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Archiv-Artikel

Verbalakrobatik in Budapest

UNGARN Regierung nimmt Ankündigung, abgeschobene Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern nicht mehr aufzunehmen, zurück. Das dürfte auch am Druck aus Brüssel liegen

Allein in diesem Halbjahr haben über 60.000 Menschen in Ungarn um Asyl nachgesucht

VON RALF LEONHARD

WIEN taz | Ungarn hat am Mittwochnachmittag überraschend die Suspendierung des Dublin-III-Protokolls wieder zurückgenommen. Außenminister Péter Szijjártó versuchte in einer Pressekonferenz zu erklären, dass man keine EU-Norm verletzen wolle. Man wolle aber verhindern, dass Österreich und zehn andere EU-Staaten, wie angekündigt, illegale Einwanderer nach Ungarn zurückschicken: „Damit sind wir nicht einverstanden.“

Am Dienstag hatte die Regierung von Viktor Orbán die EU und deren Nachbarländer in Aufregung versetzt, als er verkünden ließ, Ungarn würde keine zurückgeschobenen Flüchtlinge mehr aufnehmen. Das Dublin-Protokoll besagt, dass Flüchtlinge von jenem Land betreut werden müssen, wo sie zuerst Boden der EU betreten haben.

Regierungssprecher Zoltán Kovács hatte die Maßnahme bei einem Pressegespräch in Wien mit der Überbelastung durch Flüchtlinge begründet. Allein in diesem Halbjahr hätten über 60.000 Menschen in Ungarn um Asyl nachgesucht. Täglich kämen zwischen 700 und 800 weitere über die grüne Grenze, mehr als in jedem anderen EU-Land.

Ungarn fühle sich diesem Ansturm nicht gewachsen, sagte der Regierungssprecher. Sie werden registriert, maximal 48 Stunden festgehalten und in Übergangsquartiere gebracht. Die meisten tauchen dann unter oder reisen in andere Schengen-Länder weiter.

Ungarns 2.500 bis 3.000 Unterkünfte seien voll. Deshalb appellierte Kovács an die Solidarität der anderen Länder der Union. Dass Ungarn die von der EU diskutierte Quotenregelung, die eine solidarische Aufteilung der Flüchtlinge vorsieht, ablehnt, ist für ihn kein Widerspruch: „Das ist keine gute Lösung, denn sie hätte einen Pull-Effekt.“

Die jüngsten Ausführungen von Außenminister Szijjártó muss man so verstehen, dass Ungarn zwar formal zuständig wäre, weil die Flüchtlinge dort erstmals erfasst worden sind. In Wahrheit sieht man aber Griechenland oder Bulgarien in der Pflicht. Denn über diese Länder führt der Weg der Balkan-Route.

Österreich hatte am Dienstag scharf auf das angekündigte Aussetzen des Dublin-Protokolls reagiert. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): „Wer weiter ein Europa ohne Grenzen will, muss die Schengen-Regeln einhalten. Das heißt auch, an der Dublin-Regel festzuhalten.“ Österreich helfe gerne – mit 40 Polizisten an der ungarisch-serbischen Grenze.

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) drohte in einem Telefongespräch seinem ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó mit „negativen Auswirkungen“ und wandte sich an die EU-Kommission. Sie solle ein Vertragsverletzungsverfahren prüfen. Diese forderte von Ungarn Aufklärung. Ein Aussetzen des Protokolls sei in den gemeinsamen Asylregeln der EU nicht vorgesehen.

98 Prozent der Flüchtlinge kommen über das Nicht-EU-Land Serbien. Deshalb will Ungarn entlang der 175 Kilometer langen Grenze einen Zaun errichten. Kovács spricht von Nato-Standard. Man müsse sich Stacheldrahtverhaue vorstellen wie um die spanischen Exklaven Ceúta und Melilla oder entlang der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze. Dass auf Flüchtlinge, die den Zaun überklettern wollen, geschossen werde, schließt Kovács aus. Man werde in den nächsten Tagen mit der Errichtung des Zauns beginnen.

Ähnliche Abwehrmaßnahmen in Griechenland und Bulgarien hätten zwar den Flüchtlingsstrom nicht völlig gestoppt, aber spürbar gebremst. War man bis März vor allem mit Kosovaren konfrontiert, so seien in den vergangenen Monaten vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Pakistan sowie schwarzafrikanischen Ländern gekommen.

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