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Gerichtsverhandlung in BerlinPolizei vs. Polizei endet mit Freispruch

Ein Berliner Gericht hat Polizisten freigesprochen, die einen Kollegen in Zivil verletzt haben sollen. Das geschah am 1. Mai 2011.

Bald ist wieder 1. Mai. Bild: dpa

BERLIN taz | Drei Wochen noch bis zum 1. Mai – nicht nur deshalb ist dieser Prozess pikant: Angeklagt sind am Dienstag zwei Polizisten wegen Körperverletzung im Amt. Nicht an linken Szeneangehörigen, wie eher üblich, sollen die Beamten ihr Mütchen gekühlt haben, sondern an einem Kollegen: Der 25-jährige Martin G. war am 1. Mai 2011 als Zivilpolizist eingesetzt, um Steinewerfer zu jagen.

Stattdessen bekam er von Uniformierten die Faust und Reizgas ins Gesicht. Der Prozess indes endet so, wie er meist endet, wenn polizeiliche Willkür verhandelt wird: Die Polizisten wurden freigesprochen.

Das Gericht hat sich wirklich bemüht. Elf Polizisten werden als Zeugen vernommen. Sie spalten sich in zwei Lager: das Opfer Martin G. und fünf seiner Kollegen, die als „Zivis“ unterwegs waren, sowie die uniformierten Beamten, die zur Einheit der Angeklagten gehörten. Genauer gesagt: die 1. Gruppe des 2. Zuges der 5. Direktionshundertschaft.

Laut Anklage ereignete sich der Vorfall gegen 22.45 Uhr unter der Hochbahn am Kottbusser Tor. Einigkeit herrscht in beiden Zeugenlagern nur in einem Punkt: Zu diesem Zeitpunkt standen zwar Hunderte Menschen auf der Straße und skandierten polizeifeindliche Sprüche, aber Steine oder Flaschen wurden nicht geworfen. „Die Lage war relativ ruhig an diesem 1. Mai“, waren sich die Zeugen einig.

Umso verwunderlicher, dass die uniformierten Einheiten am 1. Mai 2011 exzessiv Reizgas (Pfefferspray) einsetzen, als sie in Kleingruppen die Menge durchstreiften. „Durchmischen“ heißt das im Polizeijargon, um Störergruppen zu zerstreuen. Die taz berichtete seinerzeit unter Berufung auf Sanitäter, dass mehr als 200 Verletzte durch Reizgas am Kottbusser Tor behandelt wurden. Das Gas wird von der Polizei in Flaschen von der Größe kleiner Feuerlöscher verwendet und sorgt für starke, lang anhaltende Reizungen der Augen und Atemwege. Auch mehrere Zivilpolizisten zeigten nach dem 1. Mai 2011 Verletzungen durch Reizgas an.

Reizgas ins Gesicht gesprüht

Die Angeklagten sind 30 und 32 Jahre alt. Andreas W. ist 1,93 Meter groß. Er soll Martin G. mit der Faust die Lippe blutig geschlagen haben, als er mit seiner Einheit die Menge „durchmischte“. Der zweite Angeklagte, Martin L., misst 1,90 Meter. Er soll nachgetreten und G. eine Ladung Reizgas ins Gesicht gesprüht haben. Beide Angeklagten schweigen zu den Vorwürfen. Sie vermeiden jeden Blickkontakt mit den Zivilpolizisten.

Diese sagen als Zeugen aus, dass die Uniformierten auffällig groß und stämmig waren. Dass sie zu einer Einheit mit einem weißen E als Kennung gehörten. Dass einer aus der Einheit noch eine alte grüne Uniform trug. Dass die Einheit den verletzten G. achtlos am Boden liegen ließ. Die Zivilpolizisten erzählen, wie sie sich in der Nacht auf die Suche nach der betreffenden Einheit machten, nachdem sie G. und einen weiteren verletzten Kollegen versorgt hatten. Dass sie die Truppe an den „Recken“ und der alten grünen Uniform wiedererkannten.

Der Vorfall liegt zwei Jahre zurück, aber die Zivilpolizisten sind immer noch spürbar empört. Allein, für eine Verurteilung reicht es nicht. Richterin Andrea Wilms sagt, sie habe keinen Zweifel daran, dass die richtige Einheit identifiziert wurde. „Aber wer geschlagen hat – der zweite, dritte, oder vierte Beamte der Reihe –, das ist unklar geblieben.“ Freispruch. Die Zivilbeamten verlassen leise den Saal.

Die uniformierten Kollegen der Angeklagten auf den Zuschauerbänken atmen auf. Immerhin hatte Oberstaatsanwalt Ralph Knispel neun Monate Haft auf Bewährung für Andreas W. und 3.000 Euro Geldstrafe für Martin L. gefordert. Auch aus Abschreckungsgründen. Denn, so Knispel: „Dass Polizisten von Polizisten geschlagen werden, nimmt leider zu.“

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20 Kommentare

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  • J
    Julian

    Hab die Deeskalationsstrategie der Berliner Polizei nie verstanden. In kleinen Trupps durch die Menge laufen und Leute schubbsen, beleidigen, mal etwas Tränengas oder einen Fausthieb falls sich jemand beschwert. Klar dass da was passiert, auch wenn's nur angetrunkene Partyleute sind und keine gewaltbereite Autonome. Was die Polizeieinsätze angeht, hab ich in westdeutschen Städte auch eine Menge unverhältnismäßiger Einsätze gesehen. In Berlin kommt die Polizei aber eher wie eine unprofessionelle Chaostruppe mit dem Hang zu Gewalttaten rüber. Weder Politik noch Polizeiführung hat dort ihre Beamten unter Kontrolle.

  • L
    lui

    wenn von der polizeigewerkschaft ein veto gegen die kennzeichnungspflicht kommt und von kontrollwahn gesprochen wird, kann man jedem polizisten nur deutlich diese beispiel von polizeigewalt gegen sie selbst vor augen fuehren. dann kann man als normaler bürger hoffen das kräfte innerhalb der polizei verstehen dass sie selbst, wenn sie in zivil unterwegs sind, opfer von übergriffen durch ihre kollegen werden können. und dann kommt hoffentlich und endlich auch bei ihnen der schluss, dass täterschutz bei der polizei durch nichts zu rechtfertigen ist. es ist eine schande dass die innenminister nichts unternehmen und so straftätern in uniform helfen.

  • H
    @Horst

    "Wenn man sich nicht aufführt, kriegt man auch keine in die Fresse.

    Eigentlich ganz einfach."

     

    Was für ein Rechtsstaatsverständnis.

     

    Sind Sie Polizist?

  • ML
    Mac Lennox

    Tja,

     

    was soll man dazu sagen? Widerstand gegen die Staatsgewalt wird bestraft.

  • S
    Slimak

    Vielleicht sollte bei der Bullerei weniger auf das preußische Gardemaß und dafür mehr auf den Kopfinhalt und die Gesinnung gesetzt werden. Und wozu müssen diese Fregels eigentlich Beamte sein? Weil sie die demokratische Grundordnung mit Füßen treten?

  • J
    JKay

    @Sebastian Heiser: Ja, identifizieren kann man sie jetzt. Aber wird das wirklich was ändern?

     

    Im Zweifelsfall greifen eben gefesselte Frauen Beamte an, stolpern ungünstig und brechen sich den Kiefer und die Nase...

    Was man natürlich übersieht...

     

    im Zweifelsfall wurden eben Molokovcocktails aus der im Video friedlich scheinenden Menge geworfen und das Videomaterial dieser entscheidenen Stelle hat sich wegen der Hitze aufgelößt. Passiert häufig, grade Digicams sind anfällig für sowas...

  • J
    juppie

    Alle Zusammen Hinein in den Sack,beim folgenden auf den sack knüppeln trifft es immer den richtigen.

  • S
    Sicherheitsfanatiker

    Wenn eine Anbgehoerige einer Einheit die Aufklaerung einer Straftat behindern, dann mueste es drei Sanktionsmoeglichkeitein geben:

    1. Befoerderungsstopp

    2. Degradierung

    3. Entlassung aus dem Polizeidienst

    Wer sich ´nicht erinnert´ist kein guter Polizist,

    wer gar mit Hinweis auf evtl. Selbstbelastung die Aussage verweigert, hat nichts bei der Polizei verloren. Polizisten als Traeger des Gewaltmonopols muessen in besonderer Weise der Rechtsordnung verpflichtet sein. Wer Chorpsgeist ueber Gesetz stellt hat dort nichts zu suchen, auch wenn Innenpolitiker solche Allbereiten Einheiten moegen. Mit einem solchen Vorgehen koennten Korruption, Gewalttaten, aber auch Mobbing bekaempft werden.

  • SH
    Sebastian Heiser

    nomade: Inzwischen hat die Polizei in Berlin eine Kennzeichnungspflicht eingeführt. In Zukunft können die zusammengeschlagenen Zivilpolizisten ihre Kollegen also an der individuellen Nummer identifizieren.

     

    Die Kennzeichnungspflicht gilt jedoch nur für uniformierte Beamte. Wenn es also Zivilpolizisten sind, die ihre Kollegen in Uniform verprügeln bleibt die Identifzierung so schwierig wie bisher.

  • N
    nomade

    Es wird endlich Zeit, das Vermummungsverbot auf die Polizei auszudehnen. Wer jemals in die Situation gekommen ist, einem schnellen Eingreiftrupp oder wie hier den "normalen" Einsatzkräften gegenüberzustehen (oder davor zu flüchten) der wünscht sich eine Handhabe gegen oftmals völlig willkürliche Gewaltanwendung.

  • O
    oranier

    Die Polizisten sind die eine Seite, dazu wurde hier schon zureichend kommentiert. Die andere Seite ist die Staatsanwaltschaft:

    "Immerhin hatte Oberstaatsanwalt Ralph Knispel neun Monate Haft auf Bewährung für Andreas W. und 3.000 Euro Geldstrafe für Martin L. gefordert. Auch aus Abschreckungsgründen. Denn, so Knispel: „Dass Polizisten von Polizisten geschlagen werden, nimmt leider zu.“

    Mit anderen Worten: Die Richter sollen die Polizei davor abschrecken, dass sie POLIZISTEN schlägt. Der Rest der Bevölkerung, zumal der widerständige, kann ruhig zusammengeknüppelt und geätzt werden.

  • H
    Horst

    Wenn man sich nicht aufführt, kriegt man auch keine in die Fresse.

    Eigentlich ganz einfach.

  • A
    Anthony

    Schon bei Clockwork Orange konnte man erfahren, wo sich ehemalige Gangmitglieder verdingen, wenn es ans Geld verdienen geht: Natürlich bei der Polizei

  • H
    Hans

    Bei aller Hähme muss ich gestehen, dass mich in diesem Fall der Korpsgeist erschüttert. Es ist klar, dass keiner was sagt, wenn es Demonstranten oder Zivilisten trifft, aber die eigenen Leute. Das lässt tief blicken.

     

    Auch die Dauer des Verfahrens erschüttert.

     

    Da kann man sich leider @1312 nur anschließen.

     

    Aber immerhin eine schmerzhafte Lehre für die Zivilpolizisten. Vielleicht prügeln die, wenn sie das nächste Mal in Uniform sind nicht einfach drauf zu. Und vielleicht lässt das ja auch den einen oder anderen Kameraden aufwachen...

  • W
    Wüstenratte

    "Zivilpolisten" erinnern eben stark an Stasi und tja Bullerei in Uniform kennt keine Kollegen, nur potentielle Randalierer.Nun kennt er es mal selber, daß man Uniform tragen muß wußte schon der Hauptmann von Köpenick,daher hält mein Mitleid mit den "Zivi"- Bullizisten sich äußert in Grenzen!

  • 1
    1312

    Willkommen in der Realität.

  • E
    emil

    immerhin: die polizei macht keine unterschiede, wen sie verprügelt. ob freund ob feind? erstmal drauf!

  • K
    Koche

    Tja, jetzt wissen die Bullen mal wie es einem geht der sich gegen die Polizei auflehnt.

  • T
    Ted

    Die Polizei, dein Freund und Helfer.

     

    Polizisten streifen durch eine Gruppe von Demonstanten. Hauen zu, wo jemand auch nur im Wege steht, verletzen die Menschen durch Reizgas. Jeden kann es treffen.

     

    Dann kommt es zum Prozess und KEINER DER BEAMTEN IST MANN'S GENUG, EINE PERSÖNLICHE SCHULD EINZGESTEHEN!! Niemand ist stark genug, sich hinzustellen und auf die Schläger zu zeigen. Dem Gericht bleibt schließlich nichts anderes übrig, als ALLE freizusprechen.

     

    Schafft doch so richtig doll Vertrauen in unsere Grünen, oder?

     

    Wie wird man wohl beim nächsten Zusammentreffen empfinden? Hätten sich die Schläger verantwortungsvoll geoutet und sich entschuldigt, wäre mehr Verständnis da, als wie es jetzt ist. Polizisten sind wohl wie alle anderen kleinen Menschen in diesm Lande. Nur: Sie besitzen von Rechts wegen das Gewaltmonopol. Nett, sehr nett, ich fühle mich jetzt ganz super geschützt.

     

    Ich bin erschüttert, dass es Polizisten gibt, die sich der staatlichen Aufklärung einer Straftat verweigern und dafür lieber ihre eigene Gruppe schützen.

  • FS
    F. Schiller

    ;-)