JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE : Wir küssten und wir schlugen uns
Mein Golf ist tot. Okay, das ist kein Drama. Nur das Ende einer brutalromantischen Beziehung
Na, ich will nicht dramatisieren. Mein Lebensglück bleibt davon unbeschädigt, aber etwas Wehmut von wegen „Ende einer Ära“ verspüre ich doch: Mein Roter Golf ist tot. Ich kannte den Roten Golf, fast seit er auf der Welt war. Noch zu Schulzeiten war er das erste eigene Auto meines Freundes Pete. Vielmals rollte ich auf seinem Beifahrersitz, eine Dose Faxe auf den Knien, Rockkonzerten in der Großstadt entgegen.
Später verkaufte Pete den Roten Golf an meine Freunde Mirek und Hillary, die damit ihr Baby durch München und mich zu Skiausflügen kutschierten. Sie zogen weg, den Wagen kaufte ich.
Der Rote Golf verstand es, gekonnt zu provozieren und so für Nervenkitzel zu sorgen, dass man ihm kaum böse sein konnte. Vor Jahren etwa verdingte ich mich als Melker auf einer Almhütte. Eines strahlenden Morgens machte ich mich auf eine Besorgungsfahrt ins Tal. In der ersten Kurve machte es KLONK! – Kupplungsseilriss, Schreck, Ratlosigkeit. Dann ein großer, kitzeliger Jungsspaß für mich und meinen Passagier, das so erlahmte Auto gleich einer Deluxe-Seifenkiste nur mittels Hangabtriebskraft und wohldosierten Bremsens über Forstwege und Bergstraße bis ins Tal und mit letztem Schwung vor eine Werkstatt im Dorf zu bugsieren. Ich schätzte den Roten Golf mehr als die anderen Autos in meinem Leben aufgrund der, tja: brutalromantischen Beziehung, die sich zwischen uns entspann. Wir küssten und wir schlugen uns. Das heißt: Ich schlug ihn. Zur Winterszeit etwa, wenn er mal wieder nicht ansprang und ich, von Bitterkälte und Zeitdruck entnervt, mich an ihm verging, dass man fürchten musste, Beobachter könnten den psychiatrischen Notdienst rufen. Stimmt, ich bin nicht der ausgeglichenste Mensch.
Und wer mir darin ähnlich ist, weiß, wie befreiend und gut es ist, den glühend hochsteigenden Zorn – bevor er den Kopf zerreißt, schlechte Laune macht oder gar in ein böses Wort gegen Unschuldige mündet – an einem unbelebten Objekt abzulassen. Und zwar nichts von wegen Sandsack oder „Wutzettel – Bei Wutanfall zerknüllen“. Schnullibulli! Ein Delle in einen Kotflügel zu treten, das – ich möchte nicht sagen, „das hat Klasse“. Aber es frischt auf.
Der Rote Golf und ich hatten einen Pakt. Ich durfte irrational fies zu ihm sein – er steckte es weg und verurteilte mich nicht. Sagte „geht’s wieder?“, und dann fuhren wir los. Er war ja nicht eitel, ihm war es wurscht, wie er aussah, schämen musste ICH mich ja dafür, in einem zerbeulten Auto rumzufahren. Einmal borgte ich das Auto meinem Freund Arno, der damit den Obersalzberg besuchte. Dort saß er dann stundelang fest, weil der Rote Golf aus politischen Gründen nicht mehr anspringen wollte – ein Wagen mit Charakter.
Im Alter – bei mir wartungstechnisch schändlich unterversorgt – fand der Rote Golf in meinem Freund Matthias einen, ich möchte sagen: väterlichen Freund und Förderer. Matthias ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen der TU München, selbst Halter eines alten roten Golfs und Mechaniker aus Leidenschaft. Er kümmerte und sorgte sich um meinen Roten Golf, als wäre er sein eigen Flei …, äh, sein eigener roter Golf.
Zuletzt stand es schlecht um den Roten Golf, und Matthias erklärte sich voller Optimismus bereit, einen Eingriff zu wagen, der nur mit einer Herztransplantation vergleichbar ist: die Auswechslung der Zylinderkopfdichtungen. Aber ach, der geöffnete Motor brachte es an den Tag: Es war nichts zu retten. Der Zylinderkopf wies Risse auf, ein Wunder, sagt Matthias, dass er nicht längst abgeraucht war. He lived fast, wie man so sagt: Sein Turbolader hat ihn das Leben gekostet, „Turbos verschleißen schneller“, sagt Matthias. Dazu die viele crazy Bergfahrerei …
Unsere letzte Fahrt führte den Roten Golf und mich an der Abschleppstange von Matthias’ rotem Golf von München heim in den Chiemgau. Dort wird Matthias ihn ausschlachten, der Rote Golf wird aufgehen in anderen Golfs und deren Leben verlängern. Geh denn hin, Roter Golf. Um es mit Neil Young zu sagen: Long may your Einzelteile run!
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