vorlauf : Regelverstöße, ganz gekonnt
„The Big One – Der große Macher“ (22.20 Uhr, Arte, OmU)
Die Kamera blickt auf das lärmender Spektakel auf dem Parkett der New Yorker Börse und schwenkt auf einen einsamen Passanten in gewöhnungsbedürftigen Outfit. „Ich find’s immer schön, wenn die Leute sich freuen und glücklich sind“, verkündet die Stimme des Mannes aus dem Off, und wir glauben das gerne. Auch, dass er als Arbeitsloser getan hat, was eben viele Arbeitslose tun – ein Buch schreiben und vom Pulitzer-Preis träumen. Einem wie Michael Moore nehmen wir dies schon deshalb ab, weil es schlicht den Realitäten entspricht. Und wie es sich für einen schlitzohrigen und keinesfalls verbissenen Kritiker des real exisierenden Kapitalismus made in USA gehört, beherrscht er die Mechanismen der medialen Verwertungskette souverän.
In „The Big One“ – Moores Namensvorschlag für die USA – sehen wir ihn auf PR-Tour der ungewöhnlichen Art für „Downsize this!!“ durch 47 US-Städte. Das Buch, das derzeit auch hierzulande („Querschüsse“) binnen 4 Wochen schon 125.000 Mal über die Ladentische ging, dient dabei gewissermaßen als Aufhänger für alltägliche Innenansichten aus „God’s own country“. Wir sehen Moore, wie er Schecks an Clinton, Dole und Buchanan im Wahlkampf verschickt und stolz die Antworten präsentiert, bei einer Stippvisite in seiner Heimatstadt Flint und zu Besuch bei Nike-Boss Phil Knight. Diese Begegnungen kreisen um Themen, die bis heute virulent sind: Gnadenlose Rationalisierung und Lohndumping, Steuererleichterungen für Großkonzerne und hohle Phrasen der Politeliten.
Was „The Big One“ zu einer höchst amüsanten Angelegenheit macht, sind Moores gezielte Regelverstöße gegen die ideologische Konsensfabrik und der ihm eigene, erfrischende Humor. Pointiert, wie es sich für einen versierten Satiriker gehört, legt er die strukturellen Widersprüche lustvoll bloß, zumal er weiß, dass die besten Geschichten immer noch das alltägliche Leben selbst schreibt. Das fügt sich hier zu einem bitterbösen und zugleich urkomischen Blick hinter die Kulissen von Clintons Amerika, dessen freche Tonlage man sich auch hierzulande öfter wünscht.RAINER BRAUN