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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN Wie falsch muss es sein?

Das deutsche Fernsehen und die Berichterstattung über Saddam Husseins Gefangennahme: Arbeitsüberlastung oder opportunistische Denkfaulheit? Oder ist 2 plus 5 tatsächlich 9?

Wie offenkundig falsch müssen Behauptungen von Mitgliedern der US-Regierung sein, um von Nachrichtenredakteuren des deutschen Fernsehens wenigstens vorsichtig in Zweifel gezogen zu werden? Unterstellt, Präsident George Bush teilte der Weltöffentlichkeit mit, dass zwei plus fünf eine Summe von ungefähr neun ergibt: Bekämen wir abends in der Tagesschau anhand übersichtlicher Schautafeln erläutert, weshalb das stimmt? Oder holte RTL ganz exklusiv Fachleute ins Studio – beispielsweise eine Grundschullehrerin – um die Angabe zu widerlegen? Beides ist unwahrscheinlich. Vermutlich wäre die Bush-Äußerung einfach eine Meldung unter vielen anderen.

So wie am Sonntagabend die Behauptung von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: „Seine Behandlung wird durch die Genfer Konvention geregelt.“ Gemeint war der ehemalige irakische Diktator Saddam Hussein. Den hatten wir alle unmittelbar vorher gesehen, im verwahrlosten Zustand, und wir hatten verfolgen können, wie seine Mundhöhle und sein Schädel von den behandschuhten Händen eines unbekannten Arztes untersucht worden waren. Seither befassen sich Leitartikler mit der Frage, was für eine Demütigung diese Aufnahmen für die arabische Welt oder doch zumindest für die Anhänger von Saddam Hussein und ganz gewiss für diesen selbst bedeuten.

Die Genfer Konvention legt fest, dass Kriegsgefangene jederzeit geschützt werden müssen, namentlich vor der öffentlichen Neugier. Mag ja sein, dass nicht alle Nachrichtenredakteure das wissen. Aber wenn der US-Minister die Konvention ausdrücklich für erwähnenswert hält – gibt es dann gar niemanden, der sich dafür interessiert, was da eigentlich drinsteht? Bei allem Verständnis für die chronisch dünne Personaldecke an Wochenenden und die Überlastung der Archivmitarbeiter: Es dauert weniger als fünf Minuten, den vollständigen Text aus dem Internet zu ziehen. Man braucht bloß nachzuschauen.

Hilfsweise lässt sich auch das eigene Kurzzeitgedächtnis bemühen. Es ist erst wenige Monate her, dass ebenjener Donald Rumsfeld die Aufnahmen gefangener US-Soldaten im Irakkrieg als Verletzung der Genfer Konvention verurteilt hat, weil diese es nicht erlaube, Kriegsgefangene zu erniedrigen. Um schlichte Fernsehbilder ging es damals, nicht um medizinische Untersuchungen vor laufender Kamera.

Das sei nicht vergleichbar? Schließlich handele es sich doch bei Saddam Hussein um einen brutalen Diktator, der grausame Menschenrechtsverletzungen auf dem Gewissen habe? Ja, ganz recht. Und der Charme von Rechtsnormen besteht darin, dass sie für alle gleichermaßen gelten, für Gerechte und Ungerechte. Tun sie das nicht, dann sind es keine.

Nun kann man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, indezente Fernsehaufnahmen seien eine lässliche Sünde, gemessen an der Führung eines völkerrechtswidrigen Krieges. Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass diese Abwägung der Grund dafür ist, Behauptungen einer der Konfliktparteien ungeprüft ins deutsche TV-Programm zu heben. Vieles spricht hingegen dafür, dass es sich um einen schweren Fall opportunistischer Denkfaulheit handelt.

Weil wir nämlich gerade dabei sind: Auf welche Rechtsgrundlage stützen sich eigentlich die so genannten Verhaftungen ehemaliger irakischer Regierungsmitglieder? Warum wird deren Ergreifung fast nie als das bezeichnet, was sie ist: eine Gefangennahme? Das ist ein neutraler, korrekter Begriff, der über die Rechtmäßigkeit des Vorgangs keine Aussage macht. Schönstes Nachrichtendeutsch also.

Dass in der arabischen Welt die Fernsehbilder des gefangenen Saddam Hussein als unwiderlegbarer Beweis für die moralische Überlegenheit des Westens im Allgemeinen und für die Segnungen der Pressefreiheit im Besonderen betrachtet werden, darf bezweifelt werden. Ist das wichtig? Offenbar nicht so sehr. Die deutschen Feuilletons befassen sich derzeit lieber mit der Ikonographie der Macht und des Bösen. Davon können wir alle viel lernen.

Fragen zu Opportunismus? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER