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Union und SPD vor Sondierung – Teil 2Merkels verflixte Austeritätspolitik

Energie, Verkehr, Familie und Geschlechter, Migration, Europa. Am Freitag beginnen Union und SPD Sondierungen. Wo wird welche Partei einknicken?

Daumen hoch für Schwarz-Rot: Mal sehen, ob's hilft Bild: dpa

BERLIN taz | Eigentlich wollte die Union weiter mit der FDP regieren – und die SPD zusammen mit den Grünen. Jetzt aber müssen die beiden großen Parteien ohne Juniorpartner um Posten und Inhalte würfeln. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte:

Energie

CDU/CSU: Die Union setzt sich für eine Energiewende „mit Augenmaß“ ein – und will energieintensive Betriebe entlasten. Wichtiges Stichwort ist die Planungssicherheit, die für Besitzer von Erneuerbare-Energien-Anlagen ebenso gelten soll wie für Betreiber der teuren Windkraftanlagen auf hoher See. Gesucht wird ein geeignetes Endlager für den Atommüll.

SPD: Die Sozialdemokraten sehen den deutschen Atomausstieg und die Energiewende als Signal an die Welt – wollen aber eine „grundlegende Reform“ des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Dabei müssten Strompreise und Versorgungssicherheit mehr Beachtung finden. Das Atommüllendlager soll in einem gesellschaftlichen Konsens gefunden werden.

Fazit: Wichtige Punkte wie die Reform des EEG sind zwischen beiden Lagern nicht umstritten. Betreiber von Kohlekraftwerken haben nichts zu fürchten. Strittig sind allerdings Details, vor allem im Konflikt mit den Bundesländern, die für die Erzeuger vor Ort kämpfen. Auch in der Endlagerfrage oder beim Fracking gibt es Differenzen. Die Sozialdemokraten wollen zudem die Stromsteuer senken. ROT

Verkehr

CDU: Die CDU sieht sich als Sachwalterin der Mobilität für alle Bürger. Den Investitionsstau – viele Straßen und Brücken sind marode – will sie mit einem Sonderprogramm beheben. In der Bahnpolitik setzt die CDU auf die bundeseigene Deutsche Bahn AG.

CSU: Die CSU unterscheidet sich von ihrer Schwesterpartei kaum – bis auf eine Ausnahme: Sie möchte eine Pkw-Maut einführen, damit ausländische Autofahrer in Deutschland ebenso zur Kasse gebeten werden wie deutsche in vielen Nachbarländern. Das ist jedoch europarechtlich nicht möglich.

SPD: Die SPD baut auf eine „leistungsfähige Infrastruktur“. Die Mobilität solle bezahlbar und umweltschonend sein. Eine Pkw-Maut lehnt sie ab.

Fazit: In der Verkehrspolitik ziehen beide Volksparteien an einem Strang, auch wenn die SPD im Tonfall ein bisschen ökologischer ist. Das bedeutet: Es gibt ein „Weiter so!“ und keine Verkehrswende, wie sie Ökofreunde wünschen. Einziger Streitpunkt ist die Pkw-Maut – aber das war vor vier Jahren auch nicht anders. Mal sehen, welchen (Formel)Kompromiss es diesmal gibt. ROT

Familie und Geschlechter

Union: Die CDU-Frauen wollen es nicht, aber die CSU wacht über das Betreuungsgeld wie über den Heiligen Gral. Die CDU-Frauen stimmten ihm damals nur zu, weil sie im Gegenzug höhere Renten für Mütter bekommen sollten (siehe Rente). Mal sehen, was der Deal heute wert ist. Das Ehegattensplitting will die Union zum Familiensplitting umbauen. Eine feste Quote für Aufsichtsräte soll es ab 2020 geben.

SPD: Sie will die Ganztagsbetreuung stärker ausbauen. Eine Geldquelle wäre die Abschaffung des Betreuungsgeldes, eine andere die des Ehegattensplittings. Die SPD will zudem noch ein Lohngleichheitsgesetz und „gendern“: bei allen Vorhaben die Wirkung auf Männer und Frauen bedenken.

Fazit: In der Familienpolitik kommt nicht viel Neues. Das Betreuungsgeld bleibt, das Ehegattensplitting bleibt mangels Einigung, die Ganztagsbetreuung dümpelt weiter vor sich hin. Die Quote steht auf der Agenda – allerdings auf der von 2020. Ein von der SPD gewünschtes Lohngleichheitsgesetz hat kaum eine Chance. Genderwissen könnte in den SPD-Ministerien wieder eine Rolle spielen. OES

Migration

Union: Doppelte Staatsbürgerschaften will die Union weiter nur im Ausnahmefall hinnehmen. Kinder von Einwanderern, die hier geboren sind, sollen sich spätestens mit 21 für einen Pass entscheiden.

SPD: Die SPD hat die Forderung, die doppelte Staatsbürgerschaft generell zuzulassen, im Wahlkampf zur Top-Priorität erklärt. Daran muss sie festhalten, will sie glaubwürdig sein. Spannend wird sein, ob die SPD ein Integrationsministerium fordert, um dem auf Sicherheitsfragen fixierten Innenministerium Kompetenzen abzutrotzen und hier wieder in die Offensive zu kommen.

Beide werben für eine „Willkommenskultur“, mehr Einbürgerungen und mehr Migranten im öffentlichen Dienst.

Fazit: Die Union könnte beim Doppelpass nachgeben, denn das Verbot verhindert mehr Einbürgerungen, ist mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden und ihren Wählern auch kein Herzensanliegen mehr. Die Federführung in der Integrationspolitik, deren Leitlinien die Union in den letzten Jahren geprägt hat, dürfte Merkel aber nicht so schnell wieder aus der Hand geben. BAX

Europa

Union: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble fordern in der Europapolitik ein entschiedenes „Weiter so!“. Sie wollen die umstrittene Austeritätspolitik in Südeuropa und Frankreich fortsetzen, Eurohilfen weiter an strikte Bedingungen knüpfen und die geplante Bankenunion auf die lange Bank schieben.

SPD: Die Genossen fordern eine Lockerung des Sparkurses und Investitionsprogramme für Südeuropa. Eurohilfen sollen nicht mehr auf Kosten der Steuerzahler gehen und – wie bisher – vor allem den Banken zugute kommen. Zudem treten sie für eine schnelle Vollendung der Bankenunion ein; vor allem EZB-Direktor Jörg Asmussen macht Druck.

Fazit: Das wird kein Spaziergang. Zwar liegen SPD und CDU/CSU in der Europapolitik nicht weit auseinander; nicht umsonst haben die Genossen alle Eurokrisenprogramme abgenickt. Doch der Teufel steckt im Detail – und in Merkels verflixter Austeritätspolitik. Halbherzige Kompromisse würden niemandem helfen, gefragt ist ein Politikwechsel. EBO

Teil 1 mit den Themenfeldern „Steuern“, „Mindestlohn“, „Rente“, „Mieten“ und „Gesundheit“.

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4 Kommentare

 / 
  • AO
    Aleksandr Orlov

    Welche Partei einknicken wird, ist doch wohl klar: die Spezialdemokraten. Die haben ihr Rückgrad mit der Agenda abgegeben und sind mittlerweile nur noch Pöstchenjäger, die zum Schein ein paar Inhalte auf Plakaten andeuten, um den Wahlpöbel zu veralbern.

    Steuererhöhungen? - hätten wir ja gerne (wer's glaubt...), aber Mutti will nicht

    Mindestlohn? - hätten wir ja gerne (haha), aber Mutti will nicht

    Eindämmung der Sklavenarbeit? - mit uns ja (guter Witz), aber Mutti will nicht

    Dabei würde Mutti das alles machen, aber Steinmeier erlaubt das nicht, weil sonst seine Freunde auf ihn böse sind und Steinbrück dann nicht mehr zu Vortragsabenden eingeladen wird.

  • O
    olli36

    Wenn mann sich die Äusserungen aus den Reihen der SPD in den letzten Tagen anschaut, will sie nur eines: möglichst viele Ministerposten und sonst gar nichts. Herr Wiesenhügel hat bereits darauf hingewiesen, dass ihm das Arbeitsministerium versprochen wurde. Inhalte interessieren keinen, nur Posten.

     

    Insofern kann man sich aufwendige Vergleiche zwischen den Parteíen der großen Koalition sparen

  • S
    Sören

    Eine Große Koalition würde sich kaum zu umfassenden Reformen durchringen können. Schön wäre ein Neuzuschnitt der Ressorts, die Zuständigkeiten für Energie sollten in einem Ministerium gebündelt werden. Integration könnte ins Familien-Ressort gehen. Ein eigenständiges Kulturministerium ist auch wünschenswert.

     

    Es wäre sinnvoll, wenn die Koalition bestimmte Schwerpunkte setzen würde. Ein Thema ist die Reform der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern. Neben der Umsetzung der Energiewende ist eine umfassende Pflegereform nötig; zumindest hier muss man wohl die Beiträge erhöhen, um eine menschenwürdigen Pflege für alle zu erreichen.

     

    Insbesondere in der Euro-Politik muss es einen deutlichen Kurswechsel geben. Ohne Investitionen und eine aktive Beschäftigungspolitik entsteht nicht das Wachstum, das für einen nachhaltigen Schuldenabbau nötig ist. Problem bisher war die falsche Wirtschaftspolitik, nicht die gemeinsame Währung. Ein Anziehen der Konjunktur in Europa würde Deutschland helfen, da unsere Exporte zu erheblichen Teilen in unsere Nachbarländer gehen.

     

    Zwar bietet die Große Koalition eine gewisse Stabilität durch ihre satte Mehrheit, aber es wird sicher keine gemütliche Zeit werden. Beide Parteien müssen ihr Profil schärfen, die Union mit Blick auf die AfD, die SPD mit Blick auf Grüne und Linke. Trotzdem scheint es die einzige Variante zu sein, die in den nächsten 4 Jahren halbwegs sicher regieren kann.

  • "Jetzt aber müssen die beiden großen Parteien ohne Juniorpartner um Posten und Inhalte würfeln"

    Müssen sie nicht. Die Mehrheit der Wählerstimmen ist bei Linke, SPD und Grüne.