zwischen den rillen : Das Genie als Scharlatan
Die zärtliche Schönheit des ewigen Acid. Richard D. James alias AFX hat seine elfteilige „Analord“-Serie abgeschlossen
Keine Frage: Richard D. James versteht etwas von Fetisch. Da sind ja nicht nur die berühmten Chris-Cunningham-Videos, die sich in obsessiver Art und Weise an Bildern des körperlich Abnormen abarbeiten, oder der Teil seines musikalischen Werks, den man in seiner bizarren Mischung aus unschuldigen Melodien und diesen brutal zerkloppenden Breakbeats, ohne sich groß aus dem Fenster zu lehnen, als Kindesmissbrauchspop bezeichnen könnte, mit dem James unter dem Namen Aphex Twin berühmt wurde. Da sind vor allem die Platten selbst, die längst als Kultobjekte für teures Geld im Netz gehandelt werden.
Und genau dieser Fetischcharakter seiner neuen, auf elf Teile angelegten Serie von Maxis war dann auch das Erste, was auffiel, als James im Januar unter seinem neuen Pseudonym AFX die „Analord“-Reihe begann. Nicht nur wegen des Namens, der so elegant den analen Charakter des Sammelns mit dem sadomasochistischen Verhältnis zu verbinden wusste, das die Fans zu James unterhalten (nebenbei sind alle Stücke auch noch mit analogen Synthesizern eingespielt, auch das dürfte bei der Namensgebung eine Rolle gespielt haben). Vor allem wegen der Verpackung: Eine schäbige aktenordnerähnliche Plattenmappe aus braunem Kunstleder plus die Maxi mit der Nummer 10 machte den Anfang – 80 Euro sollte man dafür hinlegen.
Doch das war noch nicht alles. So unverschämt der Preis der Mappe, so fetischartig die Darreichungsform der Platten selbst – als schwere Vinylscheiben begannen sie zu erscheinen, deren kostbare Rillen nur unzureichend durch eine Plastikfolie geschützt sind, die zur Verletzung durch Kratzer geradezu einlädt. Warum tut man sich das an? Warum kauft man sich diese Platten?
Keinem Künstler der elektronischen Musik der vergangenen 15 Jahre gelingt ein so konsequentes (und man darf annehmen: bewusstes) Oszillieren zwischen Genie und Scharlatanerie wie Richard D. James. Er weiß genauso um seinen Ruf als Zentralgenie der elektronischen Musik wie davon, dass die Regeln dieser Musik so streng noch nicht festgelegt sind, als dass man sofort erkennen könnte, ob man hier nicht gerade mächtig übers Ohr gehauen wird. Das Spiel mit dem Fetischcharakter der Platten selbst ist wichtiger Teil davon.
Der andere ist die Musik selbst, die in der „Analord“-Reihe eine ganz eigene Faszination entfaltet. Es geht um Acid, jenen blubbernd-psychedelischen Housesound, der in den späten Achtzigern von Chicago aus seinen Siegeszug über die Tanzflächen antrat und seitdem zwar nie wirklich verschwunden ist, aber seit gut einem Jahr seinen dritten Frühling erlebt. Und dieser Musik, die zum Roland-303-Bass-Synthesizer ein ähnlich inniges Verhältnis hat wie der Psychedelic Rock zum Wahwah-Pedal, nähert sich James mit ähnlicher Liebe und Konsequenz wie die White Stripes dem Blues.
Das beginnt mit Stücken wie „Phonatacid“ und „Laricheard“ auf der „Analord 2“, die wunderbare Hommagen an Larry Heard sind, einen der Urväter dieses Sounds, und die die Widerspenstigkeit des säurehaltigen Blubberns der 303 behutsam in eine fast zärtliche Schönheit überführen. Und von dort aus bewegt es sich in viele Richtungen: Sei es das bösartige Geholze eines Stücks wie „Medievil Rave“ von der „Analord 3“, oder sei es ein Stück wie „I’m Self-Employed“ auf der „Analord 6“, das man in seiner naiven Schönheit nach einer Weile mitpfeifen kann. Die Stücke der „Analord 8“, des Höhepunkts der Serie, können in ihrer überraschenden Deepness durchaus ihren Platz in der Anfangs- oder Schlussphase eines slammenden Housesets finden, genau wie der Protodisco der „Analord 11“.
Wie in einer Versuchsanordnung lässt James mit einem analogen Set-up noch einmal die Sounds der Spätachtziger durchlaufen, in anderen Arrangements allerdings. Was gut passen würde, war es doch schon immer wichtiger Teil seines ästhetischen Programms, sich an das anzuschmiegen, was gerade auf den Tanzflächen passiert, und diesen Klängen seinen eigenen Dreh zu geben. TOBIAS RAPP
AFX: „Analord 1–11“ Rephlex