„Hier geht‘s ums Geld, da ums Prinzip“

Die Enteignungsbehörde versteht sich trotz des martialischen Namens als „Mediationseinrichtung“. Gelegentlich machen Werner Feige und Knut Schöne der Politik einen Strich durch die Rechnung. Meist sehen sie Autobahnen als Stück Gemeinwohl

Bremen taz ■ Der Name klingt dramatisch: Enteignungsbehörde. Man sieht sie förmlich vor sich, die Herren im grauen Anzug, die ungeachtet menschlicher Schicksale Gärten, Häuser und Vorgärten enteignen, ihren Besitzern brutal entreißen, um Grund und Boden für neue Straßen oder Gleise zu gewinnen. Alles im Namen des vorgeblichen Gemeinwohls. Aber an dieser Phantasie ist noch nicht einmal die Hälfte wahr.

Es sind in Bremen zwei Menschen, Männer genauer gesagt, die zusammen die Enteignungsbehörde ausmachen. Werner Feige ist einer von ihnen, er macht das schon seit über 30 Jahren. Knut Schöne ist der andere. Er leitet seit acht Jahren als so genannter „Volljurist“ die zweiköpfige Behörde – und hat nebenbei noch einen Sack voll anderer juristischer Aufgaben in der Baubehörde zu bewältigen.

„Wenn man es modern ausdrücken will, dann sind wir so eine Art Mediationsstelle“, beschreibt Behördenleiter Schöne seine Tätigkeit. Bevor die Enteignungsbehörde in Aktion tritt, muss der Versuch, sich gütlich zwischen den Streitparteien zu einigen, gescheitert sein. Wenn also die Stadt zusammen mit der BSAG einen neuen Streckenabschnitt plant, und zwar mitten durch den Vorgarten eines Horner Reihenhauses, versuchen die Enteigner zunächst, die Angelegenheit sozusagen unter vier Augen zu klären. Erst wenn das nicht gelingt, wird ein Antrag gestellt bei der Enteignungsbehörde. „Wir begutachten dann den Wert des strittigen Grundstücks und laden zur mündlichen Verhandlung“, so Schöne. Auch hier ist das Ziel die gütliche Einigung: „Am Ende soll sich jeder als Gewinner fühlen. Das ist sozusagen unser Auftrag und den nehme ich sehr ernst.“ Manchmal, so Schöne, dauert ein solches Gespräch mehrere Stunden.

Die Behörde muss aber zunächst prüfen, ob das für eine Enteignung unbedingt nötige gesteigerte öffentliche Interesse auch tatsächlich besteht. „Als die Straßenbahn die Linie 4 nach Borgfeld gebaut hat,“ erklärt Werner Feige, „da lag dies im Interesse der Allgemeinheit wegen der in Umweltgesetzen festgelegten Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs“. Abgelehnt hat die Behörde dagegen den Antrag der Stadt, dem inzwischen ‚berühmt‘ gewordenen Bauern Wähmann die Rechte an einer Wiese zu enteignen, die für eine Verlängerung der Flughafenstartbahn benötigt wurde. „Da haben wir das öffentliche Interesse nicht so gesehen“, begründet Feige in Kürze, was in Wahrheit das Ergebnis langer juristischer Recherche und Abwägung war.

Auch ein kleiner Gewerbetreibender am umstrittenen Neubaugebiet Weidedamm III hatte Glück: Als die Stadt auf dem Kleingartengebiet im Stadtteil Findorff ein neues Wohnquartier plante und – neben anderen – auch sein Grundstück enteignen wollte, entschied die Behörde: Das Stückchen Land liegt so deutlich am Rand des Baugebietes, dass eine Enteignung gegen den Willen des Besitzers nicht nötig ist. Für andere Parzellenbesitzer, deren Scholle mitten im Baugebiet lag, endete die Sache damals nicht so glimpflich. „Das waren natürlich auch harte Entscheidungen“, erinnert sich Feige an die Verhandlungen Anfang der 90er Jahre. Denn die Enteignungen trafen dort auch Menschen, die mit Hund und Katz in einem Parzellenhäuschen wohnten und als Entschädigung ‚nur‘ den Verkehrswert für einen Schrebergarten bekamen. „Davon konnten die sich natürlich kein neues Häuschen kaufen und so, wie sie dort lebten, konnten die nicht einfach in eine Wohnung.“ So wurde gleich nach der Enteignungsbehörde die Sozialbehörde zuständig.

Fälle wie der Weidedamm sind aber die Ausnahme: „Der Standardfall sind Straßenneubauten oder Straßenerweiterungen“, so Schöne. Die Grundstücksbesitzer könne man dabei in zwei Kategorien einteilen. „Den einen geht’s ums Geld, den anderen ums Prinzip.“ Und gibt es da nicht innere Sympathien gegen die einen und für die anderen? „Nein“, sagen beide Behördenleute in aller Korrektheit: „Beide Interessen sind juristisch geschützt und menschlich verständlich“. Und Schöne fügt hinzu: „Ich würde nie sagen, dass wir es hier mit Querulanten zu tun haben“.

So wichtig ihm seine innere Neutralität ist, so wichtig ist ihm die Unabhängigkeit der Behörde. „Wir sind gegenüber der Politik nicht weisungsabhängig.“ Und es hat ihm zufolge auch noch keinen Versuch gegeben, politischen Einfluss zu nehmen. „Über uns sind nur noch die Gerichte“. Die allerdings schon des öfteren. Wer mit dem Schiedsspruch der Enteigner nicht zufrieden ist, zieht vor die Baulandkammer am Landgericht, danach vors Oberlandesgericht, sogar beim Bundesgerichtshof landete einst die Klage eines Grundstücksbesitzers, der für eine Friedhoferweiterung enteignet werden sollte. „Aber auch da ging es bloß ums Geld“, erinnert sich Feige.

Bei aller Unabhängigkeit: Die Entscheidungen der Enteignungsbehörde fallen entlang eines gesellschaftspolitischen mainstreams, für den etwa der politisch verabredete Bau einer neuen Autobahn auf jeden Fall von öffentlichem Interesse ist. Bei Straßenverbreiterungen hingegen sei es schon mal vorgekommen, dass man eine Spur am Ende schmaler gebaut hat, um die Rechte der Anrainer zu wahren. Insofern, gibt Schöne zu, machten sie schon ihre Augen auf, wenn die Gegner der Verbreiterung des Concordia-Tunnels ihre Schilder an den Straßenrand stellen. „Ich denk mir dann, das ist vielleicht die Arbeit von morgen“, so Feige. Und Schöne fügt hinzu: „Nicht, dass ich da eine innerer Wertung vornehme, aber ich bin schon heute gespannt auf die Argumente der beiden Parteien.“ Elke Heyduck