Kommentar NSU-Prozess: Provinziell und unsensibel
Gerangel um Plätze, unglückliche Äußerungen: Das Münchner Oberlandesgericht versteht die historische Dimension des NSU-Prozesses nicht.
D ie Norweger haben vorgemacht, wie es geht. Im Prozess gegen den Rechtsterroristen Anders Behring Breivik hat die dortige Justiz es geschafft, ein streng rechtsstaatliches Verfahren durchzuführen und dennoch sowohl den Opfern gerecht zu werden als auch den Bedürfnissen einer internationalen Medienöffentlichkeit. Sogar eine Simultanübersetzung ins Englische hatte das Osloer Amtsgericht organisiert.
Ganz anders die bayerische Justiz. Dem Oberlandesgericht München ist es gelungen, noch vor Beginn des historischen Prozesses gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Helfer so viel Porzellan zu zerdeppern wie möglich. Weil der Gerichtssaal zu klein ist, werden voraussichtlich nur 50 Zuschauer und 50 Journalisten Platz finden – die zudem nur einen Teil des Geschehens sehen können.
Die Forderung, den Prozess für die Medien wenigstens in einen Nebensaal zu übertragen, schmetterte die Gerichtssprecherin mit den Worten ab, man sei doch nicht beim Public Viewing. Dieselbe Dame befand auf die Frage, ob dies ein Jahrhundertprozess werde: Das könne man nicht sagen, das Jahrhundert sei noch lang.
Jahrgang 1979, ist Redakteur für Innere Sicherheit bei der taz.
Schlange stehen
Selbst die Bitte, für den türkischen Botschafter einen Platz zu reservieren, wurde zunächst zurückgewiesen. Wäre es dabei geblieben, hätte er sich zum Prozessauftakt morgens um fünf Uhr anstellen müssen, um eine Chance zu haben, reinzukommen.
Niemand will, dass das NSU-Verfahren zum Schauprozess wird. Es ist auch gut, dass kein eigenes Gericht gebaut wurde wie damals in Stammheim für die RAF-Angeklagten. Aber so unsensibel und provinziell wie die bayerische Justiz darf man an dieses Verfahren nicht herangehen.
Warum nicht wie in Norwegen? Auf diese Frage antwortete der Präsident des Oberlandesgerichts: Wir sind hier in Deutschland. Ein Armutszeugnis.
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