: Sozen ärgern Lobbyisten
FREIHANDEL Das Europaparlament ringt um eine gemeinsame Haltung zu TTIP und dem Investorenschutz. Die Sozialdemokraten schwanken, die Abstimmung ist verschoben
BERND LANGE, MDEP
AUS BRÜSSEL ERIC BONSE
Vor zwei Wochen war die Welt der Wirtschaft noch in Ordnung: Der Handelsausschuss des Europaparlaments hatte das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP durchgewunken. EU-Kommission, Lobbyisten und die USA freuten sich über das „klare Signal für den Freihandel“. Doch nun steht die Mehrheit für TTIP auf der Kippe. Eine am Mittwoch geplante Abstimmung im EU-Parlament ist kurzfristig verschoben worden.
„Es wird Überraschungen geben“, sagte der Chef des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD), der taz. „Das Parlament darf die Verhandlungen nicht ausbremsen, sondern sollte Tempo machen“, warnt der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo. Die Lobbyorganisation Business Europe hat Alarmstufe Rot ausgerufen.
Dabei sorgen sich die Wirtschaftsvertreter nicht etwa wegen der 2 Millionen Unterschriften, die das europaweite Bündnis „Stop TTIP“ gesammelt hat, obwohl diese Rekordzahl die wachsende Sorge vieler Bürger belegt. Denn die EU-Kommission hat längst entschieden, dass sie die Petition nicht als Europäische Bürgerinitiative anerkennen wird – täte sie das, wäre sie gezwungen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Für Aufregung sorgen stattdessen verschiedene Änderungsanträge, die den Schutz ausländischer Investoren durch private Schiedsgerichte in TTIP infrage stellen. Ausgerechnet die Sozialdemokraten, die das Zünglein an der Waage sind, sind wankelmütig geworden und treiben Lobbyisten auf die Palme.
Bisher hatten die Genossen lediglich eine Reform der Schiedsgerichte gefordert. Eine Idee war, statt der privaten Gerichte einen öffentlichen Handelsgerichtshof zu schaffen, der mit professionellen Richtern besetzt wäre. Für dieses Modell hat sich auch SPD-Chef Sigmar Gabriel stark gemacht.
Doch bis ein solcher neuer Gerichtshof steht, könnte TTIP längst in Kraft sein. Daher fordern viele Sozialdemokraten nun, den Verhandlungspunkt Schiedsgerichte bis auf Weiteres zu blockieren. Lange und sein britischer Kollege David Martin haben gar einen Änderungsantrag eingebracht, in dem private Schiedsgerichte ausdrücklich abgelehnt werden. Ginge der Antrag durch, müsste die EU-Kommission dauerhaft eine andere Lösung für TTIP finden.
Konservative und Liberale werfen Lange vor, seine eigene Position im Handelsausschuss zu verraten und TTIP zu gefährden. Dies sehen auch einige rechte Sozialdemokraten wie Fraktionschef Gianni Pittella so.
Demgegenüber fordern linke Genossen, die Linke und die Grünen, ausländischen Investoren überhaupt keinen besonderen Schutz vor Gericht zu gewähren. „Ein Handelsabkommen darf keine Paralleljustiz schaffen“, heißt es in einem Positionspapier der Grünen. Konzerne könnten bereits vor nationalen Gerichten klagen – die EU und die USA seien doch Rechtsstaaten.
Möglicherweise finden Sozialdemokraten und Konservative doch noch in letzter Minute einen Kompromiss. Dies würde die Mehrheit für TTIP sichern – und die Große Koalition retten, die bisher in Straßburg regiert. Möglich ist jedoch auch, dass gar kein Beschluss zustande kommt.
Dann stünde nicht nur das Europaparlament dumm da. Auch die EU-Kommission könnte nicht länger behaupten, dass sie mit einem klaren Mandat der EU-Volksvertreter verhandelt. Das wäre ein schwerer Rückschlag für Handelskommissarin Cecilia Malmström, aber auch für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schließlich hat die beim G-7-Gipfel in Elmau gerade erst wieder einen schnellen Abschluss von TTIP gefordert.