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Urteil zum Gebaren im StadionWer „Nazi“ ruft, muss zahlen

Ein sächsisches Sportgericht findet „Nazi“-Rufe in Stadien diskriminierend – und verurteilt den betroffenen Klub. Der Verein empfindet das als „Hohn“.

Vorsicht mit solchen Äußerungen im Fußballstadion Bild: dpa

LEIPZIG taz | Mittwochabend, Sportgerichtsverhandlung in Leipzig. Der Fußballverein BSG Chemie Leipzig musste sich wegen „diskriminierender Äußerungen“ einzelner Fans vor dem Sportgericht des Sächsischen Fußballverbands (SFV) verantworten.

Bei einem Heimspiel gegen den Verein Frisch Auf Wurzen Mitte Oktober riefen laut Schiedsrichterbericht zwei Anhänger der BSG Chemie „Nazi-Schwein“, ein dritter „Nazi-Bastard“ in Richtung der gegnerischen Spieler. Adressat der Rufe: der Wurzener Torwart Mathias Möbius, der nicht auf dem Platz war, sich aber im Stadion befand. Möbius sitzt seit 2009 für die NPD im Stadtrat von Wurzen.

Der Schiedsrichter veranlasste daraufhin eine Stadiondurchsage, dass derlei Äußerungen zu unterlassen seien. Die Wurzener Spieler verließen den Platz. Begründung: Die Situation wäre so aufgeheizt und gefährlich, dass ein Weiterspielen nicht möglich wäre. Der Schiedsrichter sah das anders, deshalb wurde das Spiel im Nachgang am Grünen Tisch mit 2:0 für Chemie entschieden.

Doch damit war die Sache für den SFV nicht erledigt. Der Staffelleiter beantragte ein Verfahren. Chemie sollte sich für die „diskriminierenden Äußerungen seiner Fans“ verantworten. Nach dem Vorbild der Antidiskriminierungsregeln des DFB hat mittlerweile jeder Landesverband einen ähnlichen Passus aufgenommen, um Urwaldschreie und Bananenwürfe, schwulenfeindliche und antisemitische Gesänge in den Stadien zu unterbinden.

BSG muss 500 Euro zahlen

Die Verteidigung der BSG Chemie wollte deshalb zu Beginn des Verfahrens klären lassen, inwiefern die Zurufe aus dem Fanblock überhaupt als diskriminierende Äußerung bewertet werden können. Eine Auseinandersetzung darüber wollte der vorsitzende Richter Steffen Haber nicht führen. In der gut zweieinhalbstündigen Verhandlung sollte nur geklärt werden, inwiefern dem Verein die Verantwortung für diese Äußerungen angelastet werden kann. Und siehe da: Die BSG Chemie Leipzig wurde zur Zahlung von 500 Euro in einen Fond für antidiskriminierende Arbeit im sächsischen Fußball verdonnert.

„Ein Hohn“, sei das, sagte Geschäftsführer der BSG Chemie, Henry Aulich. „Unser Verein engagiert sich seit Langem gegen Rassismus und Diskriminierung im Fußball, während viele Vereine und Funktionäre oft wegschauen.“

Tatsächlich sieht es oft so aus, als versuchten die Verbände und Vereine derlei Probleme lieber durch Nichtbeachtung zu erledigen. 2011 entschied das sächsische Sportgericht nach einem Pokalspiel zwischen der SG Leipzig-Leutzsch und Roter Stern Leipzig, dass rassistische Gesänge der Leutzscher Fans folgenlos bleiben. Trotz mehrerer Zeugen und Videoaufnahmen war das Gericht damals der Meinung, es habe keine hinreichende Gewissheit für ein Fehlverhalten des Vereins gegeben.

Anwältin: Das Verfahren ist eine Farce

Auch die Chemie-Anwältin Rita Belter zeigte sich vom Ausgang des Verfahrens enttäuscht. „Das Gericht hat nicht verstanden, dass es einen Unterschied gibt zwischen einer diskriminierenden Äußerung und einem, wenn auch möglicherweise als beleidigend empfundenem Werturteil.“ Das Verfahren sei auch deshalb eine Farce, weil sich nicht mal ein Geschädigter gefunden habe.

Zu diesem Urteil passt der Trend, Vereine und Fangruppen aus den Stadien zu drängen, die offen gegen diskriminierendes Verhalten auftreten. Die Fans von Roter Stern Leipzig haben laut Geschäftsführer Adam Bednarsky immer wieder Probleme, ein Transparent mit der Aufschrift „love football hate facism“ mit ins Stadion zu nehmen. In der Logik der Funktionäre ziehen solche Statements erst die Rechten an.

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36 Kommentare

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  • Ohne den nachgereichten Kontext ist das Urteil tatsächlich nachvollziehbar. Auch linke Schreihälse dürfen im Sinne der Gleichheit abgewatscht werden.

     

    Schade nur, daß mit Gleichheit in Sachsen wohl kein Staat zu kaufen ist.

  • CG
    Clemens Grün

    Liebes sächsisches Sportgericht, wahrscheinlich weißt Du nicht einmal, was Attitüde heißt...

  • CS
    Cülcan Semroglu

    Also wenn mich einer als "Arschloch", beleidigt, aber nachher meint er hätte jemand anderen, nicht vor Ort seienden gemeint, erfüllt das trotzdem den Tatbestand der Beleidigung. BITTE mal Hirn einschalten und den hier vorliegenden KONKRETEN Sachverhalt beurteilen und nicht Pantasiesachverhalte.

    • E
      elf
      @Cülcan Semroglu:

      aber cülcan, es hat hier doch gar keiner "arschloch" gesagt. bleib du doch bitte selbst beim konkreten sachverhalt.

  • N
    noeffbaux

    "Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz." (Slime)

     

    Kombinieren wird das mit der Tatsache, dass Nazis hierzulande nach dem Krieg problemlos Kanzler werden konnten, so bemerken wir eine große Kontinuität... schöne Scheiße!

  • Es ist unerträglich, wie eine gute Sache, nämlich der antifaschistische Widerstand und die internationale Solidarität, missverstanden wird. Keine Toleranz für solche Leute, das verbietet die Erbschuld.

     

    Wenn man die Erbschuld analysiert, zeigt sich doch wie berechtigt dies alles ist!

    • C
      cosmopol
      @Claudia Cometh:

      Erbschuld ist auch so ne Nazifloskel. Was darfs sonst noch sein als nächstes? Dolchstoßlegende? Weltverschwörung?

  • E
    elf

    furchtbar. nazi-richter, nazi-funktionäre und die npd im stadtrat. gute nacht, deutschland.

  • H
    Hunter

    Oh Gott, ich schäme mich in Grund und Boden, wenn man wachen auges verfolgt, wie der Mainstream nach Rechtsaußen kippt.

     

    Das Urteil ist eine Farce! Es gibt gute Gründe sich für eine solche Justiz zu schämen und sich vor ihren politischen Vorlieben zu fürchten.

  • H
    Hans

    Sächsische Justiz! Was soll man da noch sagen.

     

    Man sollte überlegen, ob man Justitia-Statuen in Sachsen nicht umarbeitet. So mit Augenbinde über dem rechten Auge und statt Schwert in der rechten Hand nen Führergruß.

     

    Bei all den Beteuerungen der Bundes-/Landespolitik, wenn in der sächsischen Justiz nicht mal aufgeräumt wird, ist alles gesagte der Regierenden hierzu Heuchelei.

    • C
      cosmopol
      @Hans:

      Ob das reicht? "Sächsische Demokratie" ist nicht umsonst zum geflügelten Wort geworden...

  • P
    Pille

    "love football hate facism" - und was hat sowas im Station zu suchen?

    Ich dachte immer da geht es um Fussball spielen. Ich scheine zu irren, geht wohl um politische Statements.

     

    Vielleiht sollten die einfach die 22 Spieler und Unparteiischen weglassen und statt dessen ein paar Staatsanwälte und Richter auf den Platz lassen. Dann können sich die Idioten beider Lager (Links und Rechts) so viel prügeln, beschimfpen und beleidigen wie sie wollen.

    • C
      cosmopol
      @Pille:

      Wer Fußball für unpolitisch hält, hat weder das Phänomen Fußball noch Politik verstanden. Es gibt auch wohl kaum ein Spiel in dem sich irgendeine Fangruppierung nicht irgendwie politisch äußert, und sei es zu Stadionverboten, Pyrotechnik etc.

      Größere Spiele sind seit jeher Tribüne für Politiker*innen aller Art.

      Die Frage ist halt einfach nur, wie positionieren sich Verein, Spieler*innen und Fans. Fußball findet nie im leeren Raum statt, und ein unpolitischer Anstrich taugt nur als angeblich "ideologiefreies" Deckmäntelchen.

    • D
      DasNiveau
      @Pille:

      "Vielleiht sollten die einfach die 22 Spieler und Unparteiischen weglassen und statt dessen ein paar Staatsanwälte und Richter auf den Platz lassen."

       

      Die 22 Spieler können bleiben. Aber einen Unparteiischen zu fordern ist schon ein starkes Stück.

  • K
    Kimme

    "Zu diesem Urteil passt der Trend, Vereine und Fangruppen aus den Stadien zu drängen, die offen gegen diskriminierendes Verhalten auftreten." Diese Aussage ist ausgemachter Blödsinn und reine Propaganda. Zum Glück ist nämlich gegenteiliges der Fall.

     

    Wo in dem oben genannten Fall die Diskriminierung liegt, kann ich nicht erkennen. In meinen Augen handelt es sich lediglich um eine Beleidigung. Ähnlich sehe ich es aber auch mit dem N-Wort oder dem Begriff Mohr, mit dem nicht zwangsläufig eine beleidigende Äußerung gemeint ist, sondern lediglich di Beschreibung eines äußeren Erscheinungsbildes (wie Kaukasier oder Asiat).

    • AA
      Antwort auf Kimme
      @Kimme:

      Das "N-Wort" soll keine Diskriminisierung sein? Eine Diskriminierung ist, wenn ein Mensch wegen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe herabgesetzt wird. Dazu zählen auch Beleidigungen! Und dads N-Wort IST beleidigend!

      • AC
        ay carramba
        @Antwort auf Kimme:

        öhm, dann darf ich also auch Rassisten nicht mehr so nennen, weil es da mehr als einen gibt? Auch wenn sie offenkundig rassistisch handeln und/oder äußern? Dann ist also die zuschreibung zu einer Gruppe eine Beleidigung? Dann darf ich also auch niemanden mehr Mann oder Frau nennen? Ja, da geht die Sonne der Rationalität aber sowas von am Horizont auf

  • K
    Kaboom

    Schulterzuck .... Sachsen halt. Wo man - wie der Pfarrer Lothar König - mit einem Bein im Gefängnis steht, wenn man sich gegen die Faschos engagiert.

    • D
      DasNiveau
      @Kaboom:

      Wobei es bei Ihm eher um das "Wie" als um das "Was" geht.

      Mit Straftaten protestiert man halt nicht sonderlich gut gegen andere Straftäter.

      • H
        Hans
        @DasNiveau:

        Und wer hat bisher diese Straftaten nachgewiesen? Wurde König verurteilt?

         

        Unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist.

        • D
          DasNiveau
          @Hans:

          Darum ist er ja nicht verurteilt.

  • J
    Jo

    @Hanswurst

    Einen Nazi als solchen zu bezeichnen ist keine Diskriminierung.

  • RD
    Rainbow Dash

    Ein treffendes Bild einer Republik, die sich mit ihren Nazis nie, auch nur ansatzweise, auseinandergesetzt hat sondern sich des Problems der faschistischen Vergangenheit nur durch stereotype Bilder entledigt hat. Nazis, das sind in den Augen der meisten Deutschen halt irgendwelche Arbeitslosen Gewalttäter, nicht der nette Herr von der NPD, der gegen Juden und Ausländer poltert, wie sie es selber am Stammtisch auch tun. Folglich ist es auch "diskriminierend", einen NPD Anhänger als das zu bezeichnen, was er ist: ein Nazi.

     

    Das beliebte "Ich bin ja kein Nazi, aber" dem dann in der Regel eine Bilderbuch-demonstration faschistischer Positionen folgt ist nicht mehr als Selbstbetrug, vergleichbar mit jemandem, der aus einem VW heraus behaupten würde, er führe ja kein Auto.

    • @Rainbow Dash:

      Seit meiner Grundschulzeit vergeht nicht EIN Tag an dem ich nicht mit diesem Thema konfrontiert werde. Und nun kommen Sie und sabbeln was von "nie, auch nur ansatzweise, auseinandergesetzt"?

      Leute wie Sie sind Schuld daran, dass es den Otto-Normalos langsam zum Halse heraushängt und sie immer abgestumpfter werden.

      • H
        Hinternknochen
        @8ack80n3:

        da verkehren Sie Ursache und Wirkung. DASS die Otto-Normalos so abgestmpft sind ist das Problem, und man die immerimmergeliche braune Soße hochkochen sieht und hört, vollkommen ungetrübt von historischem Wissen und Fakten hinsichtlich des NS und deren Kontinuitäten nach dessen Niederlage im heiß ersehnten Endkampf. DAS hängt den NICHT abgestumpften NICHT-Ottonormalos zum Halse raus

      • C
        cosmopol
        @8ack80n3:

        Tja, der Kommentar ist eigentlich der beste Beleg dafür das sich damit nicht auseinandergesetzt wurde. Den armen deutschen "Otto-Normalos" wird das Thema ja von außen aufgedrückt, wie könnten sie sich auch von sich aus den Ursachen für den durch ihre Großeltern verübten Genozid und deren faschistischer Ideologie annehmen... ist dasselbe wie das "Erbschuld"-Argument weiter oben in Grün und wunderbar dazu geeignet die braune Bande zu rehabilitieren. "Jetzt ist aber langsam mal gut," muss mensch sich erstmal leisten können.

  • H
    hanswurst

    Das hört sich an wie Kopftuch verbot aber NPD bleibt.

    • M
      Mambo
      @hanswurst:

      Die Entscheidung des Sportgerichtes ist sowas von Weltfremd. Da muss man sich echt fragen ob diese Richter schon jemals ein Fußballspiel besucht haben. Nach deren Logik müsste dann jedes Spiel vor dem Sportgericht enden, wenn jetzt schon wegen Zurufe einzelner Personen die Vereine verdonnert werden. Das man jetzt noch meint Nazis schützen zu müssen, spricht für sich.

    • D
      DasNiveau
      @hanswurst:

      Für mich klingt das eher nach "Wenn man die "Richtigen" diskriminiert ist es ja gar keine Diskriminierung"

       

      Nun noch die recht Diskiminierung bekämpfen und alles ist im Lot.

      • @DasNiveau:

        Was ist daran diskriminierend, einen Nazi als Nazi zu bezeichnen? NPDler sind Nazis.

        • V
          Vector
          @Fred Ferington Frost:

          Nein aber sie haben ein Schwein als Nazi bezeichnet und das geht ja wohl mal gar nicht.

      • E
        Erdrotationshamster
        @DasNiveau:

        Was bitte ist daran diskriminierend wenn man einen Nazi Nazi nennt?

        • D
          DasNiveau
          @Erdrotationshamster:

          Auch an Fred

           

          Das gleiche wie bei einem dummen Schwein. Der Betitelte mag sowas sein, aber eine Beleidigung ist es trotzdem.

           

          Außerdem wird der Begriff viel zu inflationär gebraucht. Man kann nicht umsonst wegen Beleidigung dafür belangt werden.

          • E
            elf
            @DasNiveau:

            ach ja? warum ist dann sozi keine beleidigung? ganz einfach: nazi ist eine beleidigung, wegen dem was die nazis getan haben und tun, wegen ihrer menschenverachtenden weltanschauung. die npd ist, das weiss jedes kind, die nachfolgerin der nsdap, die ihr faschistisches gedankengut unter einem demokratischen deckmäntelchen nur notdürftig verbirgt. einen menschen schwein zu nennen, ist herabwürdigend. einen nazi nazi zu nennen, hingegen nicht.

            • D
              DasNiveau
              @elf:

              Ich empfinde Sozi allerdings nicht gerade schmeichelnd.

              Nazi ist außerdem eine Beleidigung weil es die nicht schmeichelhaft gemeinte amerikanische Verkürzung von nazionalsozialist ist.

              • E
                elf
                @DasNiveau:

                wie soll auch eine verkürzung von nationalsozialist schmeichelhaft sein wenn schon nationalsozialist ein anderes wort für menschenverachtung ist?