: Stoisch und aber auch schön
Die japanische Produzentin Akiko Kiyama macht auf ihrem Debütalbum „7 Years“ feinsinnigen Minimal Techno. Mittlerweile lebt sie auch in der Clubhochburg Berlin und hat Anschluss an Labels und Szenen gefunden, ein Party-Animal ist sie jedoch nicht
VON TIM CASPAR BOEHME
Wäre es nach ihrem Vater gegangen, dann würde Akiko Kiyama heute als klassische Pianistin um den Globus fliegen. Der Vater, ein Programmierer, wollte selbst gern Dirigent werden und ließ seine Tochter stellvertretend 17 lange Jahre Tasten schinden. Auch wenn aus dem Virtuosentraum von Herrn Kijama nichts wurde, eiferte seine fünfundzwanzigjährige Tochter ihrem Vater auf andere Weise nach: Sie entschied sich dafür, selbst Musik zu produzieren – am Computer.
Elektronische Musik fand Akiko Kiyama schon als Schülerin faszinierend. Sie hatte sich mit fünfzehn Jahren das Gitarrespielen beigebracht, war aber weniger an Rockriffs als an Effekten wie Flanger oder Chorus interessiert. „Ich wollte nach neuen Klängen suchen.“ Zunächst hatte sie noch gehofft, mit Klassenkameradinnen eine Band zu gründen. Die machten aber lieber Hausaufgaben. Akiko Kiyama begann, im Alleingang am Computer zu komponieren. Eine nicht immer leichte Aufgabe für die Musikerin, die sich manchmal nach ihrem Klavier zurücksehnt: „Ich bin mit echten Instrumenten aufgewachsen und habe die Musik berührt. Echte Instrumente sind näher an der Musik. Wenn ich arbeite, benutze ich einen Computer, doch manchmal finde ich ihn ermüdend.“
Von ihrer klassischen Ausbildung blieb nicht nur die Schwäche für handgemachte Musik, auch die Vorliebe für Polyphonie mit mehreren gleichberechtigten Stimmen ist in ihren Produktionen zu spüren. „Bei elektronischer Musik muss ich sehr genau auf jeden einzelnen Klang achten, es ist ein bisschen wie beim Hören von klassischer Musik.“
Wie Bach-Fugen klingen Akiko Kiyamas Stücke vielleicht nicht, dafür ergeben die einzelnen Klänge feine rhythmische Linien, die komplex verwoben und so sehr auf den Punkt sind, dass ihre Stücke einen unterschwelligen Sog erzeugen. Viele ihrer Produktionen sind für den Club, doch Musik soll ihrer Meinung nach mehr als nur beim Feiern Spaß machen. Es geht ihr vor allem um Gefühle, die sie ausdrücken möchte.
Im Mai vergangenen Jahres zog sie nach Berlin. Mehrere Besuche und Auftritte hatten sie von der Hauptstadt überzeugt, und sie findet, Deutsch klingt „cool“. In Clubs oder Bars geht sie eher wenig. „Ich lebe lieber gesund.“ Einen Club betrat Akiko Kiyama zum ersten Mal, nachdem sie zwanzig geworden war – und das in Japan erforderliche Mindestalter erreicht hatte. Besonders die „Chaos“-Nächte von Star-DJ Fumiya Tanaka in Tokio gefielen ihr. Dort hörte sie zum ersten Mal Techno und Minimal. Ihr Erweckungserlebnis war ein Auftritt des kalifornischen Minimal-Experimentalisten Sutekh, der einmal in einer „Chaos“-Nacht als Gast auftrat. „Für mich war es wie ein Schock. Er benutzte einen Laptop, setzte ihn aber auf interaktive Weise ein. Sein Liveset hat mich beeinflusst.“
Von einem ihrer Live-Auftritte war hingegen ein anderer Gast in Tokio beeindruckt: Alan Abrahams alias Portable war auf der Suche nach jungen Talenten für sein Label Süd Electronic, und so erschien Akiko Kiyamas erste EP im Jahr 2004 postwendend auf Portables Label. Ein anderes ihrer Stücke verwendete Richie Hawtin für seine 2005 erschienene Compilation „DE9 Transitions“. Seitdem häuften sich Anfragen für Auftritte, und Kijama veröffentlichte regelmäßig auf verschiedenen Techno-Labels. Was sie von vielen Minimalisten unterscheidet, ist Akiko Kiyamas großzügiger Umgang mit der Technik. „Oft benutze ich die Software wie analoge Geräte. Der Groove ist manchmal nicht genau nach Metronom, aber das stört mich nicht. Ich finde es interessanter so. Beim Musikmachen höre ich stets hin und achte dabei nicht auf die Computergrafiken. Meine Regel ist: Wenn es gut klingt, dann ist es gut.“
Ihr Debütalbum „7 Years“ ist nach einer Phase großer Trauer in ihrem Leben benannt, während der sie nicht in der Lage war, Musik zu machen. „Nur wenn ich Musik hörte, fühlte ich etwas Positives. Es war wie bei einem Ladegerät. Ich setzte mir die Kopfhörer auf und konnte wieder in die Schule gehen. Damals habe ich sehr viel von der Musik bekommen, doch für die Musik hatte ich nichts getan. Wenn ich Musik mache, ist es daher nicht für andere, sondern für die Musik selbst. Es ist wie ein Gespräch: Ich höre zu, fange an Musik zu machen, dann höre ich wieder zu. Vor sieben Jahren habe ich zum ersten Mal so empfunden.“ „7 Years“, beim Berliner Label District of Corruption erschienen, ist eine Art Zwischenbericht. Und der klingt nach einer sehr eigenständigen Musikerin. Kiyama baut ihre Stücke so auf, dass sie sich bei allem Minimalismus nicht in Statik erschöpfen. Oft verwendet sie asiatische Klänge wie Shinto-Flöten und verwischt souverän die Grenze zwischen Club und zeitgenössischer Klassik.
Verhaltene Melancholie schwingt in ihrer Musik ebenfalls mit, passend zum Motto auf ihrer Myspace-Seite: „True beauty has sadness.“ Nach dem Satz gefragt, fängt sie an zu überlegen. „Schönheit muss Trauer erfahren haben. Schönheit ist etwas Geistiges, das zu meinem Leben gehört und mit der von mir festgelegten Regel zu tun hat, nach der ich lebe.“ Diese Regel kommt aus der japanischen Samurailehre des „bushido“, einem mündlich überlieferten Verhaltenskodex. „Schönheit wird durch Trauer schöner. Diese Erfahrung führt zu einer anderen Art des Denkens und Handelns. Es ist eine stoische Art von Schönheit, die ich mag. Stoisch sein ist schwierig.“
Akiko Kiyama, „7 Years“ (District of Corruption)