Proteste gegen Überwachungsstaat: „Ein historischer Angriff“
Juli Zeh und andere deutsche Schriftsteller protestieren mit einem Brief gegen den Umgang mit der NSA-Affäre. Bei der Übergabe musste die Presse draußen bleiben.
BERLIN taz | Die Bundesregierung mag keine Öffentlichkeit. Als am Mittwoch bekannte deutsche Schriftsteller einen Brief an Angela Merkel im Bundespresseamt abgeben, muss die Presse draußen bleiben. Über 68.000 Menschen haben den Brief im Internet mitunterzeichnet.
„Absurde Situation“, so Michael Kumpfmüller, Buchautor und Mitveranstalter der Demonstration. Es sei lächerlich, dass die Presse nicht rein dürfe, sagt auch Juli Zeh. Über die Internetplattform change.org hatten die Bestsellerautorin gemeinsam mit Kollegen einen Brief an Angela Merkel veröffentlicht, der den Umgang der Regierung mit der NSA-Affäre kritisiert. „Wir erleben einen historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstaat,“ schreiben die Autoren. Deutschland sei entgegen der Behauptung der Bundeskanzlerin ein Überwachungsstaat.
Am Nachmittag trafen sich die Schriftsteller vor dem Bundeskanzleramt in Berlin, um den Brief im Chor vorzulesen. Die Kameras der Fotografen klicken, aber nur wenige Passanten verfolgen die Aktion. „Diese Geschichte ist viel zu global, um sie zu verstehen“, sagt Klaus Jungnickel aus Chemnitz. Er ist mit seiner Frau zum Urlaub in Berlin und zufällig an der Demonstration vorbei gekommen.
„Um ehrlich zu sein“, sagt der Tourist, „mir ist diese Sache egal.“ Genau hier sieht Juli Zeh das Problem: „Es ist ein Missverständnis zu glauben, das gehe uns nichts an.“ Auch die aus London stammende Autorin Priya Basil beklagt, dass die deutsche Öffentlichkeit nicht stärker protestiert. Doch so lange nicht klar sei, was genau passiert, rege sich auch kein Protest. „Wahrscheinlich ist es auch deshalb so ruhig“, sagt die Autorin.
Blamables Verhalten
Der Autor Ingo Schulze kritisiert die defensive Haltung der Bundesregierung bei der NSA-Affäre: „Eine funktionierende Demokratie muss Einfluss nehmen.“ Für ihn sei es eine Blamage, dass keine klare Reaktion auf Schnüffelaktionenen der US-amerikansischen und britischen Geheimdienste folge. Nach der Aktion von dem Bundeskanzleramt gehen die Autoren, begleitet von zahlreichen Journalisten, zu Fuß zum nur wenige hundert Meter entfernten Bundespresseamt.
Anders als von den Organisatoren erhofft, müssen die Journalisten im Foyer warten, während die Autoren den Brief übergeben. Die Übergabe von Briefen sei generell nicht öffentlich, sagt ein Mitarbeiter des Amtes. „Da machen wir hier keine Ausnahme“.
Als Juli Zeh nach wenigen Minuten wieder auf die Straße tritt, beschreibt sie die Stimmung im Gebäude als „unterkühlt und sehr offiziell.“ Es sei abzusehen gewesen, dass die Übergabe nicht vor der Presse stattfinden konnte, so die Autorin. Bislang ist unklar, ob sich die Bundeskanzlerin überhaupt mit der Botschaft auseinandersetzen wird. Doch für Juli Zeh hat sich die Aktion gelohnt: „Es ist ein wichtiges Signal, nicht nur für den Kulturbetrieb.“ Es sei endlich an der Zeit, die Stimme zu erheben.
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