piwik no script img

Missbrauchskandal in GroßbritannienEin unglaubliches Versagen

Zwischen 1997 und 2013 wurden 1.400 Kinder und Jugendliche in Rotherham Opfer von Vergewaltigern. Die Behörden unternahmen nichts.

Blick über Rotherham. Hier wurde lange über die Vorfälle geschwiegen. Bild: dpa

LONDON dpa | Im Skandal um sexuellen Missbrauch von 1.400 Kindern im englischen Rotherham hat der früher für Kinderschutz zuständige Polizeichef der Region um Entschuldigung gebeten. Ein Bericht über Missbrauchsfälle der vergangenen 16 Jahre hatte schwere Vorwürfe gegen Behörden und Polizei erhoben. „Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte eindeutig mehr getan werden können“, sagte Shaun Wright dem Sender Sky News.

Wright war im Stadtrat von 2005 bis 2010 für den Kinderschutz zuständig. Nachdem am Dienstag das Ausmaß der sexuellen Ausbeutung in der nordenglischen Stadt bekannt geworden war, hatten mehrere Stadträte und die Labour-Partei seinen Rücktritt gefordert.

„Ich kann nur sagen, dass das für die Polizei in South Yorkshire höchste Priorität hat“, sagte der Polizeichef. Das werde auch so bleiben, so lange er den Posten innehabe. Sein Amt niederzulegen, lehnte er ab. Der Vorsitzende des Stadtrats von Rotherham, Roger Stone, war bereits am Dienstag zurückgetreten. Ein Regierungssprecher in London nannte das Versagen der lokalen Behörden „erschreckend“.

Rotherham ist eine Stadt, die stellvertretend für den Niedergang der nordenglischen Industriekultur stehen könnte. Einst als Stadt von Kohle und Stahl berühmt, ist Rotherham jetzt wieder in den Schlagzeilen: Als Synonym für einen fast unglaublichen Skandal um den Missbrauch und die sexuelle Ausbeutung junger Mädchen.

Bewusste Zurückhaltung

Ein unabhängiger Bericht der Professorin Alexis Jay hatte am Dienstag öffentlich gemacht, dass zwischen 1997 und 2013 rund 1.400 Kinder in Rotherham Sexualstraftätern zum Opfer gefallen waren. Die Täter haben die Mädchen und Jungen demnach vergewaltigt, geschlagen und eingeschüchtert. 2010 waren bereits fünf Männer mit Wurzeln in Pakistan wegen Kindesmissbrauch verurteilt worden.

Das Ausmaß des Skandals ist aber viel größer, als damals bekannt wurde. Jay wirft den örtlichen Behörden kollektives, krasses Versagen vor. Drei interne Untersuchungen zu den Missbrauchsfällen seien bewusst zurückgehalten worden.

Kindesmissbrauch bei der BBC, Leichenschändung in staatlichen Krankenhäusern des Gesundheitssystems NHS, Affären mit Jugendlichen unter Parlamentariern in Westminster, systematischer Missbrauch in Kinderheimen in Wales, Hunderte geschändete Heimkinder in Nordirland: „Rotherham ist keinesfalls ein Einzelfall“, sagt dazu auch noch der Chef der Selbsthilfeorganisation National Association for People Abused in Childhood, Peter Saunders.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • in alle "großen" mißbrauchs-"skandale sind immer die sog. "eliten" ganz tief und von anfang an verwickelt.

    wer sich etwas genauer in die dutrox-fälle/ belgien eingearbeitet hat, kommt aus dem staunen gar nicht mehr raus.

    ausbeutung und verkauf von "sexualität" und gewalt sind genauso gut und effizient organisiert wie der drogen-, waffen- und z.b arbeitskräftehandel/ flüchtlingshandel. und diese geschäfte haben nicht die lokalen mafia-gangster oder rockergangs in der hand, das sind nur die offiziellen "ausführenden organe"...

     

    oder glaubt jemand, daß man die ca.300.000 frauen und gut 50.000 kinder, die alleine in europa pro jahr "gehandelt" werden, mittels ameisenhandel bewältigen kann, und ohne daß "staatsorgane" groß was mitbekommen?

  • Die sexuelle Gewalt wird auf vielen Wegen transportiert. Eine Schiene ist Religionsnationalismus/Sexismus, die andere ist Tourismus/Rassismus, eine weitere ist Geldgier. Kinderfeindlichkeit, Verklemmtheitsideologien und Rachsucht sind weitere. Überall werden diese Verhältnisse gezüchtet. Jede Gesellschaft hat sich zu hinterfragen, wenn sie sich als zivilisiert begreifen will. In meinen Augen gibt es nur sehr wenige wirklich zivilisierte Gesellschaften.

