Anschläge auf religiöse Minderheiten: Muslime vermissen Mitgefühl
Ein Brandanschlag auf eine Moschee in Bielefeld versetzt die Gemeinden in Unruhe. SPD-Chef Gabriel will am Samstag einen Brandort in Berlin besuchen.
BERLIN taz | Als erster Bundespolitiker hat sich Volker Beck, der religionspolitische Sprecher der Grünen, zum jüngsten Brandanschlag auf eine Moschee in Bielefeld geäußert. „Brandanschläge auf Gotteshäuser sind Anschläge auf die Religionsfreiheit und damit auf die Grundlagen unseres Rechtsstaates und unserer Demokratie“, erklärte Beck am Mittwoch in Berlin.
Einen tag zuvor hatte es erneut einen Brandanschlag auf eine Moschee in Bielefeld gegeben – zum zweiten Mal innerhalb von acht Tagen. Der oder die Täter waren über ein Fenster in die Räume eines türkischen Kulturzentrums eingedrungen, hatten dort Korane genommen und angezündet, teilte die Polizei am Dienstag mit.
Auf ähnliche Weise war eine Woche zuvor in einem anderen türkischen Moscheeverein in Bielefeld ein Feuer gelegt worden. In beiden Fällen war der Brand frühzeitig von Anwohnern bemerkt worden, da dass die Brände gelöscht wurden, bevor die Flammen übergreifen konnten. Der Staatsschutz ermittelt jetzt.
Auch in Berlin war in der Nacht zum Dienstag, dem 11. August, ein noch im Bau befindlicher Anbau einer Moschee im Stadtteil Kreuzberg in Brand geraten, die Fassade wurde dadurch stark verrußt. Der Imam der Moschee und Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats in Deutschland, dem die Gemeinde angehört, sind überzeugt, dass es sich um einen Brandanschlag handelte. Auch die Polizei schließt eine vorsätzliche Tat nicht mehr aus, seit sie im Brandschutt auf Spuren eines Brandbeschleunigers stieß.
Fall für die Kriminalitätsstatistik
Die Zahl der Übergriffe auf Moscheen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Wurden zwischen 2001 und 2011 im Schnitt 22 Übergriffe pro Jahr registriert, waren es im Jahr 2012 schon 35 Übergriffe und 2013 sogar 37 Attacken. Das erklärte die Bundesregierung jüngst auf eine Anfrage der Linkspartei. Linkspartei und Grüne fordern, antimuslimische Übergriffe in der Kriminalitätsstatistik gesondert aufzulisten, wie das bei antisemitischen oder homophoben Straftaten bereits geschieht.
Muslimische Verbände werfen der Politik vor, auf die jüngsten Brandanschläge nicht entschieden genug zu reagieren. Aus Protest versammelten sich deshalb in der vergangenen Woche mehrere hundert Muslime zum Freitagsgebet am Brandort in Berlin, um dort demonstrativ auf der Straße zu beten.
Am kommenden Samstag will der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, zusammen mit dem SPD-Vorsitzenden und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, die betroffene Moschee besuchen. Am Dienstag besuchte Mazyek auch eine der beiden betroffenenen Moscheevereinen in Bielefeld sowie die Synagoge in Wuppertal, auf die Ende Juli ein Brandanschlag verübt worden war. Die Polizei hat in diesem Fall zwei Verdächtige fest genommen.
Als Reaktion auf den vereitelten Brandanschlag auf die Synagoge in Wuppertal und die antijüdischen Parolen, die bei manchen der vielen Demonstrationen gegen die israelischen Angriffe auf Gaza im vorigen Monat laut wurden, hat der Zentralrat der Juden in Deutschland jetzt für den 14. September eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin angekündigt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde dort eine Rede halten, teilte der Zentralrat am Dienstag mit. Als weitere Redner wurden der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider sowie der Präsident des World Jewish Congress, Ronald S. Lauder angekündigt. Die Veranstaltung steht unter dem Titel „Steh auf! Nie wieder Judenhass!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich