Can Dündar und die Strategien des türkischen Machthabers : Wie Erdoğan an der Macht bleiben will
Der Journalist Can Dündar im Gespräch über Erdoğans Versuche, seine Macht zu zementieren und die fragwürdigen neuen Machthaber in Syrien. Can Dündar diskutiert auch auf dem taz lab 2025.

taz lab: Herr Dündar, am Mittwoch wurde der Istanbuler Bürgermeister İmamoğlu festgenommen, der sich bei der nächsten Wahl zum Präsidentschaftskandidaten ausrufen lassen wollte. Erdogan scheint große Angst zu haben, diese zu verlieren. Läuft seine Zeit ab?
Can Dündar: Ja, er hat erkannt, dass er von nun an keine demokratische Wahl mehr gewinnen kann. Deshalb wendet er die Putin-Taktik an: Verhaftung seiner Rivalen, Inhaftierung seiner Gegner, Versuch, durch Wahlfälschung an der Macht zu bleiben. Das jüngste Vorgehen gegen İmamoğlu ist ein Zeichen für diese Verzweiflung. Aber es ist auch ein Zeichen für seine Entscheidung, zur vollständigen Autokratie überzugehen.
taz lab: Die Ergeignisse überschlagen sich: Vor kurzem rief Abdullah Öcalan, der Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), seine Partei dazu auf, sich aufzulösen. Was sind die Gründe dafür?
Der Journalist Can Dündar wurde wegen einer Reportage über illegale Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Syrien inhaftiert. Seit 2016 lebt er im Exil in Deutschland. Den Job als Chefredakteur bei Cumhuriyet musste er aufgeben. Dafür leitet Can heute bei CORRECTIV das Projekt #ÖZGÜRÜZ, ein türkischsprachiges Medium, das vor allem über soziale Medien in die Türkei sendet.
Can Dündar: Es ist bemerkenswert, dass Erdoğans Koalitionspartner Bahçeli von der rechtsnationalistischen MHP im Herbst auf Öcalan zuging. Die Gründe lassen sich auf drei Ebenen zusammenfassen: politisch, militärisch und diplomatisch. Zunächst braucht Erdoğan innenpolitisch die Unterstützung der Kurden, um seine dritte Amtszeit zu sichern. Dazu müsste er die Verfassung ändern, wozu das Bündnis mit der MHP allein nicht ausreicht.
Was sind die diplomatischen und militärischen Gründe?
Mit einem Machtwechsel in Syrien Einfluss auf die Zukunft des Landes zu gewinnen – vorausgesetzt, die Kurdenfrage wird geklärt. Militärisch gesehen, stehen die kurdischen Guerillas durch türkische Drohnenangriffe stark unter Druck. Sie sitzen im Irak fest, sind massiv eingeschränkt und können in der Türkei kaum aktiv werden. Die Waffenruhe kam für sie daher zum richtigen Zeitpunkt. Es sieht nach einer Win-in-Situation für beide Seiten aus.
Können die Kurden im Gegenzug Zugeständnisse erwarten?
Das ist die zentrale Frage. Von der Erdoğan-Regierung ist bislang nichts zu hören. Doch die Kurden erwarten vermutlich eine Amnestie und vor allem eine Verfassungsänderung, die ihre Existenz und ihre Rechte anerkennt. Bisher ignoriert die türkische Verfassung mehr als zehn Millionen Kurden im Land. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Erdoğan wirklich bereit ist, diesen Schritt zu gehen.
Parallel zur sogenannten Friedensinitiative gibt es Repressionen gegen Journalisten und die kurdische Bevölkerung. Zuletzt wurde die Journalistin Elif Akgül inhaftiert. Welche Strategie verfolgt Ankara hier?
Das ist eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche. Auf der einen Seite wird ein Friedensprozess angestrebt, auf der anderen Seite wird durch massiven Druck vermittelt, was passiert, wenn man sich nicht fügt. Diese Strategie dient vor allem dazu, Kontrolle zu demonstrieren und die Bevölkerung einzuschüchtern.
Ist es möglich, dass gar nicht Erdoğan hinter dem Friedensprozess steht, sondern, dass er von der rechtsnationalistischen MHP getrieben wird?
Viele Kurden glauben tatsächlich, dass Erdoğan kein ernsthaftes Interesse am Frieden hat. Ein Erfolg könnte seine Macht gefährden, da sich Autokraten ihre Herrschaft oft durch die Konstruktion einer ständigen Bedrohung absichern. Wahrscheinlicher aber ist es, dass Erdoğan und die AKP die treibenden Kräfte sind – schlicht, weil es keine andere Kraft mit vergleichbarer Macht gibt.
Sie haben angedeutet, dass die Initiative von Bahçeli und der Sturz des Assad-Regimes zusammenhängen. Inwieweit nutzt Erdoğan die Machtübernahme der HTS-Rebellen in Syrien, um Einfluss zu nehmen?
Erdoğan präsentiert diese Entwicklung als politischen Erfolg, da er die HTS-Rebellen die letzten 14 Jahre unterstützt hat. Für ihn ist das nun eine günstige Ausgangslage. Das gemeinsame Ziel wird es sein, uneingeschränkte Kontrolle auszuüben. Die Situation ist äußerst fragil, was sich auch in den aktuellen Verhandlungen über die Verfassung in Syrien zeigt. Das Problem ist aber das Geld. Die Türkei verfügt nicht über ausreichende Mittel, um umfassenden Einfluss auszuüben, und es gibt viele Akteure, die über die Zukunft Syriens mitreden wollen.
Wie wird sich die Situation in Syrien Ihrer Meinung nach weiterentwickeln?
Die HTS unter ihrem Anführer al-Scharaa geben sich jetzt als seriöse Akteure, tragen Anzüge, präsentieren sich als moderat. Das erinnert mich an Erdoğan vor 20 Jahren, als er sich als liberaler Hoffnungsträger präsentierte. Doch am Ende zeigt sich das wahre Gesicht. Ich glaube nicht, dass Dschihadisten sich einfach in liberale Demokraten verwandeln können. Die internationale Gemeinschaft muss hier äußerst vorsichtig sein.
🐾 Can Dündar spricht auf dem taz lab über die aktuellen Ereignisse in der Türkei und den Einfluss auf die Dynamik in Syrien um 16 Uhr auf der Blauen Bühne