Europarat kritisiert Ungarn: „Exzessive Machtkonzentration“
Die Verfassungsänderungen Viktor Orbans führen zu einer „Erosion der Demokratie“, urteilt der Europarat. Auf ein „Monitoring“ Ungarns soll aber verzichtet werden.
STRASSBURG afp/dpa | Die Parlamentarier-Versammlung des Europarats hat deutliche Kritik an den wiederholten Änderungen der ungarischen Verfassung geübt. Das Gremium sprach am Dienstag von einer „Erosion des demokratischen Gleichgewichts“.
Die Versammlung hat trotz ihrer Besorgnis über antidemokratische Entwicklungen in Ungarn eine formelle Überwachung des Landes abgelehnt. Allerdings wollen die Abgeordneten aus den 47 Europaratsländern die Lage dort „aufmerksam verfolgen“, wie es in der Entschließung hieß, die am Dienstag in Straßburg verabschiedet wurde.
Gegen das sogenannte Monitoring-Verfahren, mit dem Staaten wegen demokratischer Defizite unter verschärfte Beobachtung gestellt werden können, wandten sich 135 Parlamentarier, vor allem Konservative. Insgesamt 88 Sozialisten, Liberale und Grüne stimmten für die schärfere Kontrolle.
In einer Entschließung kritisierte die Versammlung die „exzessive Konzentration der Macht“, für die die konservative Regierung unter Regierungschef Viktor Orban mit Verfassungsänderungen gesorgt habe. Die Beschneidung der Kompetenzen des ungarischen Verfassungsgerichts etwa habe zu einer „Erosion“ des Prinzips der Gewaltenteilung geführt. Die Regierung habe ihre Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament benutzt, um sich über Entscheidungen des Verfassungsgerichts hinwegzusetzen. Sie habe sogar Texte in die Verfassung aufnehmen lassen, die das Verfassungsgericht annulliert habe, hieß es.
Seit der Wahl Orbans im Jahr 2010 sei die alte ungarische Verfassung zwölf Mal abgeändert worden, hieß es in der Entschließung weiter. Auch die im Januar 2012 in Kraft getretene neue Verfassung sei bereits vier Mal geändert worden. Die Praxis der Regierung in Budapest, mit ihrer Mehrheit Reformen durchzusetzen, verletze demokratische Prinzipien, stellte die Versammlung fest. Zugleich forderte sie, die Befugnisse der von der Regierung Orban eingerichteten obersten Justizbehörde einzuschränken. Dieser müsse das Recht genommen werden, einem Gericht ein Verfahren zu entziehen und dieses an ein anderes Gericht zu verweisen.
Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien
Ungarn habe sich wiederholt über die Bedenken des Europarats hinweggesetzt, sagte die schwedische Liberale Kerstin Lundgren. Dies sei „inakzeptabel“. Vertreter der Linken, der Liberalen und der Grünen forderten während der mehrstündigen und heftigen Debatte vergeblich ein Monitoring für Ungarn. Es sei eine zentrale Aufgabe des Europarats, über die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien durch seine Mitgliedsländer zu wachen, betonte die deutsche Grüne Viola Cramon-Taubadel. „Wenn wir darauf verzichten, können wir den Laden gleich dichtmachen.“
Die sogenannte Venedig-Kommission des Europarats, der hochkarätige Verfassungsrechtsexperten angehören, hatte wiederholt harsche Kritik am Demokratie-Abbau in Ungarn geäußert. In seinem Mitte Juni verabschiedeten jüngsten Bericht bemängelte der Ausschuss unter anderem einen neuen Passus in der ungarischen Verfassung, wonach das Recht auf Meinungsfreiheit nicht wahrgenommen werden darf, um die „Würde der ungarischen Nation“ zu verletzen. Dies könne genutzt werden, um Kritik an Institutionen zu unterbinden, warnten die Experten, unter ihnen der österreichische Verfassungsrichter Christoph Grabenwarter und die polnische Ex-Regierungschefin Hanna Suchocka.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats trifft sich vier Mal jährlich zu Plenarsitzungen in Straßburg. Dem Gremium gehören 318 Parlamentarier aus den 47 Europaratsländern an.
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