DIE MAGISCHEN BILDER DES NORDKOREANISCHEN TOTALITARISMUS : Die Wunder Kims
KNAPP ÜBERM BOULEVARD
Was der Ethnologie bis ins 20. Jahrhundert der Eingeborenenstamm war, das ist uns heute Nordkorea: das ganz Andere unserer Gesellschaft. In Wien wurde dieser Tage unter dem Titel „Blumen für Kim Il Sung“ im Museum für Angewandte Kunst die größte Ausstellung nordkoreanischer Propagandakunst, die den Westen je erreicht hat, eröffnet. Wochenlange Attacken gingen dem voraus: Macht man hier nicht Propaganda für eine Diktatur? Die Schau hat dieser Diskussion nun Einhalt geboten. Die Bilder bestätigen den ethnologischen Zugang zu hundert Prozent. Das ist das Außerspacigste, was man seit langem gesehen hat. Da braucht es keine kritischen Kommentare, um Distanz zu schaffen. Da steht man ohnehin nur mit offenem Mund davor. Dagegen war der sozialistische Realismus sowjetischer Prägung ein nüchterner Naturalismus.
Was man hier sieht, ist der wirkliche Irrlauf einer Ideologie. Kims „Juhe“-Ideologie hat den historischen Materialismus als absoluten Willen zur Autokratie interpretiert. Im kollektiven Autismus eines völligen abgeschotteten Landes bedeutet diese Autokratie nicht nur die absolute Verfügungsgewalt über die ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen der Bevölkerung – wie in allen anderen Totalitarismen. „Juhe“ will auch noch die Natur beherrschen. Technisch und magisch. 1994, nach dem Tod Kim Il Sungs, weinten nicht nur tausende Menschen haltlos in aller Öffentlichkeit. Auch die Vögel trauerten, so der offizielle Kommentar. Kraniche flogen die Seele des Verstorbenen zum ewigen Leben. Kein Wunder, dass Kim der „Ewige Präsident“ Nordkoreas ist. Es ist diese Mischung von Bürokratie und Mystik, die in den Bildern sichtbar wird. „Kim bei den Kulturschaffenden“ ist ein Gemälde, wo die Erlöserfigur mit Anzug und Brille von kulturschaffenden Beamten umringt wird, die an seinen Lippen hängen. Oder in dem Bild, das Kim nachts am Schreibtisch mit leuchtender Lampe zeigt und das „Ewiges Licht“ heißt.
Mystischer Realismus
Das ist nicht sozialistischer, das ist mystischer Realismus. Hier kippt alles in sein Gegenteil: Die Autarkie mündet in den Wundern, die man Kim zuspricht, die Selbstermächtigung in Magie. Verkehrung auch in dem Gemälde „Abendrot über Kangson“: Hier sieht man einen wunderschönen blutroten Himmel hinter einer riesigen Fabrikanlage. Da färbt nicht die Abendsonne die Industrie idyllisch ein, wie ein Kritiker schrieb. Ganz im Gegenteil: Das Idyllische ist die Industrieanlage, die Wunder und Weisheit der Partei dokumentiert, vor der selbst das Abendrot sich noch verneigt. Die Realität verkehrt sich ins Surreale einer konstruierten „Wirklichkeit“.
Kim bitte nicht falten!
Da manipuliert nicht einfach eine zynische Nomenklatura ein naives Volk. Da unterliegt vielmehr eine totalitäre Führung ihrer eigenen Allmachtsfantasie, ihrem infantil-magischen Denken. Das zeigt sich sehr deutlich am Umgang mit den Porträts von Kim Il Sung und jenen seines Sohnes Kim Jong Il, die den Hauptteil der gesamten Bildproduktion darstellen. Diese Porträts sind in Nordkorea allgegenwärtig – auf der Straße, in allen öffentlichen Räumen oder in den 35.000 landesweiten Monumenten. Es ist aber nicht die Quantität, die diesem Persönlichkeitskult seine eigene Note gibt. Es sind vielmehr solche Momente: Alle Nordkoreaner sind angehalten, die Bilder ihrer geliebten Führer als Anstecknadeln zu tragen – allerdings nicht an ihrer Arbeitskleidung. Da könnten sie beschmutzt werden. Zeitungen mit ihren Porträts dürfen nicht weggeworfen, Briefmarken mit ihrem Konterfei nicht benutzt werden, sonst würde man ihnen ja ins Gesicht stempeln. Bei der Pressekonferenz in Wien bekamen die Journalisten folgerichtig auch keine Fotos der ausgestellten Gemälde ausgehändigt. Sie könnten das Bild von Kim ja falten!
Kurzum – es ist dieser magische Glauben an die Bilder, die Gleichsetzung von Bild und Verehrten, die diese Idolatrie prägt. Auch massenhaft reproduziert hat jedes einzelne Bild des geliebten Führers eine Aura und muss wie ein wahres Bild behandelt werden. Wenn sich auf dem Gemälde „Wir sind die glücklichsten Kinder der Welt“ Jubelnde um den Diktator scharen, dann sieht man genau, wo dieser Abgrund der Naivität seinen Ausgang nimmt.
■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien