Der erste Burger aus Kunstfleisch: Stammzellen-Frikadelle ist fade
Wissenschaftler aus den Niederlanden haben Kunstfleisch gezüchtet. Tierschützer sind begeistert, Experten bleiben skeptisch. Eine Kostprobe.
![](https://taz.de/picture/149622/14/burger_06.jpg)
BERLIN taz | Der Star ist ein runder Fleischfladen: rot, weich, wie Hackfleisch eben. Aber es war kein Hackfleisch, das der niederländische Mediziner Mark Post am Montag einer Schar Journalisten in London vorstellte. Vielmehr präsentierte er den ersten Hamburger aus Kunstfleisch – aus Fleisch, das er in seinem Labor an der Universität Maastricht hergestellt hat. „Frankenfleisch“, wie es manche mit Verweis auf Mary Shelleys berühmten Roman nennen.
Post hat das Fleisch aus Stammzellen gezüchtet, die einem Rind entnommen wurden – „auf eine ungefährliche Art und Weise“, wie der Wissenschaftler erklärte. Stammzellen sind Körperzellen, die sich in verschiedene Zelltypen entwickeln können. Um sie zu vermehren, setzte Post sie in eine Nährlösung, die unter anderem Kalbsserum enthält. Später solle diese künstlich hergestellt werden, also ohne tierische Komponenten, sagt Post.
20.000 Zellstreifen hat er innerhalb von drei Monaten gezüchtet und dann zu dem Fladen gepresst, der am Montag vor den Kameras zahlreicher Medien bei der Präsentation in London lag.
Diese Technik ist in der Fachwelt nichts Neues. Allerdings hat bisher niemand einen regelrechten Hamburger im Labor erzeugt und mithilfe einer PR-Agentur international vermarktet, wie das nun Post getan hat.
Einen Veggie Day wollen die Grünen nach der Bundestagswahl am 22. September in Kantinen einführen. Ihrer Meinung nach verkonsumiert die Bevölkerung der Bundesrepublik zu viel Fleisch: im vergangenen Jahr 89,2 Kilogramm Fleisch pro Kopf. Am neuen, fleischfreien Tag soll ausschließlich fleischlos und gerne auch vegan gekocht werden, um diesen Verbrauch zu senken – denn zu viel Fleisch gilt heute als ungesund, Tierzucht, -schlachtung und Transport schädigen zudem die Umwelt und das Klima.
Vor 100 Jahren sah das anders aus: Damals war „Fleischnot“ eine der wichtigsten Parolen im SPD-Reichstagswahlkampf. Der Fleischkonsum lag bei 40,9 Kilogramm pro Kopf und Jahr - unter anderem, weil sich nur die oberen Gesellschaftsschichten das teure Nahrungsmittel regelmäßig leisten konnten. Das änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. 1960 kostete das Kilo Schweinefleisch noch 1,6 Prozent des monatlichen Nettoverdienstes, 2002 waren es nur 0,28 Prozent.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Zunahme des Fleischkonsums spielte der Wandel der Medizin. 1870 waren Brot, Hülsenfrüchte und Kartoffeln Hauptnahrungsmittel in Deutschland - und die meisten Ärzte predigten, dass die Leute mehr Fleisch essen sollten. Vom Verzehr von rohem Obst und Gemüse rieten die Doktoren ab, denn Vitamine und ihre Bedeutung waren unbekannt. Daher verzehrte man Pflanzliches vor allem getrocknet – bis die gesundheitsfördernde Wirkung von Vitaminen Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde. (rr)
Burger kostet 250.000 Euro
Doch warum der ganze Aufwand? „Für die Umwelt und die Tiere“, antwortet der Erfinder. Tatsächlich sind Rinder sehr ineffizient bei der Fleischproduktion. Sie brauchten 100 Gramm pflanzlicher Proteine, um 15 Gramm essbare tierische Proteine zu erzeugen. Nach ersten Ergebnissen reduziert Posts Laborfleisch den Verbrauch von Land und Wasser um 90 Prozent – und den Energieaufwand um 70.
