BRUNNENSTRASSENPOLIZEI : Arm, aber sexy
Es war einmal ein Mann. Der fand, Berlin sei arm, aber sexy. Das fanden andere, gar nicht arme Leute so gut, dass sie sich gleich ein Häuschen kauften. Am liebsten da, wo es besonders sexy war. Zum Beispiel in der Brunnenstraße. Da hatten zwar schon 28 Hostels aufgemacht, und 79 Galerien waren eingezogen. Auch der neue Innenminister des Landes hatte unweit davon ein neues Quartier gefunden. Aber das machte nichts. Die jungen Leute waren gern hier, und der Rosenthaler Platz war so schön wie immer. Auch wenn auf der letzten noch sichtbaren Narbe, die der letzte Krieg hinterlassen hatte, nun ein hässliches Hotel gebaut wurde.
Da kam die Polizei und nahm den Leuten in der Brunnenstraße 183 ihr Haus weg. Die Zimmer wurden leer geräumt. Die Fensterscheiben herausgebrochen. Wo eben noch der Umsonstladen gewesen war, wurden dicke Metallplatten angebracht. Das Haus sah traurig aus. Wie ein Zahn nach einer Wurzelbehandlung.
Am nächsten Tag gab es eine Demonstration in der Nähe. Obwohl gar nichts los war vor dem hohlen Zahn, fuhren Polizisten ihre Autos wie aufgescheuchte Hühner durch die Brunnenstraße. Sie machten dabei viel Wind. Da kam ein Grüppchen junger Leute in Schwarz, mit Bierflaschen in der Hand. Es wartete an der Ampel, bis sie Grün zeigte. Doch ein Polizist wollte sie nicht die Straße überqueren lassen. „Das ist Willkür“, rief ein Mädchen. „Das mögen Sie so empfinden“, antwortete der Polizist. Er hatte noch bei Humboldt studiert. „Aber Sie gehen jetzt in die andere Richtung!“ Das Mädchen widersprach. Da schubste der Polizist das Mädchen und sagte: „Ich erteile Ihnen hiermit einen Platzverweis, und zwar nach da!“ Er schubste das Mädchen wieder. Und dann gleich noch mal. Die jungen Leute protestierten noch ein wenig. Dann trollten sie sich davon. Dahin, wo es noch ein bisschen sexy war. Aber nicht viel.
ULRICH GUTMAIR