: Hat das Fernsehen eine Zukunft?JA
Hoffnung Nächste Woche wissen wir, welche TV-Sendungen für den Grimme-Preis nominiert sind. Aber die kreativsten Formate kommen aus dem Netz
Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.
Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.
Volker Herres, 55, ist der Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens
Das Riepl’sche Gesetz besagt, dass kein Instrument der Information, das sich bewährt hat, von anderen vollkommen ersetzt wird. Das stimmt für Opas Kino, das einst totgesagte Radio oder die gute, alte Zeitung. Es wird auch für das Fernsehen gelten. Neue Kommunikationswege kommen hinzu, aber entscheidend bleiben die Inhalte. Das Fernsehen wird sich den Herausforderungen, technischen Möglichkeiten und Bedürfnissen der Zuschauer anpassen. TV-Programme diversifizieren sich weiter, laden zur Interaktion ein, bieten Zusatzdienste, sind mobil wie stationär, linear und zeitversetzt empfangbar. Jede Zielgruppe wird spezifische Angebote vorfinden. Das Fernsehen der Zukunft ist eine ständig verfügbare Informationsquelle, umfassende Videothek und Heimkino in einem. Es hat eine rosige Zukunft, weil es sich ändert.
Felix Wesseler, 34, hat die RTL-II-Serie „Berlin – Tag und Nacht“ mitentwickelt
Der Fernsehkonsum hat nicht abgenommen, er wird nun ergänzt durch andere Angebote: Pay-TV wird jetzt auch in Deutschland erfolgreich werden. Kein Medium vermag es wie das Fernsehen, Geschichten zu erzählen und dabei Menschen miteinander zu verbinden. Sei es das Gespräch auf dem Schulhof über „Berlin – Tag und Nacht“ oder die Diskussion im Büro über das Champions-League-Spiel: Fernsehen verbindet, gerade in Zeiten der Medienkonvergenz. Neue Player werden in den Markt eintreten, die den klassischen Sendern Konkurrenz machen. Wir können Programme als Stream dann schauen, wann wir wollen. Aber oft ist es auch schön, das verbindende Element zu erleben oder sich nur zurückzulehnen. Das Fernsehen der Zukunft ist anders, aber es bleibt zentral.
Sabine Haas, 46, ist Medienpsychologin und leitet das „Institut für digitalen Wandel“
Viele Menschen, die abends müde nach Hause kommen, möchten einfach „die Glotze“ anmachen und sich berieseln lassen. Sie sind froh, keine bewusste Entscheidung treffen zu müssen, sie möchten das Angebot nutzen, das sie vorfinden und kennen. Eskapismus ist immer noch ein zentrales Motiv für die Fernsehnutzung und wird auch künftig ein Kernmotiv bleiben. Dennoch ist das Fernsehen gezwungen, sich zu wandeln – und zwar grundlegend. Denn: Man kann im Internet zeitsouverän Sendungen ansehen, Online-Videotheken besuchen oder auf Videoportalen Inhalte auswählen, die einem ad hoc gefallen. Lineares Fernsehen wird in diesem Gesamtangebot seinen Platz behalten, aber es ist nicht mehr notgedrungen der erste. Um nicht auf den letzten abzurutschen, muss Fernsehen sein Angebot attraktiv halten. Bedingung dafür ist ein Programm, das exakt auf die Bedürfnisse der Zielgruppe passt. Ein Beispiel ist das sogenannte Eventfernsehen, das „live“ von vielen „Fans“ gleichzeitig eingeschaltet wird.
Daniel Hürst, 51, erstellt als Medienökonom Prognosen für mediareports Prognos
Das Fernsehen hat in der Zuschauergunst und auf dem Werbemarkt seinen Zenit erreicht und kann sich dort halten. Auch in 15 Jahren machen die nach 1980 geborenen Digital Natives erst die Hälfte des potenziellen Fernsehpublikums aus, und selbst in diesen Altersgruppen hat das Fernsehen einen hohen Stellenwert. Das Internet belastet das Geschäftsmodell des werbefinanzierten Fernsehens, aber durch die tägliche Quotenmessung kann das Fernsehen im Gegensatz zu den Printmedien seine Werbeleistung präzise nachweisen, und mit hochauflösendem HD- und 3D-Fernsehen ist es innovativ genug, um im „fight for eyeballs“ zu bestehen.
NEIN
Philipp Käßbohrer, 29, hat die ZDF-Show „Roche & Böhmermann“ mitentwickelt
Vor 60 Jahren hat man Fernsehen gemacht, weil es technisch möglich war. Aus dieser einst aufrichtigen Haltung hat sich ein Programm entwickelt, das das Medium stets zu verbergen versucht und sein Publikum glauben machen möchte, Fernsehen sei eine Art bessere Realität. Die Generation Internet ist es allerdings leid, sich etwas vormachen zu lassen, und schreit nach authentischen Inhalten. Die sind in den einschlägigen Videoportalen im Überfluss vorhanden. Die Frage ist nur, ob sich durch diese Verlagerung auch die Qualität der Inhalte verbessert oder aber dieselben Menschen, die das Dschungelcamp durch ihre Quotenboxen jagen, auch für den großen Erfolg des „Sneezing Panda“ verantwortlich sind. Vielleicht sollte es jemanden geben, der diese Inhalte sortiert. Im Idealfall wäre das ein Pool an Mediatheken von unabhängigen Unternehmen und öffentlichen Institutionen. Vielleicht hat das Fernsehen seine Zukunft ja im Internet!?
Philipp Laude, 22, vom Comedytrio „Y-Titty“ bekam 324 Millionen Youtube-Klicks
Das klassische Fernsehen, wie man es kennt, hat keine Zukunft mehr. Von technischer Seite betrachtet, ist es veraltet. TV und Internet werden fusionieren, die beiden Medien werden sich mit ihren jeweiligen Vorzügen ergänzen. Einerseits wird der Zuschauer noch stärker wählen können, was er sehen will. Andererseits hat auch die Aneinanderreihung von – guten! – redaktionellen Inhalten eine Zukunft: Weil die Leute sich auch mal zurücklehnen und nicht im Minutentakt entscheiden wollen, was sie sehen. Das kann man auch bei Youtube beobachten, wo die Formate inzwischen länger werden. Ich persönlich gucke im Moment kein Fernsehen mehr. Trotzdem sind wir dem klassischen TV gegenüber aufgeschlossen. Bei unserer Best-of-Sendung auf RTL II hat sich gezeigt, dass das funktionieren kann.
Alexander Kissler, 42, Autor („Dummgeglotzt“) und Ressortleiter bei Cicero
Das Fernsehen in seiner bestehenden Form hat keine Zukunft. Gewiss wird es immer Menschen geben, die sich allein oder gemeinsam bewegte Bilder anschauen, sie produzieren, konsumieren, teilen. Aber das duale System wird bald an sein Ende gelangen. Die öffentlich-rechtlichen Sender schaufeln sich durch die Haushaltsabgabe gerade ihr eigenes Grab. Sie wollen Zwangsfinanzierung durch alle und Werbeeinnahmen zugleich, weil sie ihrem Produkt letztlich nicht trauen. Das private Fernsehen gibt sich unterdessen autoritär im Gewand des Spaßes und der Dauerunterhaltung und verkennt so, dass jede Unmündigkeit sich irgendwann gegen ihre Verursacher gekehrt hat. Das Privatfernsehen ist patriarchal wie Dieter Bohlen, leistungsbesessen wie Heidi Klum und zynisch wie das „Dschungelcamp“. So untergräbt es systematisch jene Eigenschaft, die allein dem Fernsehen Zukunft verbürgen könnte: die Neugier auf das, was da kommen und flimmern mag.
Anne Blankemeyer, 20, studiert Dienstleistungsmanagement und kommentierte online
Ich denke, dass das Fernsehen der heutigen Zeit verbraucht ist. Ich brauche keine „Privatdetektive im Einsatz“ und auch nicht das zehnte Germany’s Next Topmodel. Selbst die Nachrichten der Privatsender bringen jedes Jahr das Gleiche. Über die Lage in Mali sprechen sie eine Minute, stattdessen wird über das winterliche Verkehrschaos in Deutschland geschwafelt. Anspruchsvolle Filme wie „Adams Äpfel“ werden so selten gezeigt, und wenn, dann von Werbung unterbrochen. So macht Fernsehen keinen Spaß mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen