ORTSTERMIN: SINGLE-FÜHRUNG IM SPRENGEL-MUSEUM : Rundgang ohne Folgen
Die Verzweiflung steht dem Mann ins Gesicht geschrieben. Er ist um die 50, groß, kräftig, in Grautöne gekleidet. Immer wieder schaut er durch eine schwarzrandige Brille nach links, nach rechts – und ist eine gute halbe Stunde zu früh hierher gekommen, ins Sprengel Museum, an diesem sommerlichen Freitagnachmittag. Der Mann will offenbar nichts dem Zufall überlassen, geht zu einer gläsernen Vitrine, deren Inhalt ihn nicht so sehr interessiert wie ein letzter Blick aufs eigene Spiegelbild.
Dann ist es vier Uhr. Die Führung durch die Ausstellung „Liebesgeschichten. Sehnsucht, Hingabe und Erfüllung in Werken von Munch und Nolde bis Picasso“ beginnt – eine Führung extra für Singles. „Im Anschluss an die Führung besteht die Möglichkeit, sich bei einem Prosecco im Museumsrestaurant auszutauschen“, hatte es in der Ankündigung geheißen. Zum Auftakt soll eine Frage die beklemmende Stille hier im Eingangsbereich des Museums überwinden: „Haben sie alle an den schriftlichen Nachweis gedacht, dass sie auch wirklich Singles sind?“, will der Führer wissen. Und versucht zu lächeln. Es gelingt ihm schlecht.
Noch weniger gelingt es den 18 Frauen und vier Männern, die gekommen sind, durchweg über 40 und überwiegend in Grau und Schwarz gekleidet. Sie machen einen Schritt zurück, schauen auf den Boden oder halten sich mit den Augen an einem Bild fest. Und lächeln, wenn überhaupt, eher verhalten. Sie scheinen sich sich beobachtet zu fühlen. Zumal, wenn da auch noch wer ausspricht, was alle voneinander wissen: Sie interessieren sich für Kunst – und sind allein. Gesprochen wird ansonsten nicht. Das überlassen die Besucher dem, der es tun muss.
Von dem ersten Bild, das „Liebespaar“ heißt und von Otto Mueller um 1920 mit Leinfarben auf Rupfen gemalt wurde, hat sich der Mann in Grau bereits zurückgezogen und steht nun da, die Arme vor der Brust verschränkt. Er schaut jetzt nicht mehr nach links oder rechts. Nur noch geradeaus. Die blonde Frau, ungefähr gleich alt und nur wenige Schritte von ihm entfernt, die Arme verlegen hinter den Rücken trägt, scheint auf Augenkontakt zu warten. Vergebens.
Direkt neben dem ersten Bild steht eine Holzskulptur Herbert Garbes von 1919: ein Mann, der mit seinem Kopf zwischen den Beinen einer Frau abtaucht. Niemand sieht hin – denn das würde heißen, dass man, über die hölzerne Szenerie hinweg, einander ansähe. Der Führer erkennt dieses Unwohlsein, lässt die Skulptur aus und geht direkt zum nächsten Bild.
Um zum Erfolg zu führen, ist die ganze Situation wohl zu sehr inszeniert. Nach eineinhalb Stunden ist die Führung, am Ende eine ganz normale, vorbei. Der Einladung auf ein Glas Prosecco im Café auf der Dachterrasse folgt niemand. CHRISTOPH ZIMMER
Nächste Single-Führung: 6. August, 16 Uhr, Hannover, Sprengel-Museum