SCHLACHT IM GÖRLI : Kampf dem Hype
Verwirrte hauen sich wie im Rausch Schnee ins Gesicht. Geschosse parabeln über die Senke des Görlitzer Parks. Zwei Seiten bedrängen einander. Kreuzberg gegen Neukölln ist die Losung für eine Horde aus einigen hundert mit Katapulten, Schilden und Skibrillen Bewehrten. Darin führen Väter Kinderkompanien an, die lokale Jugendantifa übt schon stolz für den 1. Mai, und es gibt nicht wenige, die hierin so etwas wie die Wasserschlacht auf der Oberbaumbrücke sehen. Zusammengefasst also: harmloses Kreuzberger Winterglück? Nicht nur. In der Zeitung steht, alles sei ein Medienphänomen. Gemeint war hier wohl das Wetter. Dabei sind die Medienvertreter mit ihren Kameras und Fotoapparaten das Phänomen. Nach der Privatisierung des öffentlichen Raums nun auch die Verwertung kommerziell nicht verwertbaren Handelns für die Bildberichterstattung oder noch viel schlimmer: für das Firmenimage. Energydrink-Hersteller, die anderswo gerne Sportevents sponsern, reiben sich bei solchen Aufnahmen sicher aufgeregt die Hände.
Vielleicht deshalb oder vielleicht nur unbeabsichtigt: Nicht wenige Schneebälle treffen die Dokumentierenden. Diese gucken dann böse hinter ihren Geräten auf, doch ohne Handhabe. Und so müsste es sich im Sommer fortsetzen. Kamerateams bei inoffiziellen Open-Airs? Spritzpistolen! Boulevardejournalisten vor kaum bekannten Clubs? Mutwillig ablenken! Im Görlitzer Park bricht mit dem Sonnenuntergang der Kampfeswille ein. Die Übriggebliebenen versammeln sich kräftig eingeseift ums mobile Soundsystem der Initiatoren des ganzen Trubels, eines DJ-Kollektivs. Denen geht es, das beruhigt, nur um den Spaß. Raketen fliegen unter größter Wertschätzung der Freizeitkrieger in den Abendhimmel, und der Schnee wird euphorisch im [4]/4-Takt plattgetanzt. Auf ein Jahr voller Entrücktheiten – ohne Berlinhype! NIELS MÜNZBERG