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: Die restaurierte Ruine „Greed“ von Erich von Stroheim

Auch bei der jüngsten aller Künste, dem Film, gibt es schon Ruinen zu bestaunen. Auch hier gibt es zerstörte Meisterwerke, deren Überreste nur eine Ahnung von der Wirkung des gesamten Werkes vermitteln, denen dafür aber eine ähnlich mythische Aura anhaftet wie dem Kolosseum oder der Venus von Milo. Es lebt heute niemand mehr, der den Stummfilm „Greed“ (“Gier“) so gesehen hat, wie er von Erich von Stroheim konzipiert, gedreht und geschnitten wurde. Dieser frühe 2directors cut“ war über neun Stunden lang und wurde nach wenigen Vorstellungen vom Leiter der MGM-Studios Irving Thalberg rigoros zu einer etwa 140 Minuten langen Fassung zusammengeschnitten. Und dieser Torso des Films wird immer wieder genannt, wenn nach den ?besten Filmen aller Zeiten`` gefragt wird.

Das Filmmaterial des Originals wurde vom Studio eingeschmolzen, um das Silbernitrat zurückzugewinnen. Eine bittere Ironie bei einem Film, der von der Gier und dem Geiz erzählt. In „Greed“ gibt es keinen positiven Helden: alle Protagonisten sind selbstsüchtig und machen sich schuldig. McTeague ist ein Quacksalber, der ohne medizinische Ausbildung als Zahnarzt arbeitet und sich in Trina verliebt, nachdem er sie bei einer Zahnbehandlung betäubt und geküsst hatte. Sein Freund Markus überlässt sie ihm großzügig, will seine einstige Freundin aber zurück, nachdem sie in einer Lotterie gewinnt. Doch gerade dieser Geldgewinn stürzt alle endgültig ins Unglück, denn Trina wird angesichts des Reichtums so geizig, dass sie ihrem Gatten McTeague verdorbenes Flisch zu essen gibt, um ein paar Cent zu sparen, während sie sich nachts nackt im Bett wie Dagobert Duck auf ihren Goldstücken wälzt. „Der Film ist ein Extrakt von Schmutz, Depression und einem entsetzlichen Bild von der entrechteten menschlichen Natur, ausgedrückt mit mächtigen filmischen Mitteln“ schrieb der Filmhistoriker Paul Rotha.

Von Stroheim, der sich in Hollywood als „the man, you love to hate“ einen Namen gemacht hatte, wurde von dem Ehrgeiz getrieben, den Roman „McTeague“ von Frank Norris so ausführlich und realistisch wie nur möglich auf Film zu bannen. So dreht er die Anfangsequenz in der gleichen Goldmine, von der Norris schrieb und für das tödliche Finale in der Sandwüste zog das gesamte Team hinaus in die mörderische Hitze von Death Valley. Es gibt wohl keinen anderen Film aus dieser Zeit, der so authentisch wirkt, und die Konventionen des abgefilmten Theaters so kompromisslos durchbricht. Dieser fast dokumentarische Realismus war ein radikaler Gegenentwurf zur Traumfabrik Hollywood, deren glamouröseste Produkte ja gerade die MGM Studios herstellten. Kein Wunder also, dass Strohheims größter Film (wie vorher schon sein „Foolish Wives“und später „Wedding March“) vom Studio ausgenommen und verstümmelt wurde.

Eine vollständige Fassung von „Greed“ wird es wohl nie mehr geben, aber der amerikanische Filmrestaurator Rick Schmidlin hat vor einigen Jahren bei einem Besuch der Witwe von Strohheim in Frankreich eine sensationelle Entdeckung gemacht. Dort fand sich ein Truhe mit Hunderten von Filmstandbildern sowie Strohheims 330 Seiten langes Originaldrehbuch, das ebenfalls als verloren galt. Mit diesem Material und verschiedenen Kopien des Films, die Schmidlin sich in intern. Filmarchiven zusammensuchte, montierte er eine vier Std. lange Version von „Greed“, die zumindest einen Eindruck von den Dimensionen und Tiefen des Werkes vermitteln kann. Schmidlin selber wird diese am Dienstag Abend um 18 Uhr im Kino 46 vorstellen. Wilfried Hippen