Kommentar Parteitag der Grünen: Angebot für Altruisten
Vermutlich wollen die Grünen nicht nur den Gemeinsinn ihrer Wähler strapazieren. Sie dürften auch auf die eigene politstrategische Intelligenz setzen.
D as muss man den Grünen lassen: Sie sind die einzige Partei, die damit wirbt, dass sie ihren eigenen Wählern Geld abzunehmen gedenkt. Respekt. Grünen-WählerInnen sind tendenziell gut ausgebildet und verdienen entsprechend. Ob sie auch gern abgeben, das wollen die Grünen mit ihrer neuen Steuer- und Sozialpolitik testen.
Das Wahlprogramm, das sich die Partei auf ihrem Parteitag am Wochenende geben wird, lässt Belastungen für Haushalte ab rund 60.000 Euro im Jahr aufwärts erkennen – wobei diese Zahl je nach Familienstand et cetera stark schwankt.
Möglicherweise aber wollen die Grünen nicht nur Rechenfähigkeit und Gemeinsinn ihrer WählerInnen strapazieren. Vermutlich setzen sie auch auf ihre politstrategische Intelligenz. Demnach müsste allen Grüngeneigten bald auffallen, dass sich ihre Partei, sofern nach der Bundestagswahl im September an einer Regierung überhaupt beteiligt, sicher nicht an der steuer- und auch nicht an der sozialpolitischen Front abkämpfen wird. Es ist viel eher wahrscheinlich, dass die Grünen die Ministerien mit Umverteilungskompetenz erneut dem größeren Koalitionspartner (SPD oder CDU) überlassen.
Das innere Kalkül des Grünenprogramms lautet demnach: Fühlt euch geschmeichelt, dass wir euch für so altruistisch halten. Aber bleibt ganz ruhig: So dicke kommt es dann wohl doch nicht.
Dies zeigt jedenfalls der Blick zurück. Die Grünen haben aus den Jahren 1998 bis 2005 mit der SPD manches gelernt. Erstens verlangt kein Mensch von ihnen ernsthafte Sozialpolitik. Deshalb wird zweitens, wenn etwas schiefläuft, der Koalitionspartner haftbar gemacht. Das bedeutet drittens, dass sie im Zweifel sogar eine Koalition mit der Union im Bund überleben würden. Diese Koalition wird zwar ausdrücklich nicht angestrebt. Es schadet aber nichts, die WählerInnen ab und zu spüren zu lassen, dass sich grüne Gerechtigkeitsvorstellungen zur Not auch mit einer Angela Merkel durchbuchstabieren ließen.
Der wahre Preis grüner Steuer- und Sozialpolitik ist noch unbekannt. Die Erfahrung lässt vermuten, dass den Grünen die Solarpaneele auf den Dächern wichtiger sind als die Hartz-IV-Bezüge. Vielleicht wollen sie es dieses Mal wirklich anders machen. Die Stimmen der Besserverdienenden werden sie auch erhalten. Denn die vertrauen darauf, dass es eh nicht so kommen wird.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße