: Mozart vs. Messias
Ab heute wird Weltmeister Anand bei den Chess Classic Mainz vom erst 17-jährigen Magnus Carlsen gefordert
BADEN-BADEN taz ■ „Jetzt muss er nur noch über Wasser laufen!“, ulkt Viswanathan Anand angesichts der außergewöhnlichen Erfolge seines jüngsten Herausforderers. Nicht nur der Weltmeister aus Indien hält einen 17-jährigen Norweger für den neuen Schach-Messias. „Magnus Carlsen ist beeindruckend“, befindet Anand und rasselt die Turniersiege herunter, die der 17-jährige Norweger im ersten Halbjahr 2008 feierte. Lediglich Anand selbst konnte im spanischen Linares Carlsen einmal auf Platz zwei verweisen. Ab heute Abend will das Wunderkind, das bereits mit 13 Jahren den Großmeister-Titel errang, bei den Chess Classic Mainz diese Rangfolge umdrehen.
Dafür nimmt Carlsen auch Nachteile in Kauf und begibt sich auf das Heimterrain Anands. Im Schnellschach mit nur rund 30 Minuten Bedenkzeit konnte im vergangenen Jahrzehnt kaum einer dem schnellen Brüter aus Indien das Wasser reichen. Zehn Mal hat der 38-Jährige die Schnellschach-WM bei den Chess Classic gewonnen. Selbst der russische Weltranglistenzweite Alexander Morosewitsch und die Ungarin Judit Polgar, die mangels ernsthafter Konkurrentinnen nur bei den Männern mitspielt, dürften in der Vorrunde kaum mehr als attraktive Staffage bilden. An einem Finale am Sonntag zwischen Anand und Carlsen vor voller Halle und zigtausend Internet-Zuschauern hegt kaum einer Zweifel.
Nach einem anstrengenden zweiwöchigen Turnier schonen sich die Denkstrategen oft monatelang und tüfteln mit dem Computer neue Eröffnungsvarianten aus. Anders Carlsen: „Der Mozart des Schachs“ (Washington Post) kommt heute direkt aus Biel angereist. Bis gestern Abend spielte der 17-Jährige noch in der Schweiz, heute lässt sich Carlsen dann mit dem Auto über 425 Kilometer nach Mainz karren, um am Abend den Branchengrößen die Stirn zu bieten.
Vater Henrik Carlsen wollte das verhindern und seinen Filius, dem er mit fünf Jahren das Schachspiel beibrachte, zur Erholung in den Familienurlaub mitnehmen. „Doch Magnus strotzt vor Energie und beharrte auf dem Duell mit Anand“, erzählt Chess-Classic-Organisator Hans-Walter Schmitt von einfach zu führenden Verhandlungen. Bis auf seine Passion verhält sich der Schüler eines Sportgymnasiums aber wie jeder ganz normale Junge seines Alters. Nach Anfängen als Skispringer wechselte der Bundesligaspieler des deutschen Meisters OSG Baden-Baden in die Fußballabteilung von Lommedalens IL. Anstatt sich sonderlich auf die Wettbewerbe in Biel und Mainz vorzubereiten, reiste Carlsen lieber mit seinen Kumpels zu den norwegischen Meisterschaften in Tönsberg. Nicht um locker den nationalen Titel abzuräumen, sondern um im Fußballturnier Platz eins zu belegen und an zwei Schach-Handicap-Turnieren teilzunehmen.
„Carlsen spielt für einen 17-Jährigen untypisch reif. Er erinnert mich mit seinen brillanten wie einfachen Zügen an die Legende Bobby Fischer“, zeigt sich Anand begeistert. Auch wenn der Inder das Jahrhundert-Talent in Mainz vielleicht noch einmal ausbremsen kann, eines weiß der 38-Jährige mit Sicherheit: Allzu lange wird das nicht mehr so bleiben. „Carlsen ist der kommende Weltmeister“, prophezeit der amtierende Titelträger.
HARTMUT METZ