Kommentar Wahlergebnis Kenia: Zeit für ein neues Kapitel
Die internationale Gemeinschaft sollte mit Kenias neu gewähltem Präsidenten zusammenarbeiten. Was tut sie stattdessen? Sie stellt ihn ins Abseits.
E s ist beschämend. Kenia hat in freier Wahl einen neuen Präsidenten gewählt, die Wahl war allem Anschein zufolge sauberer und fairer als je zuvor in dem Land, die weithin befürchtete Gewalt ist ausgeblieben. Und was macht die internationale Gemeinschaft? Sie stellt Wahlsieger Uhuru Kenyatta ins diplomatische Abseits, weil ihm demnächst vor dem Internationalen Strafgerichtshof der Prozess gemacht wird.
Diplomaten boykottierten die Feier, auf der Kenyatta vom Chef der kenianischen Wahlkommission die Siegesurkunde erhielt. Glückwunschschreiben aus den USA und auch aus Deutschland und anderen Ländern vermeiden es, dem Wahlsieger zu gratulieren. Man hört zur Begründung, es gebe auf EU-Ebene die Politik, mit Angeklagten des Strafgerichtshofs möglichst wenig Kontakt zu halten.
Also soll jetzt Kenia dafür bestraft werden, dass seine politische Klasse sich zumindest zum Teil aus freien Stücken der internationalen Justiz stellte? Kenyatta ist nicht verurteilt. Seine Anklage ist die der „indirekten Mittäterschaft“ bei zwei einzelnen Milizenangriffen im Rahmen der blutigen Gewalt in Kenia nach den gefälschten Wahlen von Ende 2007 – Milizenagriffe, die zahlreiche Tote forderten, die aber auch als Reaktion auf und in Rache für vorherige Pogrome des Gegners gegen Kenyattas Volksgruppe durchgeführt wurden.
ist Afrika-Redakteur der taz und einer von zwei Leitern des Auslands-Ressorts.
„Indirekte Mittäterschaft“ ist ein Vorwurf, unter der man vermutlich Millionen Kenianer und übrigens auch die meisten Politiker der Welt vor Gericht stellen könnte. Es gibt gegen Kenyatta keinen Haftbefehl. Er hat die Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof zugesichert. Was will man mehr? Die einzige stimmige Kritik an Kenyatta könnte sein, dass er als Angeklagter des Strafgerichtshofs nicht als Präsidentschaftskandidat hätte antreten sollen. Dagegen gibt es aber kein Gesetz, und es liegt nicht an den Anklägern von Den Haag, zu entscheiden, wer in Kenia zu einer Wahl antreten darf und wer nicht.
Zwielichtige opportunistische Strafverfolgung
Es gibt Hunderte bekannte Verantwortliche für die Gewalt in Kenia 2007 bis 2008; ihre Namen wurden ab 2008 in offiziellen kenianischen Untersuchungsberichten genannt. Sechs davon sind im Visier des Strafgerichtshofs. Die beiden mächtigsten Politiker damals – der damalige Wahlsieger Mwai Kibaki und sein Hauptgegner Raila Odinga – sind nicht dabei. Das wirft ohnehin Fragen auf.
Kibaki und Odinga sind seit 2008 Präsident und Premierminister von Kenia. Sie sitzen nur deshalb nicht auf den Den Haager Anklagebank, weil sie an der Macht sind und ihre Regierung nur um den Preis ihrer faktischen Schonung überhaupt mit dem Strafgerichtshof zusammengearbeitet hat. Sie wurden aber zu keinem Zeitpunkt deswegen international kritisiert. Man hofierte und lobte sie vielmehr, weil sie sich nach zwei Monaten Bürgerkrieg zusammengerauft hatten und ihre Mordmilizen zurückpfiffen.
Kenyattas Wahl bietet jetzt endlich die Gelegenheit, diese zwielichtige opportunistische Strafverfolgung zu beenden. Deswegen kann man jetzt nicht an Kenyatta das Exempel statuieren, vor dem man sich mit Kibaki und Odinga drückte. Vor allem ist Kenyatta jetzt nicht plötzlich ein wichtigerer Angeklagter als die anderen, bloß weil er Präsident ist. Vielmehr sollte seine Wahl als Chance gesehen werden, ein neues Kapitel aufzuschlagen, in dem eine Aufarbeitung der Verbrechen von 2007-08 möglich wird und Kenia zur Normalität zurückfindet. Die gut verlaufene Wahl von 2013 ist der erste, entscheidende Akt dazu gewesen. Er darf nicht der letzte sein.
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