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Archiv-Artikel

Mädchen mit Schnurrbart

JUNGES FESTIVAL Sich bewegen, räumlich und gedanklich, darum ging es in den ersten Stücken des Theatertreffens der Jugend, die aus Hamburg und Berlin kamen. Den Auftakt machten zwei Stücke zum Thema Gender

Ob sie Feministinnen seien, fragt das Mädchen in die Runde. Angeekelt zucken die andern zusammen

VON STEFAN HOCHGESAND

Beim Theatertreffen der Jugend kann man im Haus der Berliner Festspiele die acht besten Inszenierungen von und mit Jugendlichen aus ganz Deutschland sehen. Theater für ein Publikum ab 14. Sophokles, Shakespeare, Schiller? Gab es alles auch schon, aber in der 36. Ausgabe des Festivals fallen die vielen selbst entwickelten Stücke auf. Den Auftakt machen zwei, die sich mit Gender beschäftigen – einem Thema, das bei den 126 Bewerbungen im bundesweiten Wettbewerb ohnehin auffiel. Los geht’s mit „das gender_ding“ der Neuen Sterne aus Hamburg.

„Hör auf, deine Schwester zu schlagen“, mahnt ein Junge. Dabei übersetzt er die Worte eines Mädchens mit Nietzsche-Schnurrbart auf der großen Videoleinwand. Sie darf heute hier nicht schauspielen. Die Brüder haben es ihr untersagt. Ist das wirklich so oder schon Teil des Stücks? Die Frage ist nicht leicht zu knacken, denn natürlich wissen die SpielerInnen, dass wir wissen, dass sie auch mit ihren Biografien spielen. Die „Neuen Sterne“ sind die Jugendgruppe von Hajusom, einem Theaterprojekt von Menschen mit Fluchterfahrung. Aus Iran kommen sie, aus Afghanistan und aus Westafrika.

Unter der Videowand sieht man Beine in Netzstrumpfhosen. „Es geht hier nicht um Jende“, was auf Farsi „Hure“ heißt, verkündet Elmira, „sondern es geht um genderrr“. Später erzählt Hamed im Minirock von dem Jungen in seiner Klasse, der anders war und fertiggemacht wurde. Derya spielt die Langhalslauten Saz und Tanbur und singt eine ins Melancholische gezogene Coverversion von Alphavilles „Big in Japan“: „Or shall I go and change my point of view?“

Sich bewegen, räumlich und gedankenräumlich, darum geht’s hier offensichtlich, mitunter überdeutlich: Mädchen tragen Krawatten, geschminkte Jungs Leggings und Kopftuch. Formal spannend sind im Gender-Trouble-Stück die Episoden, in denen SpielerInnen mit einem auf die Videoleinwand projizierten Double ihrer selbst mehr oder weniger missglückt flirten. Da spürt man zwischen allen Mackerparolen à la „Where are the bitches?“ doch ein sensibles Herantasten an ein Gegenüber, mit dem sich die eigene Geschichte teilen ließe.

Eine andere Sicht in Sachen Gender nehmen „Die Aktionist*Innen“ ein, eine reine Mädchengruppe des Berliner Maxim-Gorki-Theaters: Im Stück „Kritische Masse“ geht es um den weiblichen Körper. Mit einem Zitat von Gayatri Chakravorty Spivak, Professorin für Literaturwissenschaft und Theoretikerin des Feminismus, will eine Spielerin in den Abend starten. Das kommt ihren Mitspielerinnen dann aber doch zu sehr wie Schule vor. Ob sie Feministinnen seien, fragt das Mädchen in die Runde. Angeekelt zucken die andern zusammen.

„So ist es schön. So ist es hässlich“, beurteilt ein Mädchen ihre Oberschenkel, mal schlank angespannt, dann lässig abgelegt. Das Stück dringt vor in eine Welt pervertierter Ideale, in denen Schönheit sich in Zentimetern abmisst. Publikumsbeschimpfung inklusive: „Ihr seid das hässlichste Publikum überhaupt!“ Anekdoten über Blowjobs, die am Laptop enden, hören wir, und Männertipps gegen kleine Brüste: „Werd schwanger!“

„Pass auf, Mädchen, deine Spezies wird vergewaltigt!“ So kommt bei den Mädchen die Message ihres Umfelds an. Das geht so weit, dass sie sich im Dunkeln deutlich akustisch bemerkbar machen, wenn sie merken, dass sich eine Frau vor ihnen ängstigt. „Put on your make-up, boy“ singt Tori Amos im Song „She’s Your Cocaine“, während die jungen Frauen abtanzen.

Keine Ansicht der beiden Stücke fühlt sich noch nach Revolution an. „Männer, auch ihr habt eine vermeintlich weibliche Seite“, oder: „Männer, behandelt die Frauen endlich besser“, spricht es aus fast jeder Szene. Kein auch nur halbwegs intelligenter Mensch würde widersprechen wollen. Das ergibt etwas zu vorhersehbares Theater, betrifft einen aber zwischenmenschlich – vielleicht gerade weil die Episoden authentisch erzählt, statt in Szene gesetzt sind.

Wer das Theatertreffen der Jugend in den letzten Jahren verfolgt hat, sollte sich aber sehr wundern, wenn nicht doch noch etwas im besten Sinne Unerhörtes passierte. Am Dienstagabend zieht die Theatergruppe der Schule für Blinde und Sehbehinderte aus Königs Wusterhausen Parallelen zwischen Förderschülern in Deutschland und der verfemten Kaste der Unberührbaren in Indien. Das Junge DT adaptiert am Mittwoch Lewis Carrolls „Alice“ – und die Bürgerbühne im Staatsschauspiel Dresden am Donnerstag den Fassbinder-Film „Katzlmacher“. Den Festivalabschluss macht das Junge Schauspielhaus Düsseldorf mit „Söhne wie wir – mach dir keine Sorgen, Mama!“ am Freitag. Um wilde Jungs geht’s dann, deren Coolness bei der Rückkehr ins Elternhaus in sich zusammenfällt. Wenn das nicht auch ein Gender-Thema ist!

■ Theatertreffen der Jugend, bis 6. Juni. Haus der Berliner Festspiele