Kuratorin über Clown-Terror: „Stärker als Zombies“
Die Clowns auf Frankreichs Straßen sind ein pubertäres Phänomen, sagt Inke Arns. Doch der böse Clown gehört seit Langem zur westlichen Kultur.
taz: Inke Arns, wird der ganze Clowns-Spuk in Frankreich nach Halloween wieder vorbei sein?
Inke Arns: Mit Halloween hat das nichts zu tun. Das Treiben hat ja schon ungefähr Anfang Oktober angefangen. Und die Videos im Netz, auf die sich die Fälle in Frankreich zu beziehen scheinen, sind sogar schon vergangenes Jahr online gestellt worden. Ich könnte natürlich auch behaupten, das ist Teil der viralen Medien-Kampagne für unsere Ausstellung, die etwas aus dem Ruder gelaufen ist.
Die Dortmunder Schau „Böse Clowns“, die künstlerische Arbeiten zu dem Thema zeigt, haben sie kuratiert. Was hat Sie dazu motiviert?`
Ich arbeite seit ungefähr zwei Jahren an dem Thema, auf das mich Künstlerinnen und Künstler gebracht haben, die sich mit der Figur des bösen Clowns beschäftigen. Es geht in der Schau um alle Arten von Masken, die in der zeitgenössischen Kunst aber eben auch im Aktivismus verwendet werden. Ein Beispiel sind die Yes Men. Zwar tauchen die nicht als Clowns, aber in der Maske von Dow Chemical auf im Live-Interview in der BBC. Und wir zeigen Christoph Schlingensiefs grandiose U3000-Schau, in der er selbst die Rolle des bösen Clowns einnimmt – als Showmaster in der fahrenden U-Bahn, der sich wirklich für nichts zu schade ist. Da gibt's ganz deutlich den Link zu einer wirklich unguten Entertainisierung der Gesellschaft.
Also lustige Unterhaltung mit tödlicher Konsequenz. Seit wann ist das Phänomen des bösen Clowns in der Welt?
Seit den frühen 80er Jahren, vielleicht zuerst mit dem Slasher-Film „Halloween“, in dem die mörderische Hauptfigur ganz kurz als Kind im Clownskostüm eingeblendet wird. 1986 kam dann Stephen King mit der Figur des „Pennywise“ in seinem Roman „Es“ hinzu. Und nicht zu vergessen: der grandiose B-Movie „Killer Klowns from Outer Space“ von 1988, in dem Außerirdische als leicht derangierte Clowns auf die Erde kommen um sich Reiseproviant abzuholen.
Kuratorin und Autorin mit den Schwerpunkten Medienkunst und -theorie, Netzkulturen und Osteuropa. Seit 2005 ist sie künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVerein (HMKV) in Dortmund.
Ausstellung: „Böse Clowns“, mit Arbeiten u.a. von Cindy Sherman, Deichkind und George Grosz, Hartware MedienKunstVerein (HMKV), im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund, vom 27. September 2014 - 8. März 2015.
Dass der Clown auf einmal so ultraböse wird, lässt sich meiner Meinung nach auf die Figur von Pogo der Clown zurückführen, ein Serienkiller mit dem bürgerlichen Namen John Wayne Gacy, der in den 70er Jahren 33 Jungen und junge Männer entführt, missbraucht, ermordet und dann unter seinem Haus vergraben hat. Gleichzeitig ist er als Clown in selbstgenähten Kostümen auf Kinder- und Straßenfesten aufgetreten. Diese Figur aus dem echte Leben hat ganz viele Figuren in Hollywood-Filmen inspiriert.
Man hört sehr häufig in Verbindung mit dem jüngsten Clowns-Aufkommen den Begriff Coulrophobie, der die Angst vor Rotnasen bezeichnet.
Deren Verbreitung durchaus von Hollywood- und Horrorfilmen befeuert worden ist. Diese Filme wurden und werden ja auch von Kindern und Jugendlichen konsumiert. Ich vermute, dass sich über diesen Umweg das zur Phobie passende Bild wesentlich formiert hat. Die Coulrophobie soll übrigens zu den zehn häufigsten Phobien gehören.
Sie stellen in Dortmund künstlerische Arbeiten aus, in denen Clowns Täter sind. Es gab aber in den 80er Jahren auch die Darstellung des Clowns als Opfer. Also ich denke da jetzt vor allem an die Videoarbeiten von Bruce Nauman.
Clowns - nicht lustig
Diese Darstellung hat sich nicht durchgesetzt. Deswegen zeigen wir auch Bruce Naumans „Clown Torture“ nicht. Er ist nicht symptomatisch für die Figur des bösen Clowns. Bei ihm traten Clowns wirklich noch als Gequälte auf. Das sind interessante Übergangscharaktere, die dann schnell durch andere Protagonisten abgelöst worden sind.
Es gibt verschiedene Erklärungsversuche weshalb ausgerechnet Frankreich von bösen Clowns heimgesucht wird. Es heisst, dass die kalifornischen Künstler, die den Wasco-Clown inszeniert haben, nachgeahmt werden. Dann gibt es aber auch die äußerst populären DM Pranks-Videos auf Youtube aus Italien. Eins davon ist bisher 30 Millionen Mal geklickt worden.
Ja, in ihm wartet ein Clown mit einem riesigen Vorschlaghammer in der Tiefgarage, bis Leute kommen, um ihr Auto abzuholen. In dem Moment haut er den Hammer auf den Kopf einer liegenden Puppe und das Kunstblut spritzt. Ich habe mich gefragt, ob ich diese Videos im Rahmen der Ausstellung zeigen soll, habe es aber gelassen. Das fand ich dann doch ein bisschen zu pubertär.
Ich würde es wohl ebenso wie die mutmaßlich ahnungslosen Adressaten dieses Scherzes machen: wegrennen. Der Clown sieht zwar lächerlich aus, aber im ersten Augenblick lässt sich doch schwer einschätzen, ob Hammer und Leiche jetzt aus Schaumstoff sind oder echt.
Klar. Genau darauf sind die Situationen ja auch ausgelegt. Es geht einfach um das Schockieren von Leuten. Lon Chaney hat mal gesagt: Ein Clown ist komisch in der Manege. Aber was wäre, wenn sich um Mitternacht die Tür öffnete und derselbe Clown stünde da im Mondlicht? „There's nothing funny about a clown in the moonlight.“ Das ist nämlich die Kontextverschiebung, das heisst, das angestammte Setting des Clowns ist der Zirkus. Da wissen wir alle, wie wir diese Figur interpretieren müssen. Sie ist linkisch und lustig. Aber sobald man sich vorstellt, man geht nachts irgendwo lang und auf einmal steht da ein Clown: Also, ich würde mich da auch erschrecken – und ich habe eigentlich keine Angst vor Clowns.
Die französische Polizei nimmt die Clownereien auf den Straßen mittlerweile ziemlich ernst. Sie warnt vor gewalttätigen Rotnasen. In einem südfranzösischen Ort sind jetzt auch Clowns-Kostüme zu Halloween verboten worden.
Es gab ja wirklich Fälle, wo es nicht einfach „nur“ ums Erschrecken ging. Da sind Leute zusammengeschlagen worden. Deswegen kann ich schon verstehen, dass zu erhöhter Vorsicht vor Clowns aufgerufen wird. Dass Clowns-Kostüme zu Halloween verboten werden, ist aber schon fast tragisch.
Warum bedienen sich die Missetäter ausgerechnet der Figur des Clowns? Sie könnten ja auch als Vampir auftreten oder als Zombie.
Ja, aber der Clown hat den Vorteil, dass die Maske anonymisiert.
Das tut die des Zombies doch auch.
Bei Zombies oder Vampiren ist das nicht so stark. Das Clownsgesicht ist großflächig mit weißer Farbe bedeckt. Der Mund wird verändert, er wird vergrößert – und dann das ständige Grinsen. Man verschwindet komplett hinter dieser Maske. Die eignet sich hervorragend, um anonym aufzutreten und unter ihrem Schutz kriminelle Handlungen zu begehen. Denken Sie an den Banküberfall zu Beginn von „The Dark Knight“.
Ich finde es erstaunlich, dass in Frankreich Clowns mit sehr amerikanischer Anmutung auftreten, wo das Land doch eher die Figur des Pierrot als clowneske Tradition besitzt. Dessen Erfinder ist auch zum Mörder geworden, er hat den Lover seiner Frau umgebracht. Aber scheinbar eignet sich der Pierrot nicht so als böser Charakter.
Absolut nicht. Der Pierrot ist ja eher eine traurige Gestalt. Der ultraböse Clown wiederum hat schon mit einer sehr tief greifenden Amerikanisierung der europäischen Kultur und des kollektiven Unterbewussten zu tun – verursacht durch die Massenmedien. Doch muss man sich fragen, warum das aktuelle Phänomen dann ausgerechnet in Deutschland keine Rolle spielt. Darauf habe ich keine Antwort.
Wären die Clownereien ohne die sozialen Medien überhaupt denkbar?
Nein. Ich denke, ohne die hätte sich das aktuelle Phänomen in Frankreich und anderswo überhaupt nicht entwickelt. Es gibt aber im übrigen viel spannendere Vorläufer in der Prä-Internet-Phase. Flashmobs mit Clowns – und Santa Clauses, initiiert von der Cacophony Society. Das war eine sehr lose Vereinigung, deren Vorläufer 1977 als Suicide Club begonnen hatte - ein geheimer Verbund, der den Schreiber des Drehbuchs für „Fight Club“ inspiriert hat. Die stellten sich stets Aufgaben und forderten sich gegenseitig zu Mutproben heraus. Das waren absolute Undercover-Veranstaltungen.
Irgendwann ist diese Vereinigung auseinandergefallen. Aber in den späten 80er Jahren gründete sich die Cacophony Society, die unter anderem daran beteiligt war, das Burning Man Festival in die Wüste, an den Black Rock, zu holen. Sie hat eine Menge Strategien entwickelt, die später in den 90er Jahren für viele PolitaktivistInnen wichtig wurden. Die Cacophony Society war auch so etwas wie Vorläuferin der Yes Men.
Also eine frühe Spaßguerilla?
Ja, genau, sie hat zum Beispiel Adbusting gemacht und dabei eng mit der Billboard Liberation Front kooperiert. Und sie hat sich eben auch sehr stark an McDonalds abgearbeitet, insbesondere an Ronald McDonald. Die Cacophony Society hat immer Clowns in ihren Reihen gehabt, die Flashmobs machten, spontan in Bürogebäude eingedrungen sind – auch mal in Santa Claus-Verkleidungen. Der Auftritt in so einem billigen Weihnachtsmannkostüm ist natürlich auch eine Anonymisierung. Wenn Santa Clauses und Clowns zu Hunderten auftauchen, hat das einen ähnlichen Effekt wie zum Beispiel bei der Anonymous-Maske.
Aber diente die Clowns-Verkleidung nicht auch dazu, die grimmige Ästhetik des Schwarzen Blocks bei Demonstrationen hinter sich zu lassen – also das Gegenteil zum Böse werden der lustigen Rotnase? Es gibt also antagonistische Bewegungen im Clownswesen.
Ja, genau. Es ging auch darum, das Gesicht der Militanz etwas freundlicher zu gestalten. So handhabte es die Clandestine Insurgent Rebel Army, deren Mitglieder bei den G8-Protesten in Heiligendamm aufgetaucht sind. Unter dem Motto: Begegne der Polizei mit Spaß und Freude.
Das ist aber bei dem französischen Phänomen überhaupt nicht der Fall.
Das ist das genaue Gegenteil. Und hat natürlich nichts mit irgendeiner politischen Artikulation zu tun. Man kann sich fragen, ob das vielleicht am Ende einfach nur ein Phänomen der sozialen Medien ist.
Vielleicht ist das ein Ausdruck der gesellschaftlichen Krise, die die Medien Frankreich bescheinigen?
Ich weigere mich eigentlich, diesem Phänomen eine größere Bedeutung zuzuschreiben. Die Clownsfiguren, die dabei aufgerufen werden, finde ich persönlich höchst uninteressant, weil sie so offensichtlich böse sind. Was mich, aber eben auch viele Künstler, letztlich am bösen Clown fasziniert, ist dessen Ambivalenz. Vergangenes Jahr tauchte zum Beispiel dieser Northampton-Clown auf, der in den Medien öfters als Vorläufer der aktuellen Welle angeführt wird. Ohne Zweifel war er eine Referenz auf „Pennywise“. Er stand in Northampton irgendwo auf der Straße, hielt in der Hand Ballons und winkte einfach nur, genauso wie „Pennywise" das in der Verfilmung von „Es“ macht. Der Northampton-Clown musste gar nichts weiter tun. Und doch hatten die Leute totalen Horror, der sich aber nur in ihren Köpfen abspielte.
Der französische Clowns-Spuk ist auch ein Jungs-Ding. Bis jetzt habe ich noch nichts von Clowninnen gehört, die Leuten in Tiefgaragen auflauern.
In der Dortmunder Ausstellung sind ein paar sehr interessante „böse“ Clowninnen dabei, zum Beispiel die Guerrilla Girls, ein Zusammenschluss von Künstlerinnen und Aktivistinnen, der seit den 80er Jahren dafür kämpft, dass die Frauen im Kunstbetrieb sichtbarer werden. Und natürlich aktuell Pussy Riot. Die Schau fasst also den Begriff des bösen Clowns sehr weit. Wenn man aber selbst böse sein wollte, könnte man das gesamte Phänomen des bösen Clowns auch als Dekonstruktion von Männlichkeit werten. Der Clown hat ja trotz seiner Bösartigkeit auch was Lächerliches. Er sieht nicht cool aus.
In Frankreich kommt hinzu, dass die Leute, die dort als Clowns auf der Straße rumspuken, meist noch zur Schule gehen.
Das ist ein sehr pubertäres Phänomen, absolut. Vielleicht müssen die Jungs noch nach ihrer Rolle in einer sehr komplexen Welt suchen. Und, sagen wir mal so: Es mag dann zum Beispiel verlockender sein, sich mit Joker als mit Batman zu identifizieren. Der Joker wurde von Heath Ledger in „The Dark Knight“ wirklich brilliant verkörpert, Batman kommt dagegen als echter Langeweiler rüber. Jack Nicholson stellte Joker noch als klassischen Kriminellen dar – bei Heath Ledger hat wirklich nichts mehr Geltung.
Der ist irre.
Der ist ein Psychopath. Aber, wie er es schafft, die Welt aus den Angeln zu heben, das ist schon faszinierend anzuschauen.
Seriöse Clowns-Vereinigungen beschweren sich über solche Kulturprodukte wie „The Dark Knight" oder jetzt aktuell „American Horror Show“, in denen Clowns als Bösewichte gezeigt werden.
Ich kann gut verstehen, dass die jetzt zaghaft ihren Finger heben und sagen: Aber wir sind dochnicht alle böse. Ja, sie tun mir auch fast ein bisschen leid. Andererseits wurde von einer englischen Uni vor nicht allzu langer Zeit eine Umfrage gemacht unter Kindern. Da ging es um Clowns, die in Kliniken eingesetzt werden, um gute Laune zu verbreiten. Und es hat sich herausgestellt, dass keins dieser Kinder Clowns lustig fand, eher im Gegenteil: dass sie sich vor ihnen fürchteten. Dass die sehr genau verstanden, das ist eine Maske, und man weiß nicht genau, wer dahinter steckt.
Muss man Clowns-Darstellern raten, sich vielleicht in Zukunft ein anderes Betätigungsfeld zu suchen?
Ich denke, die Clowns-Vereinigungen müssten mal darüber nachdenken, wie sie selbst ihrer Figur ein zeitgemäßeres Image verpassen könnten.
Die „United Clowns of America“, die sich über das miese Bild der Clowns in den Medien beschwert haben, leiden seit Jahren unter Mitgliederschwund. Clown scheint wahrlich kein attraktiver Beruf zu sein. Ist die Reputation der Rotnasen nun auf dem Tiefpunkt gelangt?
Das jüngste Phänomen öffentlicher Clowns-Erscheinungen ist ein Ausdruck der kontinuierlichen Verschlechterung des Images. Wie gesagt, das hat nicht plötzlich eingesetzt. Als Clownsvertreter wäre ich darüber auch nicht glücklich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands