: Verschwundene Minderheit
Der geplante Gedenkort für die während der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen legt den Schwerpunkt auf die schwulen Männern – und spielt so den Nazis in die Hände, die die Auslöschung der Identität der Lesben als Minderheit betrieben
VON MAREN KROYMANN
Das Mahnmal soll an die Unterdrückung von Schwulen und Lesben während der Nazizeit erinnern. Schwule und Lesben sind unter dem Nationalsozialismus aber auf unterschiedliche Weise unterdrückt worden. Etwas vereinfacht gesagt: Homosexuelle Männer wurden getötet, Frauen totgeschwiegen.
Brutal und offen erkennbar verbrecherisch ist die erste Art der Unterdrückung, mindestens ebenso nachhaltig in der Auslöschungswirkung für die Identität der gesamten Minderheit die zweite. Gegen die erste Art kann man aufbegehren, kämpfen, sich zusammentun, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickeln, kurz: ein Gefühl der Identität entwickeln. Die lesbischen Frauen dagegen überlebten um den Preis, dass es sie offiziell nicht gab.
Mir kommt es so vor, als ob diese Überlebenstechnik – so zu tun, als ob man nicht da ist – heute immer noch die Basis des lesbischen Ichgefühls in dieser Gesellschaft ist. Wie soll jemand Selbstbehauptung lernen, der gar nicht existiert?
Bei den Nazis war es so: Wenn Frauen, die als lesbisch bekannt waren, sich von ihrem Lesbischsein distanzierten, wurden sie nicht mehr behelligt. Und wenn sie ihre Sexualität von vornherein erfolgreich versteckten, wurden sie gar nicht behelligt – ein besonderes Strafrecht wie gegen die „warmen Brüder“ gab es gegen Lesben nicht. Alles in allem ist dies eine Praxis, die mich fatal an heute erinnert.
Das Sichverstecken, das Vortäuschen einer anderen Realität, ja das Sich-nicht-einmal-als-Minderheit-Definieren ist den Lesben offenbar in weit höherem Maß zur zweiten Natur geworden, als wir es wahrhaben wollen. Dass wir Lesben in der Gesellschaft heute immer noch so viel weniger sichtbar sind als die schwulen Männer, dass es immer noch so lähmend wenige Promilesben gibt, die souverän dazu stehen, vor allem unter den älteren, hängt auch mit dieser Tradition der verinnerlichten Selbstauslöschung zusammen – die es im Übrigen nicht erst seit den Nazis gibt und die mit den Nazis auch nicht aufgehört hat. Es ist ein Patriarchatsphänomen. Selbst bei einer verachteten Minderheit gibt es noch Rangunterschiede nach Geschlechtszugehörigkeit.
Das Mahnmal für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus, das jetzt zur Rede steht, soll die Toten würdigen, an die erinnern, die ihrer sexuellen Orientierung wegen litten. Es soll aber auch für die Menschen heute gelten. Denn es gibt sie noch, die Ausgrenzung, die Diskriminierung, die Repression, deren Leidtragende wir mit diesem Mahnmal betrauern. Es gibt sie in anderer Form, aber basierend auf denselben Vorurteilen.
Um Ressentiments, ja Homophobie zu erleben, müssen wir nicht unbedingt nach Polen fahren. Es reicht auch, sagen wir mal, Baden-Württemberg. Oder Berlin-Neukölln. Ein Mahnmal ohne Lesben aber heißt, dass unser Nichtvorhandensein auf höchster symbolischer Ebene sanktioniert wird.
Es wäre dann wie so oft: Wir Lesben fehlen, und es fällt gar nicht auf.
Es wäre so schön, wenn dieses Kunstwerk den Menschen in diesem Land, auch uns Homosexuellen, eine Utopie von Akzeptanz vermitteln könnte. Das wäre dann gleichzeitig ein Beweis dafür, dass es uns heute gibt und dass wir jetzt einen Platz in der Gesellschaft haben.
Ja, wir Homosexuellen – und das ist eben wichtig: nicht nur ihr Schwulen. Es sind ja Künstler beauftragt worden, dieses Mahnmal zu schaffen. Kunst hat die Möglichkeit, mit Bildern, mit Symbolen zu arbeiten, mit Materialien, die Assoziationen, Gefühle wecken. Man muss da nicht konkrete Menschen eines Geschlechts abbilden. Es hätte sicher eine gedankliche Umsetzung auf einer über den Geschlechtern stehenden Ebene gegeben.
Ein Mahnmal für die schwulen NS-Opfer und daneben eine Tafel, die in dürren Worten sagt, dass es den Lesben aber auch nicht richtig gut ging in der Nazizeit, wäre wohl künstlerisch auch nicht das Mittel der Wahl. Es geht ja nicht darum, formal politische Korrektheit zu demonstrieren.
Nun gibt es ein Kunstwerk, auf das sich eine Jury geeinigt hat, und es bildet Männer ab. So ein Videofilm, auf dem Frauen zu sehen sind, müsste doch eigentlich machbar sein. Eine einfache, zugegebenermaßen etwas vordergründige Lösung, auf die man hätte früher kommen können.