: Wissen, wie der Mörder tickt
In Hannover steht das bundesweit zweite Prognosezentrum für Sexual- und Schwerststraftäter. Hier werden die Resozialisierungschancen von Häftlingen geprüft, bevor sie Hafterleichterungen erhalten
Wenn sich Wetterfrösche, Wahlforscher oder Wirtschaftsweise irren, ist das für sie höchstens peinlich – echte Folgen hat eine falsche Vorhersage selten. Schwerwiegender können Fehler bei Gutachten für die Resozialisierungschancen von Häftlingen sein. „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, sagte Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann (CDU) lapidar, als er am Donnerstag das neue Prognosezentrum für Sexual- und Schwerststraftäter in der Justizvollzugsanstalt Hannover präsentierte. Das Zentrum ist das zweite seiner Art in Deutschland.
Dass auch Psychiater, Psychologen und Pädagogen irren können, ein Häftling trotz günstiger Prognosen draußen rückfällig werden kann, hat Busemann einkalkuliert: „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass das Verständnis von Presse und Öffentlichkeit dann groß sein wird“, sagte er den versammelten Pressevertretern. Aber klar, die Prognostiker in der Justizvollzugsanstalt sollten die „Unfehlbarkeit“ wenigstens anstreben.
Bislang war in Niedersachsen ein externer und ein interner Gutachter für die Erstellung der Sozialprognosen für die „Lockerungseignung“ zuständig. Das sei langwierig, teuer und nicht immer zuverlässig gewesen, sagte Busemann „Ein gewisses Risiko war da immer mit dabei.“ Im Prognosezentrum mit seinen 55 Häftlingen soll alles besser, günstiger und landesweit einheitlich ablaufen.
Und das geht so: Pädophile, Gewaltstraftäter oder Mörder werden in einem für das Zentrum hergerichteten Flügel der Vollzugsanstalt kurz nach der Einlieferung und bei anstehenden Haftlockerungen zwei bis vier Wochen lang unter die Lupe genommen. Täterakten werden geprüft, Gespräche geführt und psychologische Tests gemacht, anschließend Risikoprofile erstellt. „Ich möchte wissen, wie er tickt, was in ihm vorgeht“, sagt der psychiatrische Leiter Thomas Villmar. Und betont, dass in den ersten 100 Tagen, die der Betrieb in der Vollzugsanstalt bereits läuft, Erleichterungen oder andere Maßnahmen auch schon verwehrt wurden. „Wenn ein Pädophiler sagt, ‚mein Vergehen war nicht der Rede wert‘ und bagatellisiert, ist ergo keine Indikation für eine Sozialtherapie gegeben“.
„Es gab bislang lange Wartezeiten, hoffentlich werden die jetzt abgebaut“, sagt der Justizexperte der SPD-Fraktion, Marco Brunotte. Bislang warten 300 Häftlinge in Niedersachsen auf ihre Begutachtung. Gegen das Prognosezentrum hat Brunotte wenig, aber er kritisiert, dass Angebote zur Resozialisierung fehlen: „Es bringt wenig, wenn der Häftling hier einen Plan für den Verlauf seiner Haft bekommt und nachher die Suchthelfer oder Bildungsangebote nicht da sind“. KSC