar politisch und wissenschaftlich. Es ist zu spät, wenn die Dinge wirklich apokalyptisch werden. Und wenn es ein Schock wäre, der die Leute aufwachen ließe, dann hätten wir ihn schon gehabt. Denken Sie an die Dürre in Kalifornien oder an Hurricane Sandy 2012 in New York. Wenn man einen Wake-up-Call scripten lassen wollte, dann wäre es doch das gewesen: ein Sturm, der Wall Street und Goldman Sachs überschwemmt, der das Zentrum der US-Nachrichtenmedien trifft, CNN, und dort die Lichter ausgehen lässt. Nein, man braucht die Koalition, von der ich spreche: Die Leute werden für ihre Arbeitsplätze kämpfen und für ihre Wohnungen. Wenn das mit einem Emissionsreduktionsplan verbunden werden kann, dann ist das eine Koalition, die gewinnen kann.
Die Frage ist nach wie vor, mit welcher Ansprache man Menschen erreicht.
Der Plan vieler Umweltschützer ist ja: Ich erschrecke dich zu Tode, dann wirst du auch Umweltaktivist. Aber erfolgreiche Bewegungen, ob die Frauen-, die Bürgerrechts- oder die Homobewegung, funktionieren besser, wenn man Leute als volle menschliche Wesen anspricht. Der Grund, warum ich ungern Umweltbücher las: Ich fand sie distanziert und voller Fachjargon. Wenn jemand persönlich schreibt, kann das manchmal Fenster öffnen.
Klimaaktivisten reden immer öfter über ihre Kinder. Sie auch. Damit kann man Menschen emotional erreichen, aber es ärgert manche auch maßlos. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Das letzte Kapitel des Buches ist das persönlichste, das ich je geschrieben habe. Ich sage ganz klar, dass ich das Buch nicht für meinen Sohn geschrieben habe und auch nicht seinetwegen in die Klimabewegung eingestiegen bin. Ich war schon drei Jahre in dem Projekt, als er geboren wurde. In dieser Zeit hatte ich mehrere Fehlgeburten und ich wurde wahnsinnig, wenn ich in Meetings saß, wo alle dauernd sagten, dass sie sich für ihre Kinder engagierten. Ich fühlte mich unglaublich ausgeschlossen.
Mit welcher Motivation handeln wir, wenn nicht für unsere Kinder?
Ich finde, dass wir uns das selbst schuldig sind und dass wir es als Menschen einander schuldig sind. Wir schulden es auch unseren Kindern, aber wir schulden es ihnen nicht mehr, als wir es einander schulden. Aber dann ist es halt auch wahr, dass mich der Klimawandel erstmals zum Weinen gebracht hat, als ich meinem Sohn darüber vorgelesen habe.
Zum zeozwei-Gespräch bittet Klein in ein Berliner Hotel mit Blick auf den Zoo, was ihren Sohn sehr beeindruckt. Tags zuvor hat sie einen umjubelten Vortrag im ausverkauften Auditorium des Hauses der Kulturen der Welt gehalten.
Interview: Hanna Gersmann und Peter Unfried. Dieser Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 2/2015. Den Text können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.