Doping in der Schach-Bundesliga: Beschiss auf dem stillen Örtchen
Weil in der Bundesliga heimlich auf Smartphones geschielt wird, sollte sich ein Spieler jetzt einer Taschenkontrolle unterziehen. Doch sein Handy rückte er nicht raus.
Die heikle Angelegenheit ging auf dem Klo über die Bühne. Das liegt sicher nicht daran, dass die Schachspieler auf ihren Formularen die kleine Rochade mit „0-0“ notieren. Beschiss auf dem stillen Örtchen hat erst Konjunktur, seit die Smartphones immer leistungsstärker werden und passable Programme auf diesen laufen. Im Vorjahr überschattete ein Betrugsfall die deutsche Einzelmeisterschaft: Der sächsische Champion Christoph Natsidis wurde nach erstaunlichen Resultaten überführt.
Seit dem letzten Spieltag steht nun auch der Vorwurf im Raum, dass es in der Schach-Bundesliga elektronisches Doping gibt. Im Mittelpunkt: Sebastian Siebrecht (Katernberg), der seinerzeit auch zur Enttarnung von Natsidis beigetragen hatte. Diesmal geriet Falko Bindrich ins Visier. Obwohl Siebrecht schnell einen Zug machte, fand sich sein Eppinger Gegner nicht am Brett ein.
Die Mülheimer Daniel Fridman und Pawel Tregubow, die an diesem Doppelspieltag auch vor Ort waren, unterstellten Bindrich Betrug. Tregubow hatte am Vortag gegen den nominell schlechteren Bindrich verloren und war entsprechend sensibilisiert. Die selbsternannten Fahnder suchten ihn umgehend – und fanden ihn auf der Herren-Toilette.
Kurz nach 10.30 Uhr veschwunden
Wegen Tregubows Verdächtigungen vom Samstag behielt Schiedsrichter Dieter von Häfen Bindrich am Sonntagmorgen besonders im Auge. Kurz nach Spielbeginn sei der Sachse erstmals verschwunden, „kurz nach 10.30 Uhr war er wieder weg“, eine Viertelstunde später nochmals. Weil nun auch Siebrecht misstrauisch geworden war, entschloss sich der Schiedsrichter zu einer „Taschenkontrolle“.
Als Bindrich aus den sanitären Anlagen kam, forderte ihn von Häfen dazu auf. Der 22-Jährige zeigte sich trotz des laut Reglement legitimen Vorgehens „entrüstet“ und rückte sein Smartphone nicht heraus. Bindrich begründete dies mit „privaten Bildern und sensiblen Geschäftsdaten“, die er nicht herzeigen wolle. Selbst der Eppinger Kapitän Hans Dekan konnte seinen Spieler nicht zur Herausgabe des Handys bewegen.
Obwohl der Schiedsrichter den Vorschlag machte, er möge nur kurz auf das Smartphone schauen und das Schachprogramm überprüfen, verweigerte sich der Großmeister standhaft. Dem Unparteiischen blieb folglich nur, Bindrich zu nullen, ihn also verlieren zu lassen. Titelanwärter Eppingen büßte durch ein 3,5:4,5 gegen Außenseiter Katernberg wichtige Punkte ein und verzichtet bis zur Klärung der Vorfälle auf weitere Einsätze des Spielers aus Zittau.
Auch die Spülung betätigt
Immerhin hat der 4,5:3,5-Sieg tags zuvor über Mülheim-Nord Bestand. Schiedsrichter von Häfen hatte beim Saisonauftakt am Samstag nicht genügend Verdachtsmomente, weil der Großmeister „gegen 14.30 und 15.30 Uhr die Toilette aufgesucht und auch die Spülung betätigt“ hatte. Danach blieb Bindrich drei Stunden lang dem stillen Örtchen fern. „Dies hielt ich für eine normale Zeit zwischen zwei Toilettengängen“, notierte der Referee in seinem Bericht.
Bindrich verteidigt sein Vorgehen. Ihn widere das „Verfolgen, Abhorchen und Ausspionieren“ bis aufs stille Örtchen an. Er reklamiert „Rechtsstaatlichkeit“ und spricht sich gegen diese „Schikane“ aus. Der 22-Jährige bestreitet Manipulation, schließlich sei ihm gegen Tregubow „keine Glanzleistung“ gelungen. Allerdings ist Bindrich auf einem Schachserver schon einmal Computerbetrug nachgewiesen worden, als er Exweltmeister Garri Kasparow geschlagen und exorbitante Resultate erzielt hatte, so berichtet es jedenfalls Siebrecht.
Damals gab es kein vermeintlich entlastendes Indiz wie am Sonntag: Der 2,02 Meter große Siebrecht ging beim aktuellen Fall in die Knie und schaute unter der Toilettentür nach der „richtigen Fußstellung“, wie Bindrich pikiert vermerkt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland