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Archiv-Artikel

Schweinebucht und Rosenstube

Das Wendland ist eine verwunschene Ecke, wie gemacht für einen Kurzurlaub alltagsgestresster Städter. Voraussetzung: Das richtige Quartier nicht erst bei der Anreise aussuchen. Die taz stellt Unterkünfte vom Landgasthof bis zum Bio-Hotel vor

Der Hausherr weiß, an welchen Wasserlöchern Rehböcke und Damhirsche ihren Durst stillen und wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen

Von REIMAR PAUL

Ob zum Castortransport oder zur Kulturellen Landpartie, ob zur Biber-Pirsch, zum Kraniche gucken oder zum Radeln durch die landschaftlich überaus reizvolle Elbtalaue – es gibt viele gute Gründe und Anlässe für einen Besuch im Wendland. Wie stets bei Reisen, stellt sich auch im Kreis Lüchow-Dannenberg die Übernachtungsfrage. Die taz hat einige Herbergen inspiziert.

Das Schreien der Kraniche, die auf den weiten Wiesen hinter dem Haus ihr Dauerquartier bezogen haben, ist noch das lauteste Geräusch. Von der kleinen Terrasse, auf der bei schönem Wetter das Frühstück eingenommen wird, sind die Vögel gut beim Landeanflug auf ihre Fressplätze zu beobachten. Der Lindenkrug und der daneben gelegene Lindenhof im Dörfchen Pevestorf gehören zu den angenehmsten und gleichzeitig preiswertesten Unterkünften im Wendland.

Das Personal um die aus Bayern zugezogene Wirtin Ingrid Schmidtke ist ausnehmend freundlich und aufmerksam, die schlichten Zimmer haben weder Fernseher noch Telefon, dafür aber auf jeder Bettseite Nachttischlampen. Von dem kopfstein-gepflasterten und von alten Eichen umstandenen Vorplatz sind es nur schlappe zwei Kilometer bis zum Elberadweg – und bis zur kleinen Fähre, die, so lange es hell ist, auf die andere Flussseite nach Lenzen und zurück pendelt.

Ganz in der Nähe von Pevestorf liegt auch das verwunschene Elbholz, einer der letzten relativ naturnah erhaltenen Auwälder in den alten Bundesländern. Im ebenfalls nahen Flüsschen Seege und am Gartower See haben Biber ihre Burgen gebaut.

Einziger kleiner Haken im Pevestorfer Idyll ist das Abendessen: Bis auf die Currywurst mit hausgemachtem Kartoffelsalat und die Bratkartoffeln sind die im Lindenkrug servierten Gerichte nicht von einem anderen Stern. Anderenorts, zum Beispiel in der historischen Widerstandskneipe „Trebeler Bauernstuben“, isst man besser.

Rund 20 Kilometer stromabwärts von Pevestorf liegt im noch kleineren Weiler Damnatz das kleine Hotel Garni Sonnenhof. Von der Herberge aus sind es nur wenige Meter bis zum Deich mit dem tollen Blick auf die meist überschwemmten Elbwiesen. Die vier Themen-Zimmer „Rosenstube“, „Bauernstube“, „Jägerstube“ und „Heidestube“ sind mit Kitsch und Gedöns etwas überladen. Dafür verfügen die Betten über hervorragende, nicht ausgeleierte Matratzen, und von einigen der kleinen Bäder guckt man direkt in das bewohnte Storchennest auf dem Dach des Nachbarhauses.

Der Sonnenhof wirbt auch als Fahrrad-Pension um Gäste und ist in der Tat idealer Ausgangspunkt für Touren beiderseits des Flusses. Man kann zum Beispiel – auch mit Leihrädern – über die wieder aufgebaute Dömitzer Brücke nach Mecklenburg vorstoßen, die Elbe hinab radeln und in Hitzacker mit einem kleinen Schiffchen wieder ins Niedersächsische übersetzen.

Ganz gutes Abendessen, unter anderem frischen Elbfisch, gibt’s in Damnatz im Gasthof Steinhagen. Wenn Sonnenhof-Chef Joachim Dahmen gut drauf ist und seine Gäste mag, zeigt er ihnen schon mal die Stellen, wo Biber in der Abend- und Morgendämmerung durch die Seitenarme der Elbe paddeln.

Von einem ganz anderen Kaliber ist das Herrenhaus Salderatzen in dem gleichnamigen kleinen Rundlingsdorf, gelegen an der Bundesstraße 493 zwischen Uelzen und Lüchow im südlichen Kreis Lüchow-Dannenberg. Hausherr ist hier der wendländische Anti-Atom-Veteran und Greenpeace-Aktivist Heinz Laing. Er hat das Anwesen vor etwa zehn Jahren gekauft und zur Pension umgebaut. Auch hier haben die Zimmer Namen: Sie heißen „Sozialistisches Zimmer“, „Blaues Zimmer“, „Teufelszimmer“ oder „Engelszimmer“. Das Studio mit Kamin firmiert als „Schweinebucht“. Die Räume sind individuell und etwas schrill eingerichtet. Auf den Fluren verheißen lustige Plastikfiguren und Bilder mit großen Brüsten und erigierten Penissen intensive Nächte.

Während der „Kulturellen Landpartie“, bei der wendländische Künstler von Himmelfahrt bis Pfingsten ihre Werkstätten und Studios öffnen, ist das Herrenhaus Salderatzen eines der Zentren des Geschehens. Auf der Freilichtbühne im Hof treten dann schwule, lesbische und Hetero-Chöre aus dem ganzen Land auf. Scheunen fungieren als Galerien, Ställe werden zu Ateliers, das „Heuhotel“ ist stets komplett ausgebucht. Auf einer Wiese hinterm Haus kann man zudem zelten.

Auch außerhalb der Landpartie laufen in Salderatzen Kulturveranstaltungen, vergangenes Wochenende gab es zum Beispiel ein Kurzfilmfestival. Ein Streichelzoo, eine finnische Sauna und ein Fahrradverleih komplettieren das Angebot. Klar, dass die hofeigenen Schafe Bio-Heu fressen und das Scheunendach mit einer Photovoltaikanlage bestückt ist.

Im wendländischen Norden, am Rande des Waldgebietes Göhrde, hat vor acht Jahren die Öko-Pension Kenners Landlust mit rund einem Dutzend geräumiger Zimmer und mehreren Ferienwohnungen aufgemacht. Im Januar 2005 avancierte das Haus zum ersten Bio-Hotel in Norddeutschland. Und tatsächlich, hier ist wirklich alles Bio: Das Essen hat das Biosiegel, stammt also komplett aus kontrolliert ökologischen Lebensmitteln und Wildsammlung.

Zweimal im Jahr kommt die Kontrollbehörde vorbei, um zu garantieren, dass da, wo Bio drauf steht, auch Bio drin ist. Für den Um- und Ausbau des Hauses wurden atmende Baustoffe und Farben, geölte Holzoberflächen und Vollholzmöbel verwendet. Rauchen ist nur draußen gestattet, und selbst wer da zu viel quarzt oder mit dem Handy telefoniert, muss schon mal mit missbilligenden Blicken von Gästen und Personal rechnen. Bei so viel Bio sind Kost und Logis natürlich nicht ganz billig.

Ab und zu bietet Hausherr Kenny Kenner geführte Wanderungen in den Göhrde-Wald an. Die sind durchaus ein eindrückliches Erlebnis, denn Kenner kennt sich gut aus – er weiß, wo unterm Laub die Überreste alter Siedlungen liegen, an welchen Wasserlöchern Rehböcke und Damhirsche abends ihren Durst stillen und wo sich Fuchs und Hase später gute Nacht sagen. Familie Kenner engagiert sich auch in diversen regionalen Naturschutzprojekten.

Wer zu den Atommülltransporten oder sonstigen Demos ins Wendland fährt, hat mit dem Übernachten überhaupt kein Problem. Abgesehen von diversen Zelt-Camps gibt es vielerorts auf Bauernhöfen und in Scheunen kostenloses Quartier für auswärtige Demonstranten. Anschluss an die Familie oder die örtliche Anti-Castor-Gruppe ist in der Regel inbegriffen. Oft kleben die Quartier-Geber einen gelben Sticker ans Gartentor: „Wir lassen unsere Gäste nicht im Regen stehen.“ Wer beim Demonstrieren und Blockieren dennoch nicht auf ein eigenes Bad und täglich frisch gemachtes Bett verzichten will, dem bietet das Dorfgasthaus Jägerhof in Quickborn eine ganz spezielle Castor-Atmosphäre. Das Dorf liegt direkt an der Transportstrecke, auf der die tonnenschweren Atommüllbehälter nachts vom Bahnhof Dannenberg ins Zwischenlager Gorleben gekarrt werden. Vom Fenster von Zimmer Nr. 1 im ersten Stock hat man dann einen prächtigen Blick auf quer stehende Traktoren, Sitzblockaden und das Blaulicht-Gewitter der Polizeikarawanen. In der rund um die Uhr geöffneten Gaststube wärmen sich durchnässte Demonstranten und hungrige Polizisten auf, treffen sich Gegner und Befürworter der Atomkraft aus dem Dorf zumKlönschnack. Dazu serviert Familie Jaß zu jeder Tages- und Nachtzeit Bauernfrühstück, Schnitzel und Bier.

Preise für Doppelzimmer mit Frühstück: Lindenhof und Lindenkrug: € 38 bis 58 www.lindenhofundkrug.de Sonnenhof: € 55 www.sonnenhof-elbe.de Herrenhaus Salderatzen: € 50 bis 63 www.salderatzen.de Kenners Landlust: € 72 bis 80 www.kenners-landlust.de Jägerhof: € 50 bis 65