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Archiv-Artikel

MICHAEL STRECK über TRANSIT In den Niederungen der Niederlande

Unser flaches Nachbarland gilt als sympathischer Vorzeigestaat. Höchste Zeit, mit dieser Vorstellung aufzuräumen …

Neulich war ich mal wieder in Holland. Das ist, falls Sie es vergessen haben, das Land mit den größten Menschen, das dennoch keine anständigen Leichtathleten und Basketballer hervorbringt. Und wo in Gewächshäusern mittlerweile so ziemlich alles wächst, die Leute dennoch weiterhin nur geschmacksneutralen Käse zwischen Toastscheiben kleben. Aber egal.

Ich war in Rotterdam, musste von Freunden einige sperrige Dinge transportieren und bestellte also ein Taxi. Es war 2 Uhr nachmittags. Nach 15 Minuten in der Warteschleife meldete sich ein freundlicher Herr, nahm meinen Wunsch entgegen und sagte, der Wagen würde spätestens in einer Dreiviertelstunde kommen. Wie bitte?! Nichts zu machen, alle Taxis unterwegs. Ich war am Verzweifeln. Wie ich später erfuhr, sind 30 bis 45 Minuten die normale Reaktionszeit holländischer Taxibetriebe.

Es ist an der Zeit, mit ein paar sehr rosigen Vorstellungen über unsere Nachbarn aufzuräumen. Vor allem, da man hierzulande oft gern etwas neidisch zu den Holländern schaut – mit ihrem hohem Wirtschaftswachstum, der geringen Arbeitslosigkeit, weniger Bürokratie, dem soliden Gesundheitssystem und den so wunderbar flexiblen Arbeitswelten. Die Niederlande, will man uns glauben machen, sind das Musterland für das 21. Jahrhundert, in dem im November Parlamentswahlen stattfinden und ein noch blasserer Regierungschef als unsere Kanzlerin sich im Lichte sehr erbaulicher Wirtschaftsdaten sonnt.

Lassen Sie sich von solchen Statistiken nicht blenden! Machen Sie den Alltagstest.

Stellen Sie sich also vor, Ihr Haus-, Frauen-, Kinder- und wahrscheinlich auch Tierarzt ist eine Person. Medizinische Grundversorgung hin oder her. Wenn es ernst wird, wollen Sie eine anständige Behandlung, auch mal einen Spezialisten. Wer also mehr als nur ein Rezept verschrieben haben möchte, reist nach Deutschland und lässt sich dort behandeln. Zwischen Düsseldorf und Mönchengladbach stellen Arztpraxen mittlerweile holländische Krankenschwestern ein, um für die vielen Patienten aus dem Westen besser gewappnet zu sein. So kann man seine Gesundheitsversorgung auch retten: die kostspieligen Behandlungen einfach auslagern.

Stellen Sie sich ferner vor, Sie müssen mit der Bahn zur Arbeit, zum Flughafen oder eben ins Krankenhaus fahren. Doch die Verbindung wird ersatzlos gestrichen. Dies ist keine Ausnahme, sondern alltäglich. Dagegen ist die Deutsche Bahn ein kundenfreundliches Zukunftsunternehmen.

Auch von Autofahrten ist abzuraten, selbst um Mitternacht stehen Sie im Stau. Mit 16 Millionen Einwohnern auf einer Fläche so groß wie Niedersachsen sind es einfach 8 Millionen Menschen zu viel. Bleibt das Fahrrad. Doch wer glaubt, das gelobte Radlerland vorzufinden, wird enttäuscht. Die Räder meiner Frau wurden innerhalb eines Jahres dreimal gestohlen, zweimal wurde der Reifen aufgeschlitzt. Bei dieser Quote fängt man irgendwann unweigerlich an, sich das erstbeste Rad vom Laternenpfahl zu nehmen und es nach Gebrauch wieder abzustellen. Fahrräder sind eine Art Einwegprodukt geworden.

Apropos Einkaufen. Geschäfte schließen um 18 Uhr, die Post noch früher, montags öffnen die Läden erst am Nachmittag. Und von leckerem Kaffee ist man so weit entfernt wie von einem Fußball-WM-Titel. Coffee-Gigant Starbucks, der selbst Amerikaner zu Espresso und Latte macchiato bekehrte, hält das Land offenbar für einen hoffnungslosen Fall. Keine einzige Filiale wurde dort bislang eröffnet.

Und übrigens, wussten Sie, dass Gott in Holland mit SIE angesprochen wird? Jaja. Der Vater im Himmel darf nicht geduzt werden. Beim Vaterunser heißt es also, „Geehrter Herr unser, der Sie sind im Himmel, geheiligt werde Ihr Name“ usw. Wer zum Herrgott keine persönliche, vertraute Beziehung aufbauen kann, der trinkt auch lieber Wasser als Wein; der ist nicht nur protestantisch streng und lustgehemmt, sondern auch knausrig. Amerikaner sagen zu Menschen, die im Restaurant getrennte Kasse machen wollen, „go dutch“.

Fotohinweis: MICHAEL STRECK TRANSIT Fragen Sie Beatrix? kolumne@taz.de Morgen: Helmut Höges AGRONAUTEN