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Bio vs. Regio"Ökosteak aus Argentinien ist prima"

Regional sei bei Bio sei nicht immer erste Wahl, sagt Wissenschaftler Elmar Schlich. Er meint, Biofleisch aus der Ferne ist umweltschonender als das von nebenan. Wie das?

Sie hat keine Lust, zu einem Steak zu werden - egal ob öko oder nicht: Kuh in Ameghino, Argentinien Bild: ap

Herr Schlich, wenn Sie wählen können zwischen einem Steak vom Ökorind aus Argentinien und einem aus Deutschland: Welches würden Sie nehmen?

Elmar Schlich, 56, ist Professor für Prozesstechnik in Lebensmittelbetrieben an der Universität Gießen.

ÖKORECHNUNG

Sind Produkte aus fernen Ländern Öko? Dieser Frage geht der Gießener Professor Elmar Schlich nach. Sein Team ist nach Südafrika gefahren, um Ökoapfelplantagen zu untersuchen. In Neuseeland hat es sich die Aufzucht von Lämmern angeschaut. Auch die Weinproduktion kam unter die Lupe. Und immer vergleichen die Experten ihre Ergebnisse mit Daten von deutschen Biobetrieben. Ihre neue Studie über Fleisch in Argentinien bestätigt jetzt die bisherigen Ergebnisse: Für die Energiebilanz ist nicht der Transportweg entscheidend, den Unterschied macht die Technik: Je besser die Produktions- und Transportmittel ausgelastet sind, desto weniger Energie wird pro Kilo Ware verschwendet.

Elmar Schlich: Es kann gut sein, dass das Ökosteak aus der Ferne umweltschonender produziert wurde als eines aus Hessen oder aus Bayern. Sie müssen das argentinische Fleisch nicht verteufeln.

Je kürzer der Weg, desto besser - diese alte Ökoregel stimmt nicht?

Wer sagt, regional ist immer erste Wahl, verdummt die Leute.

Warum?

Ein Ökosteak aus Argentinien schafft es nur in den deutschen Supermarkt, wenn dahinter ein großer Betrieb mit professioneller Vermarktung steht. Auf ein Stück Fleisch umgerechnet, brauchen die größeren Erzeuger bis zu fünfmal weniger Energie als ein regionaler Bauer, der weniger als 80 Tiere im Stall hat.

Wo wird die Energie gespart?

In Argentinien grasen die Viecher ihr Leben lang auf der Weide. Sie brauchen kein aufwendig hergestelltes Kraftfutter, wie es Tiere in Deutschland bekommen. Und: Sie werden in großen Herden mit dem Pferd zum Schlachthof getrieben, manchmal auch per Lkw gefahren. Hierzulande lädt ein kleiner Ökobauer ein bis zwei Rinder auf seinen Hänger. Sie benötigen zudem mehr Zäune und einen Stall. Der Aufwand pro Tier ist größer.

Werden Biosteaks geflogen?

Nein, argentinische Ökorinder werden geschlachtet, geteilt, abgepackt und bei 0,5 Grad Celsius transportiert - mit dem Laster zum Hafen und dem Schiff nach Hamburg. Die Reise dauert bis zu 14 Tage. Das ersetzt das Abhängen beim Metzger. Tiefgefroren wird das Fleisch nicht.

Welche Ökoprodukte kommen per Flugzeug?

First-Flush-Tea aus Indien oder Nepal. Das versaut die Bilanz.

Andere Beispiele?

Weniger als 2 Prozent der Lebensmittel fliegen. Äpfel aus Südafrika etwa kommen per Schiff. Sie werden gepflückt und sind drei Wochen später da. So haben sie die gleiche Energiebilanz wie solche deutschen Äpfel, die monatelang in Kühlhäusern lagern.

Wie soll der Verbraucher das alles wissen?

So schwer ist das nicht. Wenn ich mit dem eigenen Auto aufs Land fahre, um mir ein Ökosteak zu kaufen, kostet das zu viel Sprit. Supermärkte haben meistens die effizienteste Logistik. Auf dem Wochenmarkt bekommen Sie nicht das energetisch günstigste Fleisch: Bauern karren ihre Produkte in Kleintransportern an.

Was mache ich, wenn mir kleine Höfe mit Kuh, Wiese und Apfelbaum wichtig sind?

Klar: Der Landwirt hat eine landschaftspflegerische Aufgabe. Wir wollen alle gute Luft und guten Boden. Ich will das nicht dem einzelnen Bauer anlasten.

Was muss die Politik tun?

Viele Landwirte wissen gar nicht, wie viel Energie sie brauchen, um ein Kilo Fleisch zu produzieren. Da sollte es Beratungsangebote geben. Es kommt auf eine gut durchdachte Logistik an.

Das heißt?

Von zu kleinen Betrieben muss der Ökoaufkleber ab. Mehr Kooperationen und Genossenschaften würden schon helfen.

INTERVIEW: HANNA GERSMANN

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6 Kommentare

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  • NJ
    Niels Jungbluth

    Die Arbeiten von Herrn Prof. Schlich werden seit Jahren in der Fachwelt kritisch diskutiert (siehe z.B. http://www.esu-services.ch/download/demmeler-2005-natur+landschaft.pdf oder http://www.esu-services.ch/download/jungbluth-2005-letter.pdf. Es handelt sich hierbei nicht um Ökobilanzen. Vielmehr werden nur einige Energieverbräuche auf dem Lebensweg zusammenaddiert. Vor diesem Hintergrund sind Aussagen zu ökologisch oder nicht, nicht möglich. Ich hätte mir von der taz eine etwas differenziertere Berichterstattung erhofft. Es gibt zu diesem Thema eine Reihe von wissenschaftlich fundierten Arbeiten, die aufzeigen das derart einfache Schlussfolgerungen oftmals nicht möglich sind.

  • BK
    Barbara Kirsch

    Nur eine von vielen Fragen zu diesem Artikel: Äpfel aus Südafrika werden nach dem Eintreffen in Deutschland nicht mehr monatelang in Kühlhäusern aufbewahrt? Naja... Ich frage mich, von wem Herr Schlich für diesen Beitrag bezahlt wurde.

  • I
    I.C.

    Wenn hier schon mit Ökobilanzen argumentiert wird, sollte doch bitte auch die Abholzung von Flächen für die Rindviehhaltung in vilen Bereichen Südamerikas einbezogen werden.

    Zudem wird hierzulande extensiv gehaltenes Rindvieh häufig in Weidehaltung und mit Eigenfutter, keinesfalls aber mit teurem Kraftfutter ernährt. Das bleibt in erster Linie den Milchkühen vorbehalten. Für die Einfuhr des Winterfutters ist allerdings ein Energieaufwand erforderlich. Das ist tatsächlich ein Nachteil in unseren Breiten.

    Auch die Behauptung, die Landwirte wüssten nicht, wieviel Energie die Aufzucht eines Tieres benötigt, halte ich für eine Fortführung "Dummer-Bauern-Theorien". Heutzutage müssen die Landwirte sehr betriebswirtschaftlich denken, und viele kennen ganz genau die Bilanzen. Die landwirtschaftlichen Beratungsringe rechnen sie ihnen sicher auch regelmäßig vor.

    Ich wünsche mir in solchen Beiträgen doch ein bischen mehr ganzheitliche Sachkenntnis und Differenziertheit!

  • TK
    T. Kanne

    "First-Flush-Tea aus Indien oder Nepal" wird nicht geflogen! Er wird über die Teebörse in Calcutta gehandelt und per Schiff nach Hamburg gebracht.

  • MR
    Matthias Riedel

    Das zeigt mal wieder die egoistische Ausrichtung mancher Protagonisten des Biolandbaus - Das Ökosiegel sollte aberkannt werden? Es gibt kein Ökosiegel, sondern nur ein Biosiegel, und da spielen Energieaspekte überhaupt keine Rolle. Leider eigentlich, dann aber sollten noch vielmehr Ökosapekte berücksichtigt werden. Nicht nur, dass Kleinbetriebe verstärkt Naturschutzbedeutung haben, auch sollte eine Sozialökologie bedacht werden: Auch Menschen gehören als solche is Ökosystem und nicht nur ins Wirtschaftssystem. Mit dem gezeigten Ansatz wird die kapitalistische Verwertungslogik nur um den Faktor der Energieeffizienz vermengt, ohne auf ökologische Füße gestellt zu werden. Auch fehlt mir die Differenzeirung der hießigen Betriebe: Auch hier wird vielerorts Rindfleisch in Weidehaltung - genau wie in Argentinien. und den Kelintransporter aufzurechnen gegen ein Schiff ist doch etwas abstrus.

    Man sollte so weltfremden doofdenkern nicht zuschnell das Wort überlassen.

  • WH
    Wolf-Dietich Hutter

    Sehr gehrte Damen und Herren von der taz,

    sehr gehrte Hanna Gersmann,

     

    leider leistet die taz in ihrer Berichterstattun über die Energiebilanz von regionalen vs. internationalen Bio-Betrieben wieder einmal dem Eindruck vorschub, dass auch der Konsum von Öko-Lebensmiteln aus Übersee nachhaltig sei. Dabei wäre es ein leichtes gewesen, anhand des seit 1993 jährlich veröfentlchten kritischen Agrarberichtes die methodischen Kritikpunkte an den Studien von Prof. Schlich darzustellen. Die Studien folgen nicht durchgehend der Ökobilanzmethodik, sondern geben "nur" eine Endenergiebilanz wieder. Außerdem wird in der wissenscahftlchen Debatte die Auswahl der Betriebe als nicht repräsentativ kritisiert. Dass auf solch einer schwankenden wissenschaftlichen Grundlage ausgrechnet die taz die in den Neoliberalen Manstream passenden thesen verbreitet ist schon eine Enttäuschung. Leider wird Die Idee einer "Ecology of Scale" wird trotz zweifelhafter wissenschaftlicher Absicherung immer wieder einmal von der taz propagiert. Wer hier wohl den Verbraucher verdummt und welche Interessen wohl dahinter stehen? Zumindest eine Darstellung mit Argumenten Pro und Contra wäre das mindeste gewesen. Aber diesmal haben Sie sich wohl wieder für die reißerische Aufmachung und gegen die sachliche Debatte entschieden. Schade!