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Archiv-Artikel

Klimaschutz: die Summe aller Fehler

Klimawandel, Vielfalt und Hunger dürfen nicht getrennt gedacht werden

Ein Wirtschaftssystem, das dem Grundsatz lebender Systeme widerspricht

VON CHRISTIANE GREFE

2007, als der IPCC-Bericht erschien und die Welt auf Bali schaute, war das Jahr des Klimaschutzes. 2008 soll das Jahr des Artenschutzes werden, vor allem in Deutschland, wo jetzt im Mai die Biodiversitäts-Konvention beraten wird. Doch es begann erst einmal als Jahr der Landwirtschaft, weil Preisschocks den Hunger auf die Tagesordnung brachten und damit die Gefährdung der natürlichen Ressourcen.

Den Überblick verloren

Es gibt drei große ökologische Krisen, die sich, obwohl seit Jahrzehnten diskutiert, immer weiter zuspitzen. Liegt das auch daran, dass jedes dieser Probleme mittlerweile seine eigene Spezialistengemeinde, seine eigenen politischen Streit- und Konsenszirkel hervorgebracht hat? Dass, mit anderen Worten, kaum jemand mehr Artenschwund, Ressourenkrisen, Hunger und Klimawandel zusammendenkt?

Dabei haben all diese Entwicklungen vielfältige Verbindungen. Und gemeinsame Ursachen. Die wichtigsten sind die zutiefst ungerechte Übernutzung öffentlicher Güter durch den reicheren Teil der Menschheit – und jene Einförmigkeit der globalen Energie- und Agrarsysteme, die solche überzogenen Wohlstandsansprüche erst ermöglicht haben, aber alles andere als nachhaltig sind. So gefährdet der Ausgriff der industriellen Lebensmittelproduktion in vielen Ländern nicht nur ihre eigenen Grundlagen Wasser und Boden, sondern zugleich auch die Vielfalt der Lebewesen. Von immer weniger Saatgut- und Lebensmittelkonzernen kontrolliert, verdrängen Monokulturen aus immer weniger weltweit angebauten Pflanzen nicht nur die Agrobiodiversität, sondern auch wilde Gewächse und Tiere. Artenvielfalt wird zudem durch den wachsenden Flächenanspruch der Landwirtschaft zerstört. Seit Jahrtausenden und bis heute holzt eine wachsende Armutsbevölkerung wertvolle Wälder für neue Felder und Brennmaterial zum Kochen ab. Doch zunehmend fallen die letzten großen Wald- und Savannenbiotope von Südamerika bis Asien auch der Nachfrage der Wohlstandsregionen nach Biomasse fürs Autofahren zum Opfer. Schon lange erliegen sie dem stetig steigenden Fleischkonsum der globalen Verbraucherklasse, der riesige Anbauflächen für Futtermittel wie Mais und Soja erfordert. Diese zerstörerische Agrarproduktion – darin zeigt sich eine weitere Verbindung der Krisen – trägt zugleich massiv zum Klimawandel bei: Die Tierzucht allein emittiert fast 40 Prozent des Methans, eines Treibhausgases, das über 20-mal schädlicher ist als CO2. Die Entwaldung ist verantwortlich für etwa ein Fünftel des CO2-Eintrags, der Intensivanbau für schätzungsweise rund weitere zehn Prozent. Allein für die Düngemittelherstellung werden in den USA pro Jahr 100 Millionen Fass Öl eingesetzt, mehr als die weltweite Ölförderung eines ganzen Tages. Hinzu kommt Energie für Pestizide und Landmaschinen.

Möglich wurde all dies erst mit der Energiegewinnung aus fossilen Rohstoffen. Nicht nur das Agrobusiness, auch die mit ihm verbundene Verstädterung, die auf ständiges Wachstum ausgerichtete Konsumkultur, der massenhafte Warentransport und Individualverkehr: alle Merkmale der sich globalisierenden westlichen Industriegesellschaft gründen bisher auf Kohle, Gas und Öl, die über Jahrzehnte billig zu haben waren – und den Klimawandel anheizen.

Doch wie Wasser, Boden und Arten gehen auch diese Rohstoffe zur Neige. Im Jahr 2008 erschien eine bittere Bestandsaufnahme: der vierte Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep). Dessen zentrale Botschaft lautet: „Wir leben weit über unsere Verhältnisse.“ Und „wir“, das sind nicht die Armen, die Holz und Land aus schierer Not übernutzen. Die norwegische Politikerin Gro Harlem Brundtland sagte schon vor 20 Jahren: „Die Welt ist nicht mit einer Umweltkrise, einer Entwicklungs- und einer Energiekrise konfrontiert, sondern diese Krisen verschmelzen alle zu einer einzigen.“ Zudem haben sie ein gemeinsames Vielfaches, sein Name lautet: Klimawandel. Dieser sei, urteilte einmal die indische Umweltschützerin Sunita Narain, „die Summe aller Fehler“. Auf die anderen Krisen schlägt er zugleich verstärkend zurück: Bis zu einem Drittel aller Tier- und Pflanzenarten sind bis zur Mitte des Jahrhunderts durch ihn gefährdet, weil sie sich an neue Bedingungen nicht schnell genug anpassen können. Auch die Landwirtschaft wird durch sich häufende Dürren und Überschwemmungen immer weniger berechenbar.

Orientierung an der Natur

Wenn Einförmigkeit die Krisen beschleunigt hat, dann ist Vielfalt ein Schlüssel zu ihrer Lösung. Die globale Monokultur des fossilen Energiesystems muss neuen, lokal angepassten Strukturen ebenso weichen wie das uniforme Model der Agrarindustrie. Für die Energieversorgung heißt das, mit moderner Technologie Sonne, Wind, Erdwärme, Wasser- oder Gezeitenkraft je nach Region sinnvoll anders zu kombinieren.

In der Landwirtschaft lernen Bauern weltweit neue Formen der lokal angepassten Intensivierung. Sie versuchen, die notwendigen Ertragssteigerungen nicht mehr durch mehr vom Gleichen zu erzielen, sondern durch vielfältige, intelligente Anbausysteme mit lokal angepassten Pflanzen, die zugleich Boden und Wasser regenerieren. Dass man mit Vielfalt auch den Hunger besser bekämpfen kann, bekräftigte jüngst der von Weltbank und UN geförderte „Weltagrarbericht“ (IAASTD). Es führt kein Weg daran vorbei, das Wirtschaften auf diese Weise den Gesetzen der Natur wieder anzupassen, statt sie zu ignorieren oder überwinden zu wollen; ihre Angebote so zu nutzen, dass sie sich wieder erneuern können. Sonst droht Carl Amery Recht zu behalten: „Der ‚fortschrittliche‘ Teil der Menschheit hat sich auf ein Wirtschaftssystem geeinigt“, kritisierte der Schriftsteller und Ökologe, „das dem Grundgesetz aller lebenden Systeme widerspricht: der Syntropie, das heißt der bestmöglichen Ausnutzung der ständig eintreffenden Sonnenenergie.“ Und er fügte hinzu: „Dieses Wirtschaftssystem ist demnach ein Verbündeter der Wüste.“

Von Christiane Grefe erschien, gemeinsam mit Harald Schumann: „Der globale Countdown. Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung – Die Zukunft der Globalisierung“. Verlag Kiepenheuer & Witsch. Gebunden, 464 Seiten