„Zudem müssen wir keine Tiere töten“, so Post in der Zeitung Guardian. Er verspricht also, dass das Kunstfleisch weniger Treibhausgase freisetzt als Fleisch aus der Tierhaltung. Immerhin 5 Prozent der Kohlendioxidemissionen und 40 Prozent des noch klimaschädlicheren Methanausstoßes werden durch Tierhaltung verursacht.
Allerdings gibt es noch viele Probleme bei der Produktion – zuallererst die Kosten: 250.000 Euro hat die Herstellung des Proto-Kunstfleischburgers gekostet – gezahlt hat übrigens Sergey Brin, einer der Gründer der Internetsuchmaschine Google. Doch Post zeigt sich zuversichtlich, dass der Preis bei Massenproduktion bald auf 53 Euro pro Kilogramm sinken könnte. „Das ist ein vernünftiger Preis“, so der Erfinder bei der Pressekonferenz. Das wäre aber noch immer viel teurer als konventionelles Fleisch. Ein herkömmliches Steak etwa kostet 30 Euro pro Kilogramm.
Auch der Geschmack des Kunstburgers muss offenbar noch besser werden. Eine von Posts Gruppe bezahlte Testerin ließ sich bei der Präsentation zu der Aussage hinreißen: „Es kommt Fleisch nahe, es ist nicht so saftig.“ Ein weiterer Tester sagte, es fehle Fett. Tatsächlich besteht der erste Kunstburger nur aus Protein, Fett – ein wichtiger Geschmacksträger – fehlt bisher völlig. Post will es in Kürze ebenfalls im Labor nachbauen.
Experte: „Leute werden nicht auf Fleisch verzichten“
Auf die Frage, ob Kunstfleisch nicht gesundheitsschädlich sei, antwortete Post ziemlich knapp: Es sei „genauso sicher wie normales Fleisch“ – denn schließlich bestehe sein Produkt ja auch aus demselben Gewebe.
Bei vielen Tierschützern rennt der Niederländer mit seinem Projekt offene Türen ein. Die Tierrechtsorganisation Peta hat bereits 2008 ein Preisgeld von einer Million Dollar ausgesetzt für den Erfinder von Kunstfleisch, das genauso schmeckt wie echtes Fleisch und im großen Stil verkauft wird. Dass auch für das Laborprodukt Tieren Zellen entnommen werden müssen, hält Edmund Haferbeck, wissenschaftlicher Berater der Organisation, für einen nötigen Kompromiss. „Das Verfahren würde viel Tierleid sparen. Wenn die Technik so weit ist, müssen dafür keine Tiere sterben.“
Zahlreiche Experten sehen die Kunstfleischidee aber skeptisch. „Sie werden immer irgendwie Beigeschmäcke haben, die der Verbraucher ablehnt“, sagt Fleischexperte Fredi Schwägele vom bundeseigenen Max-Rubner-Institut für Ernährung und Lebensmittel. Grund seien die Nährmedien der Zellen. Schwägeles Fazit: „Die Leute, die bisher Fleisch gegessen haben, werden darauf nicht verzichten wollen.“
Auch Armin Valet, Lebensmittelexperte der Verbraucherzentrale Hamburg, sieht „überhaupt keine Akzeptanz bei den Verbrauchern in den nächsten 50 Jahren.“ Nach Lebensmittelrecht dürfte das Produkt auch gar nicht Fleisch genannt werden, weil es nicht von geschlachteten Tieren stamme. „Das ist ein völliges Kunstprodukt. Das hat nichts mehr mit Natürlichkeit zu tun.“
In der EU müsste es als neuartiges Lebensmittel zugelassen werden. Und dazu müsste bewiesen werden, dass es tatsächlich nicht die Gesundheit gefährdet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten