Nach dem Grubenunfall in der Türkei: Grubenmanager festgenommen
Die Führung des Grubenbetreibers ist festgenommen, und Soma bleibt abgeriegelt. In Istanbul planen Gezi-Aktivisten unterdessen weiteren Protest.
![](https://taz.de/picture/110039/14/soma_0243.jpg)
ISTANBUL taz/afp/rtr | Fünf Tage nach dem folgenschwersten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei sind laut Medienberichten 24 Menschen festgenommen worden, darunter die Führung des Zechenbetreibers. Die Staatsanwaltschaft wolle Haftbefehl gegen fünf Manager der Betreiberfirma beantragen, unter ihnen Generaldirektor Akin Celik, berichtete der türkische Fernsehsender NTV.
Dutzende Staatsanwälte waren am Freitag mit den Ermittlungen zum Bergwerksunglück von Soma beauftragt worden, bei dem am Dienstag nach amtlichen Angaben 301 Bergarbeiter getötet wurden. Laut türkischen Medienberichten werfen die Ermittler den Betreibern der Zeche Fahrlässigkeit vor. Die Regierung in Ankara hatte dem Bergbauunternehmen Soma Kömür Isletmeleri dagegen tagelang öffentlich bescheinigt, nicht gegen Sicherheitsauflagen verstoßen zu haben.
Die Zeitung Milliyet verwies am Samstag unter Berufung auf einen vorläufigen Ermittlungsbericht auf zahlreiche Sicherheitsmängel in der Grube, etwa das Fehlen von Rauchmeldern oder Fluchträumen. Grubenchef Alp Gürkan hatte sich 2012 damit gebrüstet, die Produktionskosten von 130 Dollar (rund 95 Euro) auf 24 Dollar pro Tonne gesenkt zu haben.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte bei einem Besuch in Soma am Mittwoch Grubenunglücke als unvermeidbar bezeichnet und damit wütende Massenproteste ausgelöst.
Soma ist abgeriegelt
Am Sonntag blieb Soma zur Unterdrückung von Protesten abgeriegelt. Hunderte von Polizisten patrouillierten seit Ende der Bergungsarbeiten am Samstag in den Straßen, während andere an der Zufahrtstraße Ausweise kontrollierten.
Sogenannte „Provokateure“, sagte der zuständige Polizeichef, würden nicht mehr in die Stadt gelassen. Wer damit gemeint ist, musste am Samstag eine Gruppe linker Anwälte aus Istanbul feststellen, die in Soma Angehörige von Opfern des Unglücks bei den bevorstehenden Verhandlungen um Entschädigungen beraten wollte. Die Anwälte wurden am Ortseingang festgehalten und weil sie sich angeblich weigerten sich auszuweisen, in eine abgedunkelte Lagerhalle verschleppt und verprügelt. Einer der Anwälte musste anschließend mit einem gebrochenen Arm ins Krankenhaus, die anderen mussten die Stadt verlassen.
Angehörige von Opferfamilien reden seit Freitag nicht mehr mit der Presse, weil sie von der Minengesellschaft und der Polizei unter Druck gesetzt werden. Sie haben Angst, die in Aussicht gestellte Entschädigung zu verlieren.
Auch am Sonntag kontrollierte die Polizei die Stadtgrenzen von Soma. Alle ortsfremden Fahrzeuge wurden angehalten und durchsucht. Türkische Reporter berichten, die Menschen von Soma seien mittlerweile so eingeschüchtert, dass niemand mehr wagt den Mund aufzumachen.
Vorbereitungen für den Gezi-Jahrestag
Doch nicht nur in Soma versucht die Polizei, Proteste gegen die dreiste Haltung der Regierung, die jede Verantwortung für die Katastrophe kategorisch zurückweist, zu unterdrücken. In Istanbul, Ankara, Izmir und weiteren Städten wurden Demonstrationen und andere Proteste mit dem Einsatz heftiger Polizeigewalt unterbunden.
Selbst stumme Trauer ist nicht erlaubt. Als am Freitagabend im Istanbuler Stadtteil Kadiköy hunderte junge Leute eine lange Schlange bildeten, Kerzen aufstellten und sich auf die Straße setzten, schritt die Polizei ein und prügelte die Jugendlichen aus dem Weg.
Am Sonntagnachmittag findet erstmals seit Monaten wieder eine große Versammlung verschiedener Gezi-Initiativen in einem Park in Istanbul statt. Es sollen Vorbereitungen für den Jahrestag am 31. Mai und Reaktionen auf das Unglück in Soma diskutiert werden.
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