  • Das Phänomen der organisierten Missbrauchskriminalität ist genauso wenig eine Sache der ethnischen Herkunft oder sozialen Schicht wie der Drogenhandel. Jede/r hat da seine Funktion.

     

    Das mit der Rassismusdebatte ist ein Ablenkungsmanöver. Soll die Emotionen hoch putschen, damit nicht genauer hingeguckt wird.

     

    Hier was zu Vorfällen die vor über 20 Jahren in Großbrittanien öffentlich wurden

     

    http://www.cyber-rights.org/jetrep.htm

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

    • @Angelika Oetken:

      Das Hauptproblem ist nicht das es ein ausländischer Ring ist der Kinder mißbraucht, sondern das die Behörden nicht reagierten aus Angst Politisch nicht korrekt zu handeln wenn sie Ausländer anklagen.

      Es ist in diesem Fall also nicht so das Ausländer als Täter gesucht werden, sondern das sie Gesetze und Menschen brechen können u niemand sie verfolgte aus Angst als Rassist hingehängt zu werden.

      Ein anderer Grund war das ein linke Partei die muslimischen Wähler nicht vertreiben wollten. Und um Wählerstimmen zu bekommen haben diese Weltverbesserer 1400 Menschen zerbrechen lassen.

      Wenn Politische Correctheit dahin führt das Menschen ungleich behandelt werden zbsp. straffrei vergewaltigen, dann ist dieser Kontinent am Ende.

      • @Rainer Klartext:

        "Das Hauptproblem ist nicht das es ein ausländischer Ring ist der Kinder mißbraucht, sondern das die Behörden nicht reagierten aus Angst Politisch nicht korrekt zu handeln wenn sie Ausländer anklagen"

         

        Das behaupten diese Behördenmitarbeiter jedenfalls. Ich habe aber meine Zweifel daran. Zumal es vor diesem von Frau Prof. Jay schon zwei offizielle Berichte zu dieser in Rotherham praktizierten Form von organisierter Missbrauchskriminalität gab.

         

        Mein link geht auf eine Homepage, die auf eine Seite verweist, wo über schwere Bandenkriminalität berichtet wird. In die eine große Gruppe von Missbrauchsverbrechern verwickelt war, die über ziemlich großen Einfluss verfügt.

  • G
    Guest

    Solange Kinder nur Bürger 2.Klasse sind, wird sich nichts ändern. Kinder brauchen den gleichen Zugang zum Rechtsstaat wie Erwachsene. Und zum zweiten müssen die Schadenersatzsummen dem Leid der Opfer entsprechen - die derzeitigen Sätze sind eine Schande.

  • tagesschau.de schreibt:

    "Die zahlreichen mutmaßlichen Täter, nur fünf von ihnen wurden bisher verurteilt, stammten fast ausschließlich aus pakistanischen Familien. [...] In den Behörden, aber auch im Stadtrat wurden diese Erkenntnisse unterdrückt. Ein Mitarbeiter, der auf die ethnischen Zusammenhänge hingewiesen hatte, wurde als Rassist verunglimpft. Und die Stadtverordneten machten sich mehr Sorgen um das harmonische Zusammenleben mit Migranten als um das Schicksal der Kinder in der Stadt."

    http://www.tagesschau.de/ausland/missbrauch-rotherham-103.html

    • @Anton Gorodezky:

      Rassistische Kommentare sollten hier unterbleiben. Schon vor vielen Jahren die gleichen Vorgänge in einer nördlichen Industrie-Region Frankreichs. Kinder aus armen Familien waren die Gequälten. Ich brauche Ihre "Quellenangaben" zum Glück nicht.

      • @Pink:

        Das stimmt, rassistische Kommentare sind nicht erwünscht; bloß: wer entscheidet?

      • @Pink:

        Können Sie mir sagen, um welche Vorgänge es in frankreich ging? Ein Artikel wäre schön.

         

        Dass es ähnliche Fälle gibt, ist mir auch klar. Die Motivation hinter der Vertuschung ist stets die Sorge um eine für wichtig erachtete Institution. Beispiele finden Sie im letzten Absatz des Artikels.

         

        Offenbart hat dieser Skandal in Rotherham jetzt: auch die Sorge um die heile Multikultiwelt bringt einige Menschen dazu himmelschreiende Missstände zu vertuschen.

  • Ist es auch Zivilcourage, gegen solche Verhältnisse anzugehen?

    Nachdem der erste vernehmbar gerufen hat, dass der Kaiser ja nackt ist, ist das Erschrecken gross.