Keine Rebellion der Juso-Hochschulgruppen im Reichstag

Zum wiederholten Male trifft sich der jungsozialistische Hochschulnachwuchs der SPD im Bundestag. Gut abgeschirmt vom Einlassdienst denken die Jusos über den „Wandel der Studierendenpolitik“ nach. Fahrtkostenerstattung und Fußball ist möglich – aber keine Diskussion im SPD-Fraktionssaal

BERLIN taz ■ Um 16 Uhr, endlich, platzt einem Jungsozialisten der Kragen. „Ich bin doch nicht einen halben Tag lang hierher angereist“, schimpft der Student, „um mir hier das Diskutieren verbieten zu lassen. Fußball wichtiger als eine Diskussion – wo gibt’s denn so was!“ Grummeln im Saal. Man versteht nicht genau, wer jetzt alles spricht. Aber die Tagungsleitung tritt das rebellische Flämchen Juso-Aufbegehrens schnell aus. Also weiter wie geplant: Fragen sind, wiewohl Mikrofone herumstehen, bitte per Zettel einzureichen.

Auf dem Podium des Kongresses der Juso-Hochschulgruppen im Berliner Reichstag sitzen bewährte Genossen. Sie berichten darüber, wie der SPD-Nachwuchs an den Hochschulen in diversen Flügeln studentische Politik zu machen versuchte. MdB Ottmar Schreiner zum Beispiel, der dieser Tage das Fähnlein der parteiinternen Kritiker von Kanzler und Agenda 2010 anführt; damals spontaner Gründer einer Juso-Hochschulgruppe in Saarbrücken. Oder Detlev Albers, einer jener beiden Studis, die einst die Ordinarienherrschaft mit dem legendären Transparent „Unter den Talaren der Muff von 1.000 Jahren“ bloßstellte. Inzwischen sitzt er als Chef der Bremer Landes-SPD mit am Tisch, um mit der CDU Koalitionsverträge auszuhandeln.

Hier, im Reichstag, lädt ihn der Juso-Moderator Christian Haberecht auf, doch „ein paar Anekdötchen zu erzählen.“ Aber auch Albers muss sich ranhalten. Um vier schon beginnt das Länderspiel Schottland gegen Deutschland! Das wollen die Jusos lieber sehen, als das 30-Jährige ihrer Hochschulgruppen auszudiskutieren.

Dabei könnte es doch so spannend sein mit Albers und den anderen. Der Revoluzzer vom Sozialistischen Hochschulbund hat seinen Esprit nicht verloren. Die Demokratisierung der Hochschulen zum Beispiel sei doch „eine beklemmend aktuelle Frage“. Albers ruft die Jusos auf, sich mit dem „offen konservativ-reaktonär-ständischen Urteil von 1974 nicht zufrieden zu geben“. Karlsruhe entschied damals, dass Professoren in Uni-Gremien stets die absolute Mehrheit haben müssen – und beendeten das Zwischenhoch einer drittelparitätischen Mitbestimmung an der Uni, die Albers erleben (und praktizieren!) durfte.

So leicht lassen sich die heutigen Jusos nicht abfieseln. Wenn sie im Wissenschaftsministerium über Mitbestimmung verhandle, berichtet Alexandra Ortmann vom aktuellen Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen, dann habe sie den Eindruck, dass eher die „ehemaligen Jusovertreter in den Ministerien sich mit dem Urteil zufrieden geben“. Sie hingegen bekämpfe die Entscheidung heute noch.

Aber trotz Ortmanns Hinweis steht das Rätsel im Raum, wofür die Studis eigentlich noch kämpfen. Früher war das „politische Mandat“ wichtig, also die Möglichkeit der Studierendenvertreter, sich zu allen politischen Themen auch außerhalb der Uni zu äußern. Das kam einer Öffnung der studentischen Politik auf das Spektrum junger Intellektueller gleich. Heute aber sind Studiengebühren der große Aufreger. Ein Thema freilich, das den politischen Spielraum auf die Vertretung materieller Interessen der Studierenden verengt: das Recht, umsonst zu studieren.

„Ich wollte nie reine Interessenvertretung“, meint Richard Meng, auch ein früherer Juso-Aktivist. Der heutige Parlamentskorrespondent der Frankfurter Rundschau sieht bei seinen Nachfolgern viel „unreflektierte Interessenpolitik“. Der Sinn von Studentenarbeit aber, so Meng, „fängt erst an, wenn man über die Hochschulen hinausschaut“.

Beim Juso-Kongress selbst ist es indes gar nicht möglich, dass mal jemand anderes reinschaut. Zugelassen sind nur angemeldete Juso-Hochschulgrüppler. Der Einlassdienst des Reichstages sorgt dafür, dass man unter sich bleibt. Das ist vielleicht der greifbarste Unterschied zwischen den Uni-Jusos alt und neu. Früher wurde man als Juso im Zweifelsfall aus der Partei geschmissen oder – wie der SDS – gleich der ganze Nachwuchsverband als unvereinbar mit der SPD-Politik gebrandmarkt. Heute tritt die SPD-Bundestagsfraktion als Mitveranstalter des Kongresses auf. Das beschert den Teilnehmern den SPD-Fraktionssaal als Tagungsort, es sichert ihnen die Fahrtkostenerstattung, die am konzentriertesten frequentierte Veranstaltung des Kongresses. Und es macht die Debatte gleichzeitig formierter – und langweiliger. CHRISTIAN FÜLLER