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taz FUTURZWEI

Altersdiskriminierung in der Politik Biden for President!

Die Alten in der Politik sind unverzichtbar, das gilt speziell für US-Präsident Joe Biden. Der Versuch, ihn loszuwerden, ist auch Altersdiskriminierung, meint Udo Knapp.

Immer mehr Stimmen fordern einen Abgang vom alternden Joe Biden Foto: Manuel Balce Ceneta/picture alliance/dpa

taz FUTURZWEI | Zu alt, zu tatterig, zu unkonzentriert, nicht mehr in der Lage klar und laut zu sprechen, von Erinnerungslücken geplagt, verhaspelt sich ohne Teleprompter, hat Schwierigkeiten beim Treppensteigen und ist gelegentlich einfach sichtbar müde: Präsident Joe Biden, 81, soll gefälligst die Kandidatur für seine Wiederwahl im November aufgeben. Die einen sind nach dem Fernsehduell gegen den fast gleich alten Donald Trump, 78, ehrlich erschüttert, die anderen warten schon auf seinen nächsten Fehltritt und die Editorials und sonstigen Kommentare sind längst erschienen, in denen der „altersschwache“ Biden aufgefordert wird, nach Hause zu gehen.

Dieser Tattergreis könne den für Amerikas Demokratie gefährlichen Populisten und Demagogen Trump nicht besiegen, hallt es durch die Medien. Die Demokraten sollten mit einem jüngeren Kandidaten diesen geriatrischen Wahlkampf beenden und die Verantwortung für die Zukunftsgestaltung Amerikas den Jungen in ihrer Partei übergeben. Die First Lady Jill Biden, 73, die mit öffentlich gezeigter Liebe an seiner Seite für die Kandidatur kämpft, wird in die frauenfeindliche Rolle einer Megäre geschoben, die den Präsidenten aus dem Hinterzimmer steuert. In einigen Feuilletons wird über Altersgrenzen für öffentliche Ämter schwadroniert. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass Bidens Kandidatur auf diese Weise erfolgreich zur Strecke gebracht wird.

Von geistiger Reife geprägt

Nun gibt es sicher verschiedene Gründe, warum versucht wird, Biden zu stoppen, aber einer davon ist ohne Frage Altersdiskriminiernug. Was gerade passiert, kann auch als der Beginn des großen Generationskrieges der jüngeren Generationen gegen das „Methusalem-Komplott“ der Alten gesehen werden.

Zu Bidens wirklichem mentalen und physischen Zustand ist nicht mehr bekannt, als die offiziellen Erklärungen des Weißen Hauses. Danach sind Demenz und Parkinson überprüft und ausgeschlossen worden. Biden ist also, Stand heute, einfach alt. Seine physischen Ausfälle und Aussetzer sind für ein Alter über achtzig normal. Sie treffen den einen weniger und den anderen mehr. Gegen diese physische Seite des Altwerdens ist nichts zu machen, kein Kraut gewachsen. Über Bidens geistigen Kräfte sagt das indes wenig aus. Im Gegenteil. Hegel hat schon vor 200 Jahren dazu das Notwendige gesagt: „Das natürliche Alter ist Schwäche; das Alter des Geistes dagegen ist seine vollkommene Reife, in der er als Geist zur Einheit mit sich selbst zurückkehrt“.

Bidens politische Bilanz ist von dieser geistigen Reife geprägt, von der Hegel spricht; von Klarsicht und Verantwortung für Amerika und die Zukunft der freien Welt. Das Wichtigste: Er hat Trump mit seinem Wahlsieg 2020 aus dem Weißen Haus vertrieben. Er hat mit dem Green Deal die USA, wenn auch mit einem Anflug von Protektionismus, auf den Weg zur nichtfossilen Industrie gebracht. Er hat damit Amerikas Zukunftsfähigkeit als die wirtschaftliche Weltmacht Nr.1 gegen China im 21. Jahrhundert neu begründet. Die Arbeitslosigkeit ist während seiner Präsidentschaft deutlich zurückgegangen.

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Biden übernimmt Verantwortung

Hunderttausende neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Die Inflation wurde gestoppt. Ohne seine konsequente militärische und politische Hilfe wäre die Ukraine heute eine russische Kolonie. Ohne die von ihm immer wieder durchgesetzten Waffenlieferungen für Israel hätten der Iran und seine Statthalter in Palästina, im Libanon und im Irak, die Israelis in einen kaum zu gewinnenden Überlebenskrieg gezwungen.

Schließlich zeigt die von ihm durchgesetzte Stationierung amerikanischer Langstreckenraketen in der Bundesrepublik, dass er die Herausforderung zum weltweiten Systemkampf mit den Autokraten annimmt. Biden ist offenbar gewillt, die militärische Abschreckung Russlands und seiner Verbündeten so zu verstärken, dass jeder Versuch, den freiheitlichen Westen militärisch niederzuringen, von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre – und damit unterbleibt. Noch wichtiger - mit Biden übernimmt die USA wieder die Führungsrolle im Bündnis des freiheitlichen Westens. Auch dann, wenn andere Bündnispartner, wie etwa die Bundesrepublik, nur widerwillig darangehen, selbst einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Verteidigung zu leisten.

Die Behauptung, Biden sei trotz dieser Agenda und seiner Erfolge, aufgrund seines Alters nicht mehr in der Lage, die USA anzuführen, sei „rubbish“ sagen meine amerikanischen Freunde, also dummes Zeug.

Die Alten sind in der Politik unverzichtbar

„It's the demographics, stupid“ – es geht hier auch um die Karrierechancen der Jungen, die geringer werden. Männer und Frauen werden heute im Durchschnitt weit über achtzig Jahre alt. Alle Alten leben deutlich länger als je zuvor, zwar mit oft eingeschränkter Gesundheit, aber im Vollbesitz aller geistigen Kraft. Weil sie weniger Kinder als ihre Vorfahren bekommen haben, bilden sie noch für viele Jahrzehnte die entscheidende Mehrheit der Wählerschaft. Warum sollen sie mit der hirnlosen Begründung aus dem öffentlichen Leben und der Politik ausscheiden, dass das Alter die Zeit des Ausruhens und des Nachholens selbstbestimmter Lebenszeit sei?

Die Alten in der Politik sind mit ihrer Lebenserfahrung, ihrem Wissen und ihrem Verantwortungsbewusstsein unverzichtbar. Die Behauptung, sie hätten in der Politik nichts mehr zu suchen, weil ihre Entscheidungen sie ja selbst nicht mehr beträfen, ist eine Zwecklüge, um sich schwer auszuschaltende Konkurrenz auf die billige Art vom Hals zu schaffen. Ein Ausweis politischer Reife wäre es dagegen, wenn alternative Kandidaten Bidens Aufforderung folgten, auf dem Parteitag der Demokraten mit einem besseren Programm gegen ihn anzutreten. Ein solches Vorgehen entspräche der demokratischen Kultur der amerikanischen Verfassung. In einem solchen Wettbewerb um die Führung des Landes zu verlieren, sagte Biden, sei eher eine Auszeichnung. Und etwas anderes, als wegen Alters aus der Kandidatur gedisst zu werden.

■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.