Unerlaubte Festnahme: Polizei knickt ein
Vor zwei Jahren wollte die Kletteraktivistin Cécile Lecomte gegen das Atomforum in Berlin demonstrieren. Polizisten nahmen sie mit – zu Unrecht.
Die Anti-Atom-Aktivistin Cécile Lecomte hat mit ihrer Klage gegen die Polizei gewonnen. Polizisten hatten Lecomte im Mai 2011 festgenommen, als sie gegen eine Veranstaltung des Atomforums im Kongresszentrum am Alexanderplatz protestierte. Während der Bürgersteig rund um den Veranstaltungsort abgesperrt war, wollte Lecomte auf der anderen Straßenseite ein Transparent aufhängen. Die Polizisten entrissen ihr das Transparent, hielten sie eine halbe Stunde in einem Fahrzeug fest und erteilten ihr einen Platzverweis. Lecomte klagte vor dem Verwaltungsgericht, um die Rechtswidrigkeit des Handelns der Polizisten feststellen zu lassen.
Die 31-jährige Lecomte trägt den Spitznamen „Eichhörnchen“, weil sie bei ihren Aktionen besonders häufig auf Bäume oder Gebäude klettert. Die Vollzeitaktivistin finanziert sich über regelmäßige Spenden von Unterstützern und der Bewegungsstiftung.
Die Polizei versuchte zunächst, ihr Handeln in ihren Stellungnahmen an das Gericht zu verteidigen. Lecomte sei als „potenzielle Störerin konkret in Erscheinung getreten“, man habe sie in eine „räumliche Distanz zu dem Kongress“ bringen wollen und sie habe sich gewehrt.
Das Gericht wies die Polizei jedoch in einer vorläufigen Einschätzung schriftlich darauf hin, dass sowohl der Platzverweis als auch die vorübergehende Festnahme rechtswidrig waren. Es sei anzuzweifeln, dass Lecomte überhaupt eine Gefahr für die Veranstaltung gewesen sei.
An diesem Mittwoch sollte nun die Gerichtsverhandlung stattfinden. Doch kurz zuvor wurde der Termin abgesagt – wegen einer neuen Stellungnahme der Polizei, durch die sich das Verfahren erledigt. „Das kann nur bedeuten, dass die Polizei jetzt selbst anerkennt, dass sie rechtswidrig gehandelt hat“, sagt Lecomtes Anwalt Tronje Döhmer.
Lecomte, die bei ihren Aktionen regelmäßig von der Polizei festgenommen wird und anschließend erfolgreich dagegen klagt, kommentiert: „Das Problem ist, dass die Polizisten nicht persönlich zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn ich gegen ein Gesetz verstoße, muss ich mit einer Strafe rechnen. Wenn Polizisten Gesetze brechen, müssen sie keine persönlichen Konsequenzen befürchten.“ Mit ihren Klagen will Lecomte auch aufzeigen, wie häufig der Staat sich nicht an seine eigenen Gesetze hält: „Dabei macht genau das den Unterschied zwischen einem Rechtsstaat und einem Willkürstaat aus.“
Noch nicht entschieden ist über eine weitere Aktion von Lecomte gegen das Atomforum einen Tag später. Mit Kreide hatte sie „Atomausstieg sofort“ auf den Bürgersteig geschrieben, wieder in einiger Entfernung vom Veranstaltungsort. Auch dafür nahmen die Polizisten sie wieder in Gewahrsam und hielten sie einige Zeit in einem Polizeifahrzeug fest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands