JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE : Schadenfreude, Götterfunken
Wenn sich in politisch korrekten Zeiten schon mal eine niedere Regung als okay-hey andient, dann zier dich nicht
Ja. Man soll sich nicht an Schadenfreude hochziehen, das ist billig und nieder. Allerdings will der Begriff sorgfältig geklärt sein. Wo hört die Gaudi auf, wo fängt die Freude an? Man lacht, wenn der Kollege die polierte Glastür übersieht und dagegenditscht, aber man freut sich doch nicht, dass ihm dann der Kopf wehtut. Oder wenn ich jetzt in einem turbulenten 80s-Hollywoodfilm wäre und wir machen eine Verfolgungsjagd und das Bullenauto segelt in den Gemüsestand, dann finde ich das lustig, aber ich freue mich doch nicht darüber, dass … na ja, dass das ganze Gemüse hin ist.
Ich würde das Schadenspaß nennen: ein kurzer, dreckiger Affekt. Aber Freude ist doch etwas anderes. Wenn Sie öfter tiefe, ehrliche, wärmende Freude empfinden, wenn der Nachbar sich aufs Glatteis setzt oder es den Skater von gegenüber mal wieder hochkant in die Verkehrsinsel steckt, dann sollten sie das mal anschauen lassen. Echte Schadenfreude ist – so einer nicht gerade im Wesen ein zynischer Sausack ist – etwas Rares, denn sie setzt Mitleidlosigkeit voraus. Ich bin da ganz schlecht, mir taten sogar die Leute in „Verstehen Sie Spaß?“ leid. Aber was habe ich mich letztens gefreut: Die Schwester vom Flieger abzuholen, hatte ich mein Auto auf einem der ziemlich gebührenpflichtigen Parkplätze vor dem Münchner JFK-Airport abgestellt und war auf dem Weg ins Gebäude, als ich hinter mir Rumpeln hörte und ein Quietschen.
Ich blickte mich um und sah ein riesiges, blitzblankes Sport Utility Vehicle, das auf dem Randsteinwulstdingsbums, das den Parkplatz umgrenzt, auf Grund gelaufen schien.
Der Lenker des Fahrzeugs (Mercedes ML 320 CDI, Listenpreis: 74.420 Euro, 224 PS, 2.987 ccm) hatte – wohl um die Geländegängigkeit des Autos zu demonstrieren, wohl aber auch, um die vier Mark Gebühr zu sparen – versucht, den Parkplatz mit einem sportlichen Satz vorwärts über den Randsteinwulst zu verlassen, dabei aber der vollidiotischen Kühlerhaubenhöhe wegen die Stahlpfosten übersehen, die den Randsteinwulst säumen, und zwei davon geradewegs umgefahren; einer hatte sich dabei so unter dem obszönen Automobil verkeilt, dass es nun nicht mehr vor noch zurück konnte. Dem riesigen Vehikel entstieg eine kleine Frau mit Solariums-Teint, blondiertem Haar, modischer Bluse sowie – eine Schätzung – 300-Euro-Burberry-Halstuch und guckte.
Ich war wie baff ob des Szenarios, das sich da vor mir entfaltete wie ein Strauß abgeschmackter Klischees in guter Hoffnung ihrer stumpfestmöglichen Erfüllung. Was da alles drinsteckte! Diese reiche Schnepfe, wie sie da vor ihrem aufgespießten Monsterauto stand wie eines der schusseligen Weibchen in so 50er-Jahre-„Frau am Steuer“-Cartoons; was würde Vati dazu sagen, dass Mutti das teure Spielzeug kaputtgemacht hatte, weil sie die Parkgebühr prellen wollte? Was mochte der Security-Mann denken, der sich nun zu ihr gesellte, was mochte sie ahnen, dass der sich dachte?
Ich horchte in mich hinein. Keine Regung von Anteilnahme. Wenn ich an aufgeflogenen Schwarzfahrern, Blechschäden, Polizeikontrollen o. ä. vorbeikomme, versuche ich immer wegzugucken, um die in die Bredouille Geratenen nicht zu beschämen. Jetzt glotzte ich, schamlos, knipste Fotos. Schadenspaß und unbeschwerte Schadenfreude wogten in meiner Brust und vereinten sich zu einer den Vormittag aufhellenden Fröhlichkeit. Ich war mitleidlos, ein Sausack, jetzt und hier, und es war gut.
Als ich nach einer Stunde zurückkam, stand die mittelgebirgsgroße Karre immer noch wie festbetoniert da. „Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz“, hoffte ich grimmig, doch dann fiel mir das Klima ein und ich leistete innerlich Abbitte.
PS: Ja, ich hab mich oben um die Einordnung der Sache mit dem Polizeiauto im Gemüsestand gedrückt. Entscheiden Sie bitte selbst, ob Sie ein kaputtes Polizeiauto in einem Gemüsestand spaßig oder erfreulich finden. Und jaaa, über Geländewagen greinen, aber die Verwandten in Flugzeuge setzen. Voll schizophren, ne?
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