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Archiv-Artikel

Kurz vorm Tabubruch

BEHAUSUNG Bislang galten Zeltlager für Flüchtlinge im rot-grün-regierten Bremen als sozialpolitisches Tabu. Nun sieht alles danach aus, als würde das Bremer Sozialressort den selbstgesetzten Mindeststandard nicht einhalten

VON JEAN-PHILIPP BAECK

Einen Satz hatte die Bremer Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) für die Flüchtlings-Unterbringung immer wiederholt: „Wir wollen Zelte so lange wie möglich vermeiden.“ Nun allerdings steht das wohl auch in Bremen bevor. Im Sozialressort laufen die Vorbereitungen: Vier, fünf Flächen für die Zeltaufstellung wurden überprüft. Konkreter geht es nun nach taz-Informationen um eine Zelt-Unterbringung auf einer Fläche in der Überseestadt sowie auf dem Brenor-Gelände in Bremen-Nord an der Autobahn 270.

Gerechnet wurde dabei bislang pro Zelt-Standort mit jeweils 150 Personen, die in einem oder zwei großen Zelten wohnen. Dazu würden Sanitär-Container aufgestellt. Starten würde die Zeltunterbringung dann ab Mitte Juli: Notunterkünfte wie die Messehalle oder die Eissporthalle, in denen Bremen zuletzt fast 200 Menschen unterbrachte, stehen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung. Im Herbst sollen dann weitere Gemeinschaftsunterkünfte fertiggestellt und Containerdörfer errichtet sein, in die die Flüchtlinge dann wieder umziehen können.

An der Realität scheitern

Für SPD-Sozialpolitiker Klaus Möhle wären Zelte mehr als eine Verschlechterung: „Zelt-Flüchtlingsdörfer waren in Bremen immer ein sozialpolitisches Tabu. Es würde mich schockieren, wenn es dazu käme.“ Die grüne Sozialpolitikerin Susanne Wendland erklärt: „Wir haben als Grüne immer gesagt, dass wir keine Zelte wollen.“ Das sei auch von ihrer Bürgerschaftsfraktion so beschlossen worden. „Unser Ziel war immer, die Menschen in eigenen Wohnraum zu bekommen.“ Ob des grün-geführten Sozialressorts gibt sich Wendland allerdings diplomatisch: „Wenn das politische Ziel wegen steigender Flüchtlingszahlen an der Realität scheitert, müssen wir die Lage neu diskutieren.“

Dass das Thema in Bremen Brisanz hat, weiß man auch im Sozialressort. Dort ist man zurückhaltend: „Wir prüfen, ob und unter welchen Bedingungen wir im Bedarfsfall Zelte aufstellen können und wo wir das können“, sagt Sozialressort-Sprecher Bernd Schneider. Man ginge aber nach wie vor davon aus, dass man das nicht brauche. Das Sozialressort führe etwa Gespräche mit einer Baumarkt-Kette, bei der Pleite-bedingt Hallen frei geworden sind. Geprüft wird auch, ob Flüchtlinge in einem leerstehenden Supermarkt untergebracht werden könnten. „Es zeichnet sich ab, dass wir mit den Hallen auskommen.“

Das Sozialressort rechne damit, dass noch mehr Flüchtlinge kommen und bereitet sich auf 600 Notplätze für die Sommermonate vor. „Das ist aber nicht die Zahl an Flüchtlingen, die dann in Zelten untergebracht würden“, so Schneider. „Die Zahlen steigen aber weiter, es wäre fahrlässig, bereite man sich auf den Worst Case nicht vor.“

Grenzen des Zumutbaren

Für Marc Millies vom Bremer Flüchtlingsrat wäre es „beschämend“, wenn angesichts des Schicksals der Flüchtlinge keine anderen Lösungen gefunden würden. „Es sieht so aus, als lote die Sozialbehörde die Grenzen des humanitär Zumutbaren neu aus.“ Schutzsuchende hätten nach dem langen Fluchtweg „das Bedürfnis, anzukommen“, so Millies. „In Provisorien wie Zelten oder Messehallen kann dieses Gefühl nicht aufkommen.“ Hier seien sie von der Integration abgekoppelt, hätten keine Privatsphäre und erheblichen Stress. „Zelte haben eindeutig nichts mit Willkommenskultur zu tun.“

Eine Zeltunterbringung stellt die Behörde derzeit allerdings noch vor andere Probleme: Groß-Zelte werden langsam knapp. Zeltvermieter erklären die erhöhte Nachfrage mit der Hochsaison: Firmen hielten Sommerfeste ab, die Festival-Saison stehe an. Und: Andere Kommunen hätten schon angerufen, um Flüchtlinge unterzubringen.