Gesetzentwurf zum Mindestlohn: Elf Fragen und Antworten für 8,50 €
Ausnahmen, Profiteure und Stufen hin zum Mindestlohn: Die neuen Regelungen werfen jede Menge Fragen auf, einige davon beantworten wir hier.
Wer hat Anspruch auf 8,50 Euro brutto in der Stunde? Grundsätzlich alle Arbeitnehmer in sämtlichen Branchen. Dazu zählen auch Personen, die mit einem Werkvertrag arbeiten. Aber es gibt trotzdem Ausnahmen.
Aha! Wer geht leer aus? Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten, in denen sie auf einer neuen Stelle arbeiten. Als langzeitarbeitslos gilt, wer offiziell ein Jahr lang arbeitslos war. Zuletzt waren das rund eine Million Personen.
Und wer muss noch verzichten? Zum einen Lehrlinge und ehrenamtlich Tätige. Sie sind keine Arbeitnehmer. Außerdem profitieren Jugendliche unter 18 Jahren nicht von den 8,50 Euro. Damit will die Bundesregierung verhindern, dass junge Erwachsene eine Ausbildung verschmähen, weil ihnen ein okay entlohnter Schülerjob wichtiger ist.
Etwas knifflig wird es bei den Praktikanten: Jugendliche, die ein Pflichtpraktikum für die Schule, im Rahmen der Ausbildung oder für das Studium absolvieren, haben keinen Anspruch auf 8,50 Euro. Wer freiwillig zur Orientierung für eine Lehre oder ein Studium oder ausbildungs- oder studienbegleitend ein Praktikum absolviert, hat zumindest in den ersten sechs Wochen keinen Anspruch auf den Mindestlohn. Danach schon.
Wieviele werden profitieren? Nach unterschiedlichen Studien gab es 2012 zwischen 5,2 und 6,6 Millionen Beschäftigte, die für weniger als 8,50 Euro in der Stunde gearbeitet haben. Bundesarbeitsministerin Andreas Nahles (SPD) geht davon aus, dass zum 1. Januar 2015 erst einmal 3,7 Millionen Menschen mehr Geld verdienen werden.
Ab wann gilt das ganze? Eigentlich ab 2015. Allerdings kann es in einzelnen Branchen bis 2017 dauern. Aber nur, wenn in diesen Branchen Tarifverträge existieren und sich repräsentative Tarifpartner darin auf Löhne von weniger als 8,50 verständigt hatten. Außerdem ist eine Voraussetzung, dass dieser Lohn bundesweit gilt. Das ist etwa in der Leiharbeit der Fall. Oder bei den existierenden Branchenmindestlöhnen.
Was soll denn diese Regelung? So sollen sich Arbeitgeber Schritt für Schritt auf höhere Löhne einstellen können. Laut Bundesarbeitsministerium möchte jetzt etwa auch die Taxibranche noch schnell einen Tarifvertrag abschließen, um so erst ab Januar 2017 8,50 Euro bezahlen zu müssen.
Wer kontrolliert, ob Mindestlöhne gezahlt werden? Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die beim Zoll angesiedelt ist. Das Bundesarbeitsministerium hat angekündigt, das Personal aufzustocken. Um wieviele Personen, ist noch unklar. Auch Telefonhotlines, bei denen Beschäftigte Mindestlohnverstöße melden können, waren im Gespräch.
Werden Verstöße bestraft? Ja. Strafen schwanken je nach Art des Verstoßes zwischen 30.000 und 500.000 Euro.
Wann und wie wird der Mindestlohn erhöht? Frühestens ab 2018. Eine sogenannte Mindestlohnkommission, die sich das erste Mal Mitte 2017 zusammen setzt, soll dafür Vorschläge liefern. In ihr werden jeweils drei stimmberechtigte Mitglieder von den Arbeitgebern und von den Gewerkschaften sitzen. Zudem noch Wissenschaftler ohne Stimmrecht. Die Kommission muss Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fällen. Im Zweifel entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Auf ihn müssen sich die Tarifpartner gemeinsam einigen. Können sie das nicht, benennt jede Seite einen Vorsitzenden. Sie wechseln sich dann an der Spitze ab.
Wird die Arbeitslosigkeit steigen? Das Bundesarbeitsministerium sagt: Nein. Denn: schon jetzt existieren in Deutschland 16 Branchenmindestlöhne. Etliche davon wurden in ihrer Wirkung genauer untersucht. Das Ergebnis: sie haben keine Arbeitsplätze vernichtet. Auch die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass Mindestlöhne in der Summe keine Arbeitsplätze kosten. Allerdings werden Betriebe, die ihr Geschäftsmodell allein auf Dumpinglöhne gründen, untergehen. Dafür könnten sich neue Unternehmen am Markt etablieren. Damit ein Mindestlohn keine Jobs kostet, sind aber gute Kontrollen wichtig. Denn wer den Mindestlohn unterläuft, verschafft sich Wettbewerbsvorteile – das kann genau solche Unternehmen in die Pleite treiben, die die 8,50 Euro bezahlen.
Was steht noch im Gesetz? Zwei Dinge, die die Position von Beschäftigten stärken. Zum einen soll es künftig einfacher werden, für weitere Branchen Mindestlöhne zu erlassen, die über 8,50 Euro liegen. Das geht aber nur, wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften darüber einig sind. Außerdem soll es künftig auch einfacher möglich sein, einen existierenden Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären. So könnte etwa ein Tarifvertrag im Einzelhandel eines Bundeslandes künftig für alle Einzelhandels-Beschäftigten dieses Bundeslandes gelten – egal, ob diese bisher von einem Tarifvertrag und seinen (besseren) Vorgaben erfasst wurden